16.03.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 20 / Zusatzpunkt 6

Thomas HeilmannCDU/CSU - Abschaltung von Kernkraftwerken

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Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Viel Publikum hat der Antrag nicht verdient. Der Antrag der AfD disqualifiziert sich schon deswegen, weil er mit einer moralisch wirklich absurden Gewichtung beginnt. Im ersten Absatz fangen Sie mit einem komplizierten, grammatikalisch unzureichenden Satzgewirr an,

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Deutsche Sprache, schwere Sprache!)

mit dem Sie vor allen Dingen eines vermeiden: Sie nennen nicht klar den Schuldigen beim Namen. Russland führt einen entsetzlichen, brutalen völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine.

(Karsten Hilse [AfD]: Hier geht es um Kernkraftwerke, nicht um Krieg!)

– Natürlich geht es auch um den Krieg und dessen Folgen; das ist doch Ihre eigene Argumentation.

Besonders krass ist Ihr Fehltritt – anders kann man es nicht sagen – im ersten Satz der Begründung Ihres Antrages. Schuld an den steigenden Energiekosten sind danach der „völkerrechtswidrige Angriff auf die Ukraine“ – Sie vermeiden den Begriff „Krieg“ – und gleichbedeutend daneben die „Waffenlieferungen Deutschlands“.

(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hoi!)

Ja, geht’s noch? Es ist traurig, dass man das feststellen muss.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Karsten Hilse [AfD]: Reden Sie doch einfach mal zur Sache, zu Kernkraftwerken!)

– Das ist zur Sache.

(Karsten Hilse [AfD]: Das ist doch nur moralisches Gequatsche!)

– Entschuldigen Sie, ich widerspreche der Begründung Ihres Antrages.

Kollege Heilmann, ich habe die Uhr angehalten. – Ich sage es nur einmal, Herr Hilse: Auch bei Zwischenrufen ist die Maske vollständig die Nase und den Mund bedeckend zu tragen. – So, Sie haben wieder das Wort.

Danke, Frau Präsidentin. – Ich sage es noch mal: Ich widerspreche Ihrem Antrag, in dem steht, dass die Waffenlieferungen Deutschlands genauso schuld seien wie der Angriffskrieg der Russen. Dieser Wertung kann man nur widersprechen. Es ist auch bezeichnend, dass Sie offensichtlich nicht in der Lage sind, Putins Krieg als das zu bezeichnen, was er ist, nämlich ein Kriegsverbrechen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN – Enrico Komning [AfD]: Darum geht es doch gar nicht!)

Aber nicht nur die Einleitung Ihres Antrags ist vollständig verfehlt. Zum mittlerweile vierten Mal in dieser Legislaturperiode mit teilweise gleichen Formulierungen unterstützen Sie die Kernkraft. Sie wollen den Ausbau der Kernenergie grundsätzlich, wie Sie sagen, als langfristige Lösung.

(Zuruf von der AfD: Das ist korrekt!)

Das wird nicht richtiger, auch wenn Sie es wiederholen.

Ich lehne Ihr Wertesystem ab. Deswegen will ich es mit ökonomischen Argumenten versuchen. Erstens sagen Sie: Erneuerbare Energien tragen nicht zur Netzstabilität bei und seien unzuverlässig.

(Zuruf von der AfD: Das ist korrekt!)

Vielleicht hören die Vertreter der AfD, Herr Kaufmann und Herr Bernhard, mal der Bundesnetzagentur zu, wenn sie schon im Beirat sitzen. Sie zeigt nämlich immer wieder auf, dass der dezentrale Aufbau eines Netzes sicherer ist als der zentrale.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deswegen ist in den letzten Jahren die Energiestabilität auch nicht zurückgegangen.

Kernkraft ist auch nicht günstiger, im Gegenteil. Sie ist schon immer hochsubventioniert gewesen, in Deutschland und auch in Frankreich. Sie überträgt sehr entscheidende Folgekosten auf die Allgemeinheit. Vor allen Dingen wird sie immer teurer.

