Volker UllrichCDU/CSU - Meinungsfreiheit in Sozialen Medien
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der AfD lautet „Meinungsfreiheit schützen – Keine Zensur von Telegram“. Der Antragstext zeigt die eigentliche Intention der AfD, nämlich die Erzählung zu bedienen, Meinungsfreiheit sei in unserem Land nicht mehr in dem Umfang gegeben, und sie sei in Gefahr. Aber diese Erzählung ist falsch. Das hat einen anderen Hintergrund: Sie wollen damit das Vertrauen in die Institutionen unseres Staates erschüttern
(Fabian Jacobi [AfD]: Das besorgen Sie schon!)
und auf diesem erschütterten Vertrauen ihre eigene Agenda aufsetzen, die diesen Staat beseitigen oder zumindest verändern möchte. Das dürfen und werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Die Meinungsfreiheit ist übrigens in Russland gefährdet, wenn die Rede über Krieg mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden kann. Aber dazu schweigen Sie. Diese Distanzlosigkeit fällt auf Sie zurück.
Die Meinungsfreiheit ist elementar für einen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat. Sie ist auch sehr weitgehend, gar keine Frage. Aber die Aufrufe zu Mord und Gewalt,
(Enrico Komning [AfD]: Verurteilen wir!)
Beleidigungen, Holocaustrelativierungen und Holocaustleugnungen, das Anbieten von Kinderpornografie oder von Drogen fallen nicht unter Meinungsfreiheit, sondern das sind Straftaten, die mit der gesamten Härte des Rechtsstaats aufgeklärt und verfolgt werden müssen, egal wo sie passieren.
(Beifall bei der AfD)
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz schützt übrigens die freie und offene Gesellschaft.
Kollege Ullrich, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der AfD-Fraktion?
Vielen Dank, Kollege Dr. Ullrich. – Sie sprachen eben sehr pauschal von der Meinungsfreiheit und von der Freiheit des Geistes. Sie sollten auch noch Kontakt zur Forschung und zu Universitäten haben. Ist Ihnen bekannt, dass junge Anwärter, aber auch Professoren, die sich mit durchaus strittigen Themengebieten beschäftigen, berichten, dass es heute die wissenschaftliche Karriere behindern oder zerstören kann, a) in Universitäten die „falschen“ Fragen zu stellen und b) vielleicht auch die – aus der jeweiligen Sicht – „falsche“ Meinung zu äußern? Uns wurde in Vieraugengesprächen gesagt, dass sich viele Professoren bestimmter Forschungsgebiete – das geht vom strittigen Thema der Klimapolitik bis zu den Wirtschaftswissenschaften – derzeit durchaus überlegen, ob sie ihre Meinung zu ihrem Forschungsgebiet überhaupt äußern oder diese publizieren. Ist Ihnen das bekannt? Wollen Sie das leugnen? Dazu hätte ich gerne Ihre Meinung gehört.
Herr Kollege, Sie bestätigen mit Ihrer Einlassung meine eingangs formulierte These, nämlich dass Sie versuchen, mangelndes Vertrauen in die Institutionen zu schüren, indem Sie die Erzählung, die Meinungsfreiheit sei gefährdet, immer und immer wieder bringen, weil es in Ihre Agenda passt. Wer eine abseitige Meinung äußert, darf diese äußern, aber er hat kein Recht auf Widerspruchsfreiheit.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Meinungen, die abseitig sind, muss man mit offenem Widerspruch entgegnen; das gehört zum Diskurs einer Gesellschaft dazu. Sie haben keinen Anspruch darauf, dass Ihre Meinung als die Meinung anerkannt wird. Entscheidend ist, dass eine offene Gesellschaft den Diskurs führt. Um nichts anderes geht es.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Gabriele Katzmarek [SPD]: Verstehen die nicht, wollen die auch nicht!)
Die große Frage ist, ob das Netzwerkdurchsetzungsgesetz auch auf Telegram anwendbar ist oder nicht. Im Text des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes steht, dass die Individualkommunikation davon nicht betroffen ist. So weit, so gut. Der Punkt ist aber, dass sich auf Telegram mittlerweile Gruppen gebildet haben, die bis zu 200 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben. In diesen Gruppen wird geteilt und kommentiert. Diese Gruppen haben eindeutig den Charakter eines sozialen Netzwerkes, weil hier Meinung dargestellt, kommentiert und verbreitet wird. Deswegen gilt ganz klar: Auch Telegram kann sich den deutschen Gesetzen nicht entziehen, sie brauchen einen Zustellungsbevollmächtigten, und sie müssen sich an die deutsche Rechtsordnung halten. Das Bundesjustizministerium hat unsere Unterstützung, wenn es darum geht, die elementaren Voraussetzungen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes auch einzuhalten.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wenn man nun den vorliegenden Antrag der AfD liest, dann stellt man fest: Sie sprechen im Antragstext auch über islamistischen Terror und über Terroristen, die sich über das Netzwerk Telegram ausgetauscht haben – das ist zutreffend –, zum Beispiel die Attentäter vom Breitscheidplatz. Allerdings ist auch das Video der Tat des Attentäters von Halle in Gruppen, die den