Torsten HerbstFDP - Einsetzung eines Parlamentarischen Beirats für gleichwertige Lebensverhältnisse
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, ich kenne niemand hier im Plenum, der gegen gleichwertige Lebensverhältnisse ist; aber ich sehe, die Mehrzahl der Fraktionen ist der Meinung: Dafür brauchen wir kein zusätzliches parlamentarisches Gremium.
(Beifall bei der FDP)
Ich finde es schon etwas überraschend, dass ausgerechnet die Union entdeckt, dass man das Thema jetzt anders behandeln muss. Sie hatten 16 Jahre das Kanzleramt, sie stellten über viele Jahre auch den Ostbeauftragten, und jetzt fällt Ihnen ein, man müsse alles ganz anders machen: Guten Morgen, liebe CDU und CSU!
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Ich glaube, wir haben fraktionsübergreifend den Konsens, dass wir wollen, dass es in ganz Deutschland für alle Bürgerinnen und Bürger gleiche Lebenschancen und gleichwertige Lebensverhältnisse gibt, und zwar egal ob man in einem kleinen Dorf wohnt oder in einer Metropole, ob man in Ost oder West wohnt, in Nord oder Süd, weil es um ganz praktische Dinge geht. Es geht um Zugang zu Mobilität und zu bezahlbarem Wohnen; es geht um schnelles Internet, attraktive Arbeitsplätze, Kultur, Gesundheit, Bildung und Sport. Es geht im Kern um all das, was ein attraktives Leben vor Ort ausmacht. Und ja, ich glaube, wir alle wollen, dass es in ganz Deutschland attraktive Lebensverhältnisse gibt, die gleichwertig sind, aber nicht gleich, meine Damen und Herren.
Denn es gibt Unterschiede, und es gibt auch Unterschiede, die man beim besten Willen auch durch Politik nicht wettmachen kann. Wer hier in Berlin-Mitte wohnt, hat einen anderen Zugang zu Kultur und zum ÖPNV als jemand, der in der Eifel oder auf dem Erzgebirgskamm wohnt. Wir sollten auch nie vergessen: Dieses Land ist vielfältig. Es geht um gleichwertige Lebensverhältnisse, nicht um gleiche Lebensverhältnisse.
(Beifall bei der FDP)
Deswegen werbe ich auch dafür, dass wir bei aller politischer Argumentation, die wir hier führen, bei allen politischen Entscheidungen, die wir treffen, diese nicht nur aus dem Blickwinkel von Berlin-Mitte treffen, sondern auch daran denken, dass es die Krankenschwester im Erzgebirge gibt, die im Schichtdienst in einem Krankenhaus arbeitet und darauf angewiesen ist, dass sie mit ihrem kleinen Auto in dieses Krankenhaus zum Schichtdienst kommt; denn dort gibt es kein entsprechendes ÖPNV-Angebot. Das gibt es heute nicht, und das gibt es voraussichtlich auch in den nächsten drei oder vier Jahren nicht. Deswegen müssen wir Politik für das ganze Land machen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP)
Die letzte Bundesregierung hatte ja 2018 eine Kommission eingesetzt, die sich mit dem Thema „gleichwertige Lebensverhältnisse“ beschäftigt hat und die Ergebnisse vorgelegt hat. Wann? Im Jahr 2019. Jetzt frage ich mal in Richtung Union: Wenn diese Ergebnisse schon so lange vorliegen, wieso kommen Sie eigentlich erst jetzt auf die Idee, dass man diese Ergebnisse in Form eines neuen parlamentarischen Gremiums aufgreifen muss?
(Manuel Höferlin [FDP]: Das frage ich mich auch!)
Ich habe da so meine kleine Vermutung: Könnte es sein, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, dass ganz wesentliche Themen im Verantwortungsbereich Ihrer Minister und Ihres Kanzleramtes unter Unionsführung lagen?! Ich denke mal an das Thema Internet, an das Thema „attraktive Jobs in strukturschwachen Regionen“ und an die Verkehrsinfrastruktur. Ich habe den Eindruck: Die Defizite, die Sie jahrelang in Ministerien und im Kanzleramt zu verantworten hatten, versuchen Sie jetzt einer seit Kurzem im Amt befindlichen Bundesregierung anzuhängen. Ich sage Ihnen: Da machen wir aber nicht mit!
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Meine Damen und Herren, wir sind die viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt und bei verschiedenen internationalen Vergleichen müssen wir uns eigentlich schämen. Wenn wir uns den Anteil von Glasfaseranschlüssen anschauen: Südkorea 80 Prozent, Deutschland 5 Prozent. Funktionierendes E-Government: Man ist ja in Deutschland schon froh, wenn man irgendwo eine Onlineterminvereinbarung bekommt. Die Esten und Dänen lachen über uns, übrigens mittlerweile auch viele osteuropäische Länder, die entscheidend weiter sind als wir. Schnellere Planungsverfahren für Verkehrsinfrastruktur: Für den Fehmarnbelt bekommt man in Dänemark nach sieben Jahren Baurecht. Wir brauchen Jahrzehnte statt Jahre. Meine Damen und Herren, das kann so nicht weitergehen.
(Beifall bei der FDP)
Ich kann Ihnen eins sagen: Wir werden die Baustellen, die Sie hinterlassen haben, jetzt konsequent angehen. Wir krempeln die Ärmel hoch. Wir wissen, dass das alles nicht einfach ist, alles auch nicht schnell abzustellen ist. Aber ich sage Ihnen Folgendes: Wir haben den Willen und die Entschlossenheit. Wir werden diese Defizite nicht länger akzeptieren, weil sie einem attraktiven Land, weil sie gleichwertigen Lebensverhältnissen im Weg stehen, meine Damen und Herren.
Die gleichwertigen Lebensverhältnisse haben nicht nur eine Bedeutung, weil sie in unserer Verfassung, in unserem Grundgesetz, stehen, sondern auch ganz praktisch. Das zeigt sich, wenn wir uns beispielsweise die Wohnungsmärkte in Ballungsräumen anschauen. Wir haben ein Interesse, dass auch das Wohnen im ländlichen Raum attraktiv ist.
Aus all diesen Gründen, meine Damen und Herren, gehört das Thema „gleichwertige Lebensverhältnisse“ dort bearbeitet, wo Entscheidungen getroffen werden, nämlich in Fachausschüssen unseres Parlaments und in der Bundesregierung. Wir brauchen dafür keinen neuen Parlamentarischen Beirat.
(Beifall bei der FDP und der SPD)
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Michael Kießling.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7534176 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 20 |
Tagesordnungspunkt | Einsetzung eines Parlamentarischen Beirats für gleichwertige Lebensverhältnisse |