Es werden wenige Atomkraftwerke neu gebaut. In Finnland ist gerade eines nach 13 Jahren Verspätung fertiggestellt worden und hat nicht 3 Milliarden, sondern 10 Milliarden Euro gekostet. In Frankreich sollte Flamanville 3 in der Normandie 2012 ans Netz gehen. Es ist immer noch nicht am Netz und wird nicht 3,4 Milliarden Euro kosten, sondern 19 Milliarden Euro.

(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Oi!)

Kollege Heilmann, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Abgeordneten Hilse?

Bitte.

(Marianne Schieder [SPD]: Oh nein! – Gegenruf des Abg. Enrico Komning [AfD]: Oh doch!)

Vielen Dank, werter Herr Heilmann, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Das zeigt Rückgrat; im Gegensatz zu vielen anderen hier.

(Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh Gott!)

Die CDU/CSU-Fraktion wird morgen einen Antrag einbringen, in dem sie die Bundesregierung unter anderem auffordert, ohne ideologische Scheuklappen zu prüfen, ob die Kernkraft in den nächsten Jahren zur Netzstabilität, also zur Versorgung der Bundesrepublik, beitragen kann.

(Zuruf von der AfD: Hört! Hört!)

Das heißt, Ihre Fraktion, zumindest Ihre Energiepolitiker, fordern abgeschwächt genau das, was wir fordern: Wir fordern den Wiedereinstieg bzw. den Nichtausstieg. Sie fordern eine von Ideologie befreite Überprüfung der wirtschaftlichen Aspekte, ob die Kernenergie in den nächsten Jahren zur Stromversorgung der Bundesrepublik beitragen kann. Das entspricht jetzt nicht unbedingt dem, was Sie hier gerade vortragen. Wie ergibt sich diese Diskrepanz?

(Beifall bei der AfD)

In unserem Antrag, den Sie zu Recht in dem Zusammenhang wiedergeben, fordern wir, zu prüfen, ob der temporäre Weiterbetrieb von in diesem Jahr abzuschaltenden Kernkraftwerken Sinn macht.

(Beatrix von Storch [AfD]: Ach nee!)

Das ist aber etwas anderes als das, was Sie sagen. Erstens haben wir eine andere moralische Wertung, wie ich vorhin dargestellt habe.

(Beatrix von Storch [AfD]: Himmelherrgott!)

– Na ja, die Frage „Wer ist schuld an diesem Krieg?“ ist ja nicht zufällig von Ihnen nie erwähnt worden, weil Sie von Herrn Putin bisher unterstützt wurden,

(Karsten Hilse [AfD]: Es geht um den Fakt!)

zu ihm hingereist sind und hier immer der große Wortführer für Herrn Putin waren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Beatrix von Storch [AfD]: Dummes Zeug!)

Zurück zu Ihrer Frage. Zweitens. Wir glauben, dass Atomenergie keine dauerhafte Lösung für die Probleme der Energielieferung oder der Stromerzeugung in Deutschland ist, und zwar aus Kostengründen und aus vielen weiteren Gründen.

Nun ist es denkbar, dass die drei Atomkraftwerke länger laufen, um einen in der Tat kleinen, wirklich kleinen Beitrag zur Energiestabilität zu leisten. Warum ist es nur ein kleiner Beitrag? Das muss man auch mal dazu sagen: weil wir ein Wärmeproblem haben. Wir haben ein Gasproblem und kein Stromproblem.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Natürlich wird Gas auch verstromt, und da könnte man ein bisschen sparen; deswegen könnte es Sinn machen.

(Zuruf des Abg. Timon Gremmels [SPD])

Ich möchte noch auf einen weiteren Punkt in Ihrer Frage eingehen.

(Karsten Hilse [AfD]: Ach so, ich habe gedacht, Sie sind fertig!)

