Hakan DemirSPD - Europäische Asyl- und Migrationspolitik
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin ordentliches Mitglied im Innenausschuss und habe gestern wahrgenommen, dass unsere Innenministerin sich ganz klar für eine humanitäre Asylpolitik ausgesprochen hat. Dazu gehört auch eine Koalition der Aufnahmewilligen, und das ist gut so.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Wir brauchen in der Asyl- und Flüchtlingspolitik eine doppelte Solidarität: eine Solidarität mit den Ländern, in denen Geflüchtete ankommen und Asyl beantragen, und wir brauchen eine Solidarität mit den Geflüchteten, die vor Gewalt und Tod fliehen.
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Und mit denen, die vor gar nichts fliehen? Braucht man mit denen auch Solidarität?)
Das ist unser Verständnis von einer menschenrechtsorientierten Politik. Und unsere Solidarität darf nie an unseren Außengrenzen enden – nein, unsere Solidarität muss grenzenlos bleiben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Ich war selbst zwischen dem 1. und 3. Dezember mit den Kolleginnen Jessica Rosenthal, Reem Alabali-Radovan und Lars Castellucci in Polen, und wir sind bis fast an die belarussische Grenze gefahren. Wir haben dort Organisationen getroffen, und wir haben mit Konrad Sikora, einem stellvertretenden Bürgermeister einer kleinen polnischen Stadt, gesprochen. Dieser Mann hat 16 Stunden pro Tag für seine Stadt gearbeitet, ist dann nach seiner Arbeit noch mal zu den Migrantinnen und Migranten gefahren und hat ihnen Decken und Essen gebracht. Mit glasigen Augen hat er uns berichtet, wie es ihn berührt, dass Menschen in den Wäldern sterben – bis dahin waren es 17.
Einer von diesen Toten ist Kawa al-Jaf, 25 Jahre alt. Er arbeitete auf einem Markt im Nordirak. Freunde erzählten ihm, dass man über Belarus in die EU gelangen könne. Er zögerte nicht und ging. Er träumte von einem besseren Leben. Sechsmal versuchte er, nach Polen zu gelangen; sechsmal wurde er wieder zurückgeschubst – Stichwort „Pushback“ –, das erzählte er seinem Vater.
Irgendwann gelang es ihm doch, nach Polen zu kommen. Mit einer Gruppe von Menschen wollte er weiter nach Deutschland.
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Warum?)
Der Vater bekam den Anruf, dass es ihm nicht mehr gut ginge, und flehte die Gruppe, die schon in Polen war, an, Kawa ins Krankenhaus zu bringen. Aber die Berichte, die wir bekommen haben, besagen, dass die Menschen aus den Krankenhäusern rausgezogen und dann wieder zurückgeführt werden, zurückgeschubst werden. Deshalb hat die Gruppe Kawa nicht ins Krankenhaus gebracht. Der letzte Anruf, den der Vater bekommen hat, war, dass sein Sohn tot sei.
(Abg. Norbert Kleinwächter [AfD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Das sind die Schicksale unserer Welt. Man müsste schon aus Stein sein, um nicht zu verstehen, warum diese Menschen ihr Land verlassen und was sie erleiden müssen. Ob Kawa Asyl bekommen hätte, wissen wir nicht. Vielleicht hätte er auch legale Einreisewege für Arbeit oder Ausbildung gebraucht. Aber auch darum bemühen wir uns hier in der Koalition: legale Wege zu schaffen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Einige Regierungen in der EU verweigern sich der Aufnahme von Geflüchteten komplett. An der polnisch-belarussischen Grenze, aber auch in Kroatien und im Mittelmeer, hören wir immer wieder von illegalen Pushbacks. Darauf kann man natürlich auf zwei Arten reagieren: Man kann sich freuen, dass die Staaten an der Außengrenze Geflüchtete zurückhalten, auch mit Pushbacks und unter unhaltbaren humanitären Zuständen. Oder man erkennt an, dass man vorangehen muss, um das Recht auf Asyl in Europa zu schützen, und das hat unsere Bundesministerin Nancy Faeser auch gemacht: eine menschenrechtsorientierte Politik. Wir gehen mit Frankreich da voran.
Alleine in Deutschland gibt es 294 Städte, die sich zu sicheren Häfen erklärt haben; sie würden sofort Menschen aufnehmen. Aus diesen Städten kommen auch die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion. Wir alle wollen einheitliche Standards und Aufnahmebedingungen in der Europäischen Union, hohe und menschliche Standards natürlich. Aber die Realität sieht anders aus. Zurzeit können wir aufgrund von Rückführungsverboten keine Menschen nach Italien und Griechenland zurückschicken. Das wäre rechtswidrig, wie auch der EuGH und Verwaltungsgerichte aus mehreren Bundesländern festgestellt haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen keine abgeschotteten Internierungslager. Wir wollen keine Pushbacks. Wir wollen gemeinsame europäische Standards, aber wir erkennen auch die Realität an und gehen in der Zwischenzeit voran. Was sollen wir sonst machen?
Ich will irgendwann wieder den stellvertretenden Bürgermeister Konrad Sikora treffen, ihm in die Augen schauen und sagen: Wir haben verstanden. Wir helfen. Wir sind da. – Das ist der Weg der Sozialdemokratie.
Danke schön.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Der nächste Redner in der Debatte ist Dr. Gottfried Curio, AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7533775 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 17 |
Tagesordnungspunkt | Europäische Asyl- und Migrationspolitik |