Sonja EichwedeSPD - Änderung des Infektionsschutzgesetzes
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Mit dem 19. März enden die aktuellen Coronamaßnahmen. Das bedeutet: Wir müssen als Gesetzgeber tätig werden, und wir mussten eine Einigung erzielen. Anderenfalls würde ab Sonntag dem Virus Tür und Tor geöffnet werden mit all seinen Konsequenzen für unsere Bürgerinnen und Bürger. Nach zwei Jahren Pandemiebekämpfung ist das nicht unser Ziel.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Durch die zeitliche Begrenzung der Maßnahmen müssen wir konstant evaluieren. Das Ergebnis ist ganz klar: Die Pandemie ist nicht vorbei – es wurde viel darauf eingegangen –, ganz im Gegenteil. Wir brauchen Maßnahmen zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Dann hätten Sie das doch gemacht!)
Auch wenn die Omikron-Variante häufig einen milderen Verlauf bedeutet, steigen die Infektionszahlen und die Ansteckungszahlen. Wir haben heute die höchste Inzidenz in Europa. Es werden mehr Menschen in Krankenhäuser eingeliefert, und pro Tag sterben 200 bis 300 Menschen aufgrund der Coronainfektion. Daran können wir uns und daran werden wir uns nicht gewöhnen. Hier müssen wir handeln.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Aber Sie tun es doch gar nicht!)
– Doch, wir handeln; denn das Auslaufen ist keine Option.
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Aber dieses Gesetz ist auch keine Option! – Gegenruf des Abg. Christian Dürr [FDP]: Was will denn die Union eigentlich?)
Wenn Sie sagen, Sie stimmen diesem Gesetzentwurf nicht zu, dann stimmen Sie quasi dem Auslaufen der Verlängerung zu.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein hart errungener Kompromiss. Wir wollen auf eine voraussichtliche Verbesserung der Lage im Sommer vorbereitet sein; aber wir wollen uns und den Ländern zugleich auch die Möglichkeit geben, zu handeln.
(Christian Dürr [FDP]: Damit dieses Haus wieder handlungsfähig ist!)
Wir haben die Zusage der FDP, dass gegebenenfalls nachgesteuert werden kann. Ich kann Ihnen sagen: Wir nehmen diese Zusage sehr ernst.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Ach Gott, so machen Sie Gesetze? Unglaublich! Ein Offenbarungseid!)
Im Einzelnen bezieht sich der Gesetzentwurf auf Basisschutzmaßnahmen und Hotspotregelungen, die die Länder erlassen können. Denn der Basisschutz nach § 28a Absatz 7 verfolgt das Ziel, vulnerable Gruppen in Einrichtungen – Krankenhäusern, Arztpraxen und Pflegeeinrichtungen – durch Masken und Tests zu schützen, in anderen sensiblen Einrichtungen kann weiterhin getestet werden, Masken werden im öffentlichen Personennahverkehr weiter zu tragen sein. Die Hotspotregelung nach § 28a Absatz 8 Infektionsschutzgesetz gibt den Ländern die Möglichkeit, auf die Ausbreitung zu reagieren; denn wir müssen das Pandemiegeschehen unter Kontrolle halten.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Mit Beschluss der Landesparlamente – dies ist möglich, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion – kann auf die Infektionsrate reagiert und es können bewährte Maßnahmen erlassen werden. Hierbei ist juristisch ganz klar definiert, dass auch ein Bundesland eine Gebietskörperschaft sein kann.
(Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Nein! Das geht doch gar nicht!)
– Doch, dann schauen Sie in die entsprechenden juristischen Bücher.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Sepp Müller [CDU/CSU]: Die Stadtstaaten vielleicht!)
Die allgemeine Maskenpflicht ist in Hotspots dann weiterhin möglich, ebenso die Pflicht zur Vorlage von Impf-, Genesenen- und Testnachweisen und die Einführung von Hygienekonzepten. Die Hotspotregelung ist an enge Voraussetzungen wie die erhöhte Pathogenität oder die Überlastung von Krankenhauskapazitäten gebunden.
Frau Kollegin, ich habe jetzt zwei Wünsche nach Zwischenfragen, eine aus der Unionsfraktion und eine aus der Fraktion Die Linke. Möchten Sie eine oder beide davon zulassen? Wie Sie mögen!
