17.03.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 21 / Tagesordnungspunkt 8

Nico TippeltFDP - Vereinbarte Debatte - 30 Jahre Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Mitglieder der Enquete-Kommission! Es ist für mich eine große Ehre, hier meine erste Rede zu diesem Thema in einem frei gewählten Parlament, hier im Hohen Hause, halten zu dürfen.

Ich möchte eine kleine Episode aus dem biografischen Gedächtnis meiner Familie voranstellen – erlebt inmitten der DDR. Wir, meine Familie, haben einen christlichen Hintergrund. Meine Schwester wurde damals im Rahmen ihrer Berufsorientierung zu ihrem Schuldirektor vorgeladen. Gleichzeitig anwesend waren ihr Klassenlehrer und der SED-Parteisekretär der Schule. Die damals noch Minderjährige fand sich dort massiv mit weltanschaulichen Fragen konfrontiert: Ob ihre Oma das wolle, dass sie sich konfirmieren lasse usf. Mit der Verpflichtung, dass sie auf ihre Bewerbung mit dem Berufswunsch Lehrerin verzichtet. Christen sollten keine Lehrer werden in der DDR.

Mein Vater und meine Mutter sind damals Sturm gelaufen gegen diese Verfahrensweise, welche exemplarisch für den Umgang des SED-Regimes der DDR mit Andersdenkenden war. Und so habe ich eine ganze Reihe Freunde, denen trotz bester schulischer Leistungen verwehrt worden ist, eine weiterführende Schulbildung im SED-Regime anzugehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, schon sind wir mitten in diesem Thema, und es stellt sich die zentrale Frage: Wieso ist es so wichtig, vergangenes Unrecht aufzuarbeiten? Immer wieder wird unsere Demokratie vor neue Herausforderungen gestellt. Vor über 30 Jahren erlebten Deutschland und Europa eine Welle der Euphorie, als der Eiserne Vorhang fiel. Ein Historiker, wie es schon angeklungen ist, stellte gar die These vom Ende der Geschichte auf.

Gerade in diesen Wochen erleben wir jedoch, dass die Geschichte uns in Europa nicht in Ruhe lässt. Viele von uns in Deutschland – und wir haben Präsident Selenskyj heute Morgen eindringlich erlebt – hätten einen Krieg wie den Russlands in der Ukraine nicht mehr für möglich gehalten.

Einen Satz habe ich in letzter Zeit wieder häufiger gehört: „Man muss nur lange genug gelebt haben, um zu sehen, wie sich Geschichte wiederholt.“ Die Erkenntnis unterstreicht aus heutiger Sicht, warum Aufarbeitung und Bewältigung der Vergangenheit so wichtig sind, warum wir uns gerade den weniger schönen Seiten unserer Geschichte zuwenden und stellen müssen.

Der Enquete-Kommission von 1992 bis 1994 kam erstmals die Aufgabe zu, sich nicht nur um die justizielle Aufarbeitung zu bemühen, sondern die Täter und Akteure im DDR-System zu benennen. Bei dieser Aufarbeitung ging es auch um die Glaubwürdigkeit unserer gemeinsamen demokratischen Institutionen und darum, wie unser Staat und unsere Gesellschaft mit vergangenem Unrecht umgehen. Die Bürger, die immer wieder die Aufarbeitung von SED-Unrecht gefordert haben, haben unserer Gesellschaft einen großen Dienst erwiesen. Sie verdienen nach wie vor unsere Unterstützung.

Die beiden Enquete-Kommissionen haben durch ihre engagierte Arbeit aufgezeigt: Die Aufarbeitung der SED-Herrschaft ist ein gesamtdeutsches Thema, ein Thema, welches uns alle angeht. Und ich bin dankbar, dass sich dadurch auch Familien in Ost und West wieder nähergekommen sind.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Der Kollege Dr. Jonas Geissler hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7534286
Wahlperiode 20
Sitzung 21
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte - 30 Jahre Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
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