– Nein, nein.

(Marianne Schieder [SPD]: Zum Zuhören kann er die Maske wieder raufziehen!)

Wir haben den Antrag gestellt, weil man sich auf den fünf Seiten, die die Bundesregierung dazu verfasst hat, nur mit den Problemen beschäftigt hat und Lösungen erst gar nicht gesucht hat.

(Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Ja, genau!)

Das ist natürlich das Gegenteil von Ergebnisoffenheit. Und, Herr Blankenburg, Sie haben eben letztlich auch gesagt, dass Sie das nicht wollen; Sie haben mit den Leuten, die davon was verstehen, gar nicht gesprochen.

(Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Richtig!)

Die Betriebsräte haben Sie nicht befragt, Sie haben mit der Reaktor-Sicherheitskommission und mit den Betrieben, die die Brennstoffe liefern, nicht gesprochen. Die haben sich bei mir gemeldet und gesagt: Wir könnten das viel schneller als in 18 Monaten liefern. Wir haben dazu Ideen. – Die sind gar nicht angehört, geschweige denn sind deren Vorschläge behandelt worden. So kann eine ergebnisoffene Prüfung, die Sie ja selber versprochen haben, nun auch wieder nicht aussehen.

(Beifall der Abg. Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU])

Das ist einer unter vielen Punkten.

In Ihrem Antrag heißt es: Atomenergie ist die alleinige Lösung der Energiekrise. – Dazu kann ich Ihnen sagen: Das ist weder in der Begründung noch im Ergebnis akzeptabel.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Bevor Sie Ihre Frage gestellt haben, war ich gerade dabei, vorzurechnen, warum Atomenergie nicht wirtschaftlich ist. Bloomberg hat bekanntermaßen auch einen Research-Dienst, und der hat ausgerechnet, dass, wenn man die vergangenen Baukosten heranzieht, die vollen Kosten bei 37,8 Cent pro Kilowattstunde und zukünftig, weil die Baupreise so stark steigen, tatsächlich bei 46 Cent pro Kilowattstunde liegen. Das ist vollständig aus dem Markt gepreist und übrigens sehr viel teurer als alles das, was man bei erneuerbaren Energien mit Speichern und Netzleitungen wohl jemals wird bezahlen müssen. Das heißt, es ist ökonomisch nicht sinnvoll.

Im Übrigen, selbst wenn man eine politische Mehrheit für Atomenergie bekommt und man die ganzen moralischen Bedenken, die es gibt, alle mal beiseitelegt: Glauben Sie im Ernst, dass wir in den nächsten 20 Jahren genug Atomkraftwerke in Deutschland bauen können? Das ist doch eine reine Scheindebatte. Das wird doch niemals so schnell gehen, dass wir unsere Energieprobleme, weder die ganz akuten wegen des Ukrainekrieges noch die mittelfristigen wegen des Klimawandels, werden lösen können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Im Übrigen – das ist mein letzter Gedanke – denkt die deutsche Wirtschaft auch ganz anders als Sie. Die sagen: Wir wollen die Erneuerbaren haben, und zwar so schnell wie möglich;

(Marianne Schieder [SPD]: Ganz genau!)

unsere Sorge ist, dass der Staat nicht schnell genug ist. – Wir in der Union haben eine Menge Ideen gehabt, wie man Genehmigungsverfahren beschleunigen kann. Wir sind gerne bereit, die Regierung dabei zu unterstützen.

(Zuruf der Abg. Marianne Schieder [SPD])

Abschließend: Die Lage in der Ukraine ist furchtbar. Wir sollten bitte keine Scheindebatten führen, auch nicht über die Prüfungsfrage, ob man Atomkraftwerke nicht doch kurzfristig länger laufen lassen kann.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Stefan Wenzel das Wort.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7534197
Wahlperiode 20
Sitzung 20
Tagesordnungspunkt Abschaltung von Kernkraftwerken
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