Ich lasse gern beide zu.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dann Frau Lindholz, bitte schön.
Frau Eichwede, ich habe Ihren Ausführungen bisher sehr aufmerksam zugehört, auch warum Sie meinen, dass Sie einen guten Kompromiss vorlegen. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, gehören Sie auch zu den Kolleginnen und Kollegen hier im Deutschen Bundestag, die sich für eine allgemeine zügige Impfpflicht aussprechen.
Ich habe eine ganz konkrete Frage: Wie können Sie es eigentlich vertreten, Frau Eichwede, dass eine vulnerable Person ab 1. April, wenn die Länder die Übergangsvorschrift in Anspruch nehmen, beim Einkaufen quasi ungeschützt der Gefahr ausgesetzt wird, sich das Coronavirus einzufangen, da Sie die Maskenpflicht im öffentlichen Bereich wie in Supermärkten mit dieser Regelung außer Kraft setzen? Diese vulnerable Person – das kann zum Beispiel ein schwerkranker Mensch mit einem geschwächten Immunsystem sein – ist schutzlos ausgeliefert; er kann nur noch sich selbst mit der Maske schützen, ist seinem Gegenüber aber hilflos ausgeliefert, wenn dieser keine Maske trägt. Gleichzeitig treten Sie für eine Impfpflicht ein, die nachweislich nur dem Eigenschutz dient und nur noch einen geringen Beitrag zum Fremdschutz erbringt. Wie kann man einer solchen Regelung zustimmen und hier keine verantwortungsvolle Regelung vorlegen? Das können Sie ja bei der Impfpflicht auch.
Frau Eichwede, wir lassen auch jetzt noch die andere Frage zu. Frau Vogler, bitte.
Vielen Dank, liebe Kollegin Eichwede. – Sie haben gerade über die Hotspotregelung gesprochen, die die Landesparlamente unter bestimmten Bedingungen in Kraft setzen können. Ich komme aus NRW; NRW ist bekanntermaßen mit über 50 selbstständigen Gebietskörperschaften, also Kreisen und kreisfreien Städten, das bevölkerungsreichste Bundesland. Wir haben dort ein Parlament, das durchaus fleißig ist, aber längst nicht so häufig wie der Deutsche Bundestag tagt. Erwarten Sie tatsächlich von Ihren Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen, dass sie das Infektionsgeschehen in allen 53 Kreisen und kreisfreien Städten in NRW so im Blick behalten können,
(Christian Dürr [FDP]: Natürlich!)
dass sie erkennen können, wenn sich irgendwo eine Dynamik ausbreitet, die man durch diese Hotspotregelung bekämpfen müsste?
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das erwarte ich!)
Und müssten wir nicht eigentlich unser gesamtes Land mit einer Inzidenz von über 1 600, steigenden Infektionszahlen, steigenden Todeszahlen, steigenden Hospitalisierungsraten und einer Situation, wo der RKI-Monitor quasi jede Woche eine neue Farbe dazubekommen muss, weil die alten Farben nicht ausreichen, um die Inzidenzen darzustellen, zum Hotspot erklären?
Jetzt zur Antwort, Frau Eichwede.
Vielen Dank für die beiden Fragen. – Ich möchte gerne auf die zuletzt gestellte Frage zuerst antworten. Sie haben das derzeitige Pandemiegeschehen nicht nur in NRW, sondern auch in ganz Deutschland geschildert, worauf ich am Anfang meiner Rede eingegangen bin. Ich möchte Ihnen sagen, dass die engen Voraussetzungen aus meiner Sicht – das muss natürlich durch die Landtage definiert werden – tatsächlich eingetreten sind und dass wir in Deutschland nach dieser neuen Regelung aufgrund der hohen Infektionszahlen und Schwierigkeiten in den Krankenhäusern zurzeit sehr viele Hotspots haben; denn die Krankenhäuser arbeiten nicht im Normalbetrieb. Wir haben enge Personaldecken in den Krankenhäusern, und diese sind auch durch weitere Ansteckungen in Gefahr. Kapazitätsgrenzen definieren sich nicht nur dadurch, wie viele Patienten in den Krankenhäusern sind, sondern auch dadurch, dass die Versorgung sichergestellt sein muss.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Die Hospitalisierungsraten steigen, und ein Abflauen der Inzidenzzahlen ist zurzeit nicht in Sicht. Das ist eine Notlage, und das entspricht aus Sicht meiner Fraktion der Definition eines Hotspots, die den Ländern die Möglichkeit gibt, zu handeln.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Auf Ihre Frage bezüglich des Überblicks eines Landesparlamentes in den einzelnen Kreisen: Ich weiß, dass mein Ministerpräsident in Brandenburg wöchentlich Telefonkonferenzen mit den Landräten hat und sich ganz genau damit auseinandersetzt, was überall im Land der Stand ist.
