17.03.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 21 / Tagesordnungspunkt 8

Jonas GeisslerCDU/CSU - Vereinbarte Debatte - 30 Jahre Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe vor nicht ganz vier Wochen gesehen, dass der Tagesordnungspunkt „30 Jahre Enquete-Kommission“ heute aufgerufen wird. Ich habe mich aktiv darum bemüht, sprechen zu dürfen, und zwar habe ich das aus einem Grund gemacht: Ich habe am Vorabend des letztjährigen Reformationstags das große Privileg gehabt, Rainer Eppelmann in Coburg kennenlernen zu dürfen. Er hat aus seinem Leben erzählt; er hat aus seiner politischen Laufbahn erzählt. Er hat in unglaublich großen Worten die kleinen Geschichten der DDR geschildert.

Herr Eppelmann, mich hat das wahnsinnig berührt. Vor allen Dingen haben Sie einen Satz gesagt, der sich mir ins Gedächtnis eingebrannt hat; ich würde ihn mit Erlaubnis der Präsidentin zitieren. Als Sie Bürger der DDR waren, hat Vaclav Havel zu Ihnen gesagt: Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass es Sinn macht, egal wie es ausgeht. – In meinen Augen ist diese Überzeugung die passendste Definition von Mut, die man sich überhaupt nur aussuchen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Linda Teuteberg [FDP])

Es ist eine Definition vom Mut derjenigen, die auf die Straße gegangen sind. Es ist eine Definition vom Mut, gegen ein Unrechtsregime einzustehen. Es ist eine Definition vom Mut, gegen die Feinde der Freiheit hoffnungsvoll aufzustehen.

Als die Enquete-Kommission vor 30 Jahren eingerichtet wurde, waren die Befürchtungen einer parteiischen Aufarbeitung groß. Ich glaube, der 30 000-seitige Abschlussbericht der beiden Kommissionen zeigt, dass diese Befürchtungen absolut unbegründet waren. Rita Süssmuth hat es damals als „einzigartiges Zeugnis der Vergewisserung gerade eben erlebter Vergangenheit“ dargestellt. Am eindrucksvollsten in diesen Seiten sind und bleiben aber die Schilderungen der Opfer des Regimes, des Leids, das erlitten wurde.

Als in der damaligen Debatte zur Entgegennahme des Abschlussberichts der Initiator der Enquete-Kommission, Markus Meckel – ich freue mich sehr, dass Sie da sind –, resümiert hat: „Leid kann nicht rückgängig gemacht, verlorene Lebenschancen können nicht zurückgegeben werden“, war das ein Auftrag für uns alle – den wir mitnehmen müssen –, dass sich Geschichte in Zukunft eben nicht wiederholt.

Sepp Müller hat vorhin gesagt, er kann sich selber nicht an die DDR erinnern, weil er zu jung ist. Ich bin 37; ich kann mich noch an die DDR erinnern, weil mein Wahlkreis direkt an der innerdeutschen Grenze liegt. Wenn ich als Kind mit meinem Papa von Kronach nach Coburg gefahren bin, dann war da eine scharfe Kurve, wo ein großer Grenzturm stand. Ich habe damals mit den Augen eines Kindes gefragt: Papa, was ist das? Mein Vater hat mir gesagt: Das ist die Grenze. Dann habe ich gefragt: Was ist auf der anderen Seite? Dann hat er gesagt: Da sind auch Deutsche. Dann habe ich gesagt: Fahren wir da doch hin! Dann hat er gesagt: Das ist leider nicht so einfach. – Diese Erinnerungen haben sich bei mir so tief eingebrannt.

Dann kam die Kindheit, wo du erlebst, wie ein Volk zusammenwächst, wie die ersten Schulfreunde von ihren Fluchtgeschichten, die sie früher erlebt hatten, erzählt haben, wie du – ich wohne ja auf der bayerischen Seite der Grenze – Freunde hattest, die ganz komisch geredet haben, Thüringisch, und die dann deine besten Freunde wurden,

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

weil du auf einmal gemerkt hast: Wir wachsen zusammen. Die Jahre, wo wir uns selbst als Ossis oder Wessis definiert haben, geraten in Vergessenheit.

Wenn wir heute in diesem Haus stehen, dann müssen wir uns bewusst machen, was der Deutsche Bundestag eigentlich ist.

Herr Kollege, Ihre Redezeit war abgelaufen. Und bevor Sie noch weiter über „komisches Thüringen“ reden,

(Heiterkeit bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)

sage ich Ihnen als Thüringerin: Kommen Sie doch bitte zum Schluss!

Ich komme zum Schluss. – Wir werden uns auch in Zukunft weiter erinnern, und dafür bitte ich Sie alle um Ihre Unterstützung.

Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Marc Jongen [AfD])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7534287
Wahlperiode 20
Sitzung 21
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte - 30 Jahre Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta