Leni BreymaierSPD - Vereinbarte Debatte - Internationaler Frauentag
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin Spiegel, wir denken heute ja an den Internationalen Frauentag – er wird erst in ein paar Tagen sein –; deshalb habe ich gedacht, dass wir auch einen kleinen Blick auf die internationale Situation werfen. Ich habe lange überlegt, ob ich etwas zu Afghanistan sage; aber da hätten meine drei Minuten Redezeit nicht gereicht.
Ich habe gedacht, ich schaue 100 Kilometer östlich – dann landet man in Polen, von uns aus erreichbar in anderthalb Stunden mit dem Auto – und berichte vom 21. Dezember letzten Jahres, als die 37‑jährige Agnieszka, Mutter von drei Kindern, schwanger mit Zwillingen ins Krankenhaus mit dem wunderbaren Namen „Zur heiligen Jungfrau Maria“ in Tschenstochau eingeliefert wurde. Ein paar Tage später starb ein Fötus ihrer beiden Zwillinge, die sie im Bauch hatte, und die Ärzte dieser Klinik weigerten sich, sie zu operieren, wegen des restriktiven Abtreibungsrechts in Polen. Eine Woche später starb der zweite Fötus. Weitere zwei Tage lang haben sich die Ärzte geweigert, die Frau zu operieren. Das haben sie dann nach zwei Tagen gemacht. Derweil war die Sepsis so weit fortgeschritten, dass diese Mutter von drei Kindern am 25. Januar dieses Jahres starb.
Jetzt können wir hier wohlfeile Reden halten über Solidarität mit den Frauen in Polen – das sage ich aus tiefstem Herzen –; aber ich glaube, was wir hier als deutsches Parlament tun können, ist, unsere eigenen Hausaufgaben zu machen und uns nicht von denjenigen beeindrucken zu lassen, die auch bei uns ein restriktiveres Schwangerschaftsrecht wollen und alles, was wir an Fortschritten verabredet haben, boykottieren. Deshalb bin ich froh, auch für die Frauen in Polen, aber auch für die Frauen in Europa und für die Frauen in Deutschland, dass wir den § 219a jetzt streichen.
(Beifall bei der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Nina Warken [CDU/CSU]: Ganz billiger Vergleich!)
Das ist aber noch nicht das Ende der Fahnenstange. Wir Frauen in Deutschland haben es so satt, dass wir bevormundet und gegängelt werden, insbesondere wenn dabei immer mit dem Deckmäntelchen des Schutzes des ungeborenen Lebens argumentiert wird. Das dient nur dazu, die Frauen zu gängeln.
(Beifall bei der SPD – Enrico Komning [AfD]: Sie töten Kinder! – Nina Warken [CDU/CSU]: Was heißt denn „Deckmäntelchen“?)
Wir schützen kein ungeborenes Leben, indem wir den Frauen Strafe androhen. Wir schützen dann ungeborenes Leben, wenn wir ausreichend Wohnraum zur Verfügung stellen. Wir schützen ungeborenes Leben, wenn wir ordentliche, gut bezahlte Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. Wir schützen ungeborenes Leben, wenn wir eine partnerschaftliche Teilung der Familienarbeit haben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Martin Reichardt [AfD]: Sie schützen es überhaupt nicht!)
Wir schützen ungeborenes Leben mit einem gescheiten Mindestlohn. Das ist das, was wir brauchen.
Deshalb müssen wir diese Debatte führen. Ulle Schauws hat es gesagt: Was machen wir da eigentlich im Strafrecht? – Aber wir müssen dann eben auch weitergehen; ich denke an kostenlose Verhütungsmittel usw.
Jetzt leuchtet der Herr Präsident mich schon an. Deshalb komme ich jetzt zum Schluss
(Enrico Komning [AfD]: Das ist auch gut so!)
und sage: Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Gleichstellung der Geschlechter ist die Hauptspeise der Demokratie und nicht der Nachtisch.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7533718 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 17 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte - Internationaler Frauentag |