(Beifall bei der SPD)
Ich wies schon darauf hin: Nach der Definition einer Gebietskörperschaft – auch die Bundesrepublik ist eine Gebietskörperschaft, wenn auch nicht im Sinne dieses Gesetzes, weil § 28a Absatz 8 Infektionsschutzgesetz hier die Länder einbezieht – ist auch ein Land eine Gebietskörperschaft. Das ist ein klar definierter Begriff.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich muss sagen: Ich bin Bundesgesundheitsminister Professor Dr. Karl Lauterbach sehr dankbar, dass er sich zusammen mit den Fraktionsvorsitzenden Dagmar Schmidt und Dirk Wiese sowie der gesundheitspolitischen Sprecherin meiner Fraktion, Heike Baehrens, und mir sehr stark für diesen Begriff und diese Hotspotregelung, die ich jetzt noch einmal ausführen durfte, eingesetzt hat.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Zu der Frage aus der Unionsfraktion. Sie können vielleicht dem Tenor meiner Rede entnehmen, dass ich es gut gefunden hätte, wenn eine Maskenpflicht weiter aufrechterhalten worden wäre.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sepp Müller [CDU/CSU]: Na, wer regiert denn?)
Aber wir haben eine Priorität auf die Hotspotregelung gelegt, die den Ländern bei dem unglaublich hohen Infektionsgeschehen eine größere Möglichkeit zum Handeln gibt als nur die Maskenpflicht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das ist vielleicht für denjenigen, der sich mit seinem Argument nicht durchsetzt, nicht die schönste Stunde der Demokratie; aber es ist Demokratie.
(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine Niederlage der Demokratie!)
Genauso sind andere Kollegen vielleicht nicht so sehr für die Ausgestaltung dieser Hotspotregelung eingetreten, wie wir es sind. Das ist die Natur eines Kompromisses und auch das Ergebnis der letzten Bundestagswahl.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Ich habe beschrieben, dass wir um diesen Kompromiss sehr stark gerungen haben. Unterschiedliche Ansätze wurden eingebracht. Wir müssen gegebenenfalls nachsteuern. Wir sind dankbar, dass das von allen Koalitionsfraktionen so gesehen wird.
(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Ihr sagt, alle wollen nachsteuern! Warum macht ihr das nicht gleich? – Gegenruf der Abg. Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Weil die Lage eine andere ist!)
Jetzt ist es aber wichtig, zu handeln, damit die Regelungen, die bestehen, nicht auslaufen. Deshalb appelliere ich auch an die anderen demokratischen Fraktionen hier im Haus, einem Auslaufen nicht quasi zuzusehen, sondern diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Werte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich mit zwei Appellen schließen.
Erstens. Auch wenn es im Basisschutz keine flächendeckende Pflicht mehr gibt, eine Maske zu tragen, wissen wir, dass Masken ein effektives Mittel sind. Ich appelliere an das Verantwortungsgefühl und die Vernunft unserer Bürgerinnen und Bürger, sich in möglichst vielen Situationen solidarisch zu zeigen und weiter die Maske zu tragen. Ich glaube an diese Vernunft; denn am Ende wird die Übernahme dieser Verantwortung mehr Menschen mehr Freiheit geben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Zweitens. Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger, sehr geehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger, wenn nicht schon geschehen, lassen Sie sich impfen. Wir haben gute Impfstoffe. Wir haben wirksame Impfstoffe. Impfen rettet Leben.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Durch eine höhere Impfquote, durch eine möglichst baldige Grundimmunisierung werden wir einen schnelleren Weg aus dieser schrecklichen Pandemie finden.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Das Wort hat Stephan Pilsinger für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
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