Patricia LipsCDU/CSU - Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler zur aktuellen Lage
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Wir hörten es in vielen Reden: Es ist Krieg – nicht irgendwo weit weg, sondern mitten in Europa. Es zeigt sich, wie schön es ist, wie einfach es ist, ein Hohelied auf Europa zu singen, sich zu freuen, sich zur Europäischen Union als dem größten Friedensprojekt in der Nachkriegszeit zu bekennen, ihre Bedeutung jetzt zu erkennen.
Aber, Kolleginnen und Kollegen, es gilt auch: Die Bewährungsprobe ist jetzt. Ich danke dafür, dass wir hier in dieser Form zusammenstehen – hier im Haus, jetzt in Deutschland und auch innerhalb der Europäischen Union.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christian Dürr [FDP])
Ein Nachbar wird angegriffen. Leid und Zerstörung werden bewusst in Kauf genommen. Heute ist es die Ukraine. Aber sollte der Plan gelingen, so möchten wir uns doch nicht dieses Vorgehen ausmalen, wo es als Präzedenzfall ebenfalls in die Tat umgesetzt würde – ob durch Putin an weiteren Grenzen seines Landes oder einen anderen Aggressor anderswo auf der Welt. Machen wir uns bewusst, welche Gedanken und Sorgen in diesen Tagen vor allem auch die Menschen in Vilnius, in Prag und Warschau beschäftigen – Kriegsangst geht um – und welche Erwartungen und Hoffnungen sie mit uns verbinden.
Die letzten Tage und Stunden haben es gezeigt: Man schaut auf uns. Deshalb: Lassen Sie uns diese Hoffnungen nicht enttäuschen – nicht weiter enttäuschen, ist man leider versucht zu sagen. Es geht um Solidarität mit den Menschen in der Ukraine. Überall finden Kundgebungen und Mahnwachen mit Tausenden von Menschen statt, an vielen Stellen erstrahlen die Nationalfarben der Ukraine. Unsere Gedanken sind bei den Menschen in diesem Land. Aber, Kolleginnen und Kollegen, Solidarität braucht auch Glaubwürdigkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir sehen Väter, die sich von ihren Familien verabschieden, Männer, die unzureichend bewaffnet gegen Panzer kämpfen, einen Präsidenten, der zum Ausdruck bringt: Ich bin da, ich bleibe bei euch – Bilder, die gerade um die Welt gehen.
Freiheit ist nicht selbstverständlich – wir haben es heute bereits mehrfach gehört –; sie hat ihren Preis. Für die Menschen in der Ukraine wird dieser Preis aktuell mit der Angst um ihr eigenes Leben bezahlt. Vergessen wir nicht: Sie kämpfen diesen Kampf auch für uns. Der Angriff auf dieses Land ist ein Angriff auf unser aller Wertesystem.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Und wenn wir heute über Sanktionen reden, auch solche, die Auswirkungen auf uns selbst haben, dann muss uns die Verteidigung dieser Werte immer gegenwärtig sein.
Kolleginnen und Kollegen der AfD, wir kennen unsere Werte, wir verteidigen sie. Was Ihre Werte sind, dahinter machen wir hin und wieder ein Fragezeichen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Immer! – Zuruf der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU])
Seit gestern Nachmittag macht sich Erleichterung breit, innerhalb und außerhalb Europas. Deutschland hat klargemacht, wenn auch spät: Unser Platz ist an der Seite unserer Bündnispartner. – Es kann gar nicht anders sein.
(Zuruf von der LINKEN)
Wir begrüßen deshalb, dass die Bundesregierung ihre Haltung hinsichtlich SWIFT – Stichwort „internationaler Zahlungsverkehr“ – wie auch bei der Lieferung von Waffen mit defensivem Charakter aufgegeben hat. Kolleginnen und Kollegen, wir bedauern gleichwohl, dass es hierfür erst eine Welle der Empörung gebraucht hat.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir müssen den Mut haben, alles an Maßnahmen unterhalb der Schwelle einer eigenen militärischen Auseinandersetzung aufzufahren. Nicht wir, nicht die Ukraine führen einen Angriffskrieg. Aber wir müssen geeignete Instrumente in die Hand nehmen, um zwischenzeitlich auch Leben zu schützen, zu verteidigen und größtmöglichen Druck auszuüben. Es geht darum, weiteres Leid und Zerstörung zu vermeiden, und so es möglich ist, ein Stoppschild aufzustellen. Wann, wenn nicht jetzt, Kolleginnen und Kollegen?
Es ist unsere Pflicht, die Ukraine zu unterstützen, so Bundeskanzler Olaf Scholz am gestrigen Tag. Das galt jedoch schon spätestens zu Beginn der vergangenen Woche. Deshalb: Zeigen Sie auch weiterhin, dass Sie den Worten insbesondere des heutigen Tages Taten folgen lassen und wir unserer Verantwortung gerecht werden. Ich sage Ihnen zu: Dann haben Sie uns an Ihrer Seite.
Ich schließe mit den Worten des ukrainischen Nationaldichters Taras Schewtschenko:
Unser Seele, unser Lied wird nicht sterben, wird nicht verschwinden. Darin, Leute, liegt unser Ruhm.
Slawa Ukrajini, Herr Botschafter!
Danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Ulrich Lechte [FDP])
Vielen Dank, Frau Kollegin Lips. – Als nächste Rednerin rufe ich auf die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Britta Haßelmann.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der AfD: Ach du lieber Gott!)
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Electoral Period | 20 |
Session | 19 |
Agenda Item | Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler zur aktuellen Lage |