Michael RothSPD - Aktuelle Stunde - Lage in der Ukraine angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands
Liebe Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit Ihnen beginnen, den Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU. Ja, ich stimme Ihnen zu: Es ist Zeit für kritische Selbstreflexion, ja, es ist auch Zeit für Selbstkritik – aber nicht für Rechthaberei und billige Ablenkungsmanöver vom eigenen Versagen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Reden Sie über sich?)
Wenn Ihre Finger auf diese Koalition gerichtet sind, dann weisen dutzendfach Finger auf Sie zurück.
(Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Hören Sie doch auf!)
Fragen Sie doch bitte mal den CSU-Vorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten! Reden Sie mal mit dem sächsischen Ministerpräsidenten!
(Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt kommen die Menschen an!)
Sprechen Sie im Übrigen auch mit der Bundeskanzlerin, die diese Politik seit Jahren geprägt hat! Und sprechen Sie auch mal mit Ihrem ehemaligen Kanzlerkandidaten Laschet, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Was ist denn mit Ihrer Verantwortung?)
Ich habe nach dem Fall der Mauer den Kriegsdienst verweigert – wie im Übrigen viele andere Männer auch. Ich hätte mir nach 24 Jahren Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag nicht vorstellen können, nicht nur humanitäre Hilfe für die Ukraine, nicht nur eine großzügige Aufnahme von Geflüchteten einzufordern, sondern auch Waffen – Waffen, damit sich dieses Land, das von einem brutalen Aggressor angegriffen wird, selbst verteidigen kann. Dafür stehe ich ein, und dafür tragen wir gemeinsam die Verantwortung. Wir müssen überlegen, wie wir diese Ukraine, die um ihr Überleben kämpft, noch weiter und besser unterstützen können; denn ich bin mir ziemlich sicher: Nur eine wehrhafte Ukraine kann Putin überhaupt zu ernsthaften Verhandlungen über einen Waffenstillstand bewegen. Putin will die ganze Ukraine. Nur aus einer Position der Stärke heraus hat die Ukraine eine Chance,
(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Das stimmt!)
diesen gewalttätigen Prozess, der ausschließlich von Putin ausgeht, zu überleben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Das stimmt!)
Die Ukraine hat um eine EU-Perspektive gebeten. Ich unterstütze dies: Aus Nachbarinnen und Nachbarn müssen Mitbewohnerinnen und Mitbewohner des Hauses Europäische Union werden.
(Zuruf von der AfD: Wird nie passieren!)
Ich warne aber vor Symbolpolitik. Dieses Angebot muss ehrlich und muss klar sein. Wir müssen aus den Fehlern lernen, die wir gegenüber dem westlichen Balkan gemacht haben, wo das Kosovo heute noch auf Visaliberalisierung wartet, wo Nordmazedonien und Albanien heute noch darauf warten,
(Zuruf von der CDU/CSU: Da waren Sie in der Regierung, Herr Staatsminister!)
dass die Beitrittsverhandlungen endlich aufgenommen werden; weil Bulgarien nach wie vor blockiert. Ich hoffe, dass es uns gelingt, auch neue, kreative Formen der Zusammenarbeit zu finden, beispielsweise als Vorstufe zu einer Vollmitgliedschaft eine Juniormitgliedschaft, damit diese Menschen, die sich nach unseren europäischen Werten sehnen, spüren, dass wir sie nicht alleinlassen; denn sie gehören zu uns. Das ist eine Bürgerinnen-und-Bürger-Bewegung, die es ja schon seit vielen Jahren gibt. Ich finde, dass jetzt die Zeit ist, ihnen zu sagen: Unsere Türen sind geöffnet, sie bleiben geöffnet, aber es ist ein langer und schwieriger Weg.
Ich will darüber hinaus auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen, der mich ein wenig stört. Es wird nicht nur in Deutschland, sondern überall in Europa darüber spekuliert: Wie könnte denn ein möglicher Kompromiss aussehen, der für die Ukraine annahmefähig wäre? Was ich vermisse, ist die Frage: Wie könnte eigentlich ein Kompromiss für Russland aussehen? Was muss denn Russland tun, damit es zu einer friedlichen Lösung im östlichen Europa kommt? Ich kann vor Spekulationen nur warnen. Unsere ukrainischen Freundinnen und Freunde wissen selbst am besten, was in dieser schwierigen Situation zu tun ist, sie brauchen keine öffentlichen Ratschläge von Politikerinnen und Politikern aus Brüssel, aus Berlin oder aus anderen europäischen Hauptstädten.
Und, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Ukraine ist kein Brot, von dem ein machthungriger Diktator sich einfach mal ein paar dicke Scheiben abschneiden kann. So funktioniert das nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen!
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wenn die Ukraine verliert, dann haben auch wir verloren. Wenn die Ukraine überlebt, dann gewinnen auch unsere Werte,
(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Das stimmt!)
dann gewinnen Freiheit und Menschenrechte und Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gegen Autoritarismus,
(Zuruf des Abg. Martin Reichardt [AfD])
der zum schlimmsten Mittel und zur schlimmsten Geißel greift, nämlich dem Krieg. Das müssen wir gemeinsam abwenden. Deswegen wäre bei allem notwendigen Streit auch ein Zeichen der Zusammenarbeit und des Zusammenhalts in diesen schwierigen Zeiten nicht nur für die Europäische Union, sondern vielleicht auch für diesen Deutschen Bundestag ganz hilfreich.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Richtig! Das liegt aber nicht an uns!)
Für die Unionsfraktion spricht Florian Hahn.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7534150 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 20 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde - Lage in der Ukraine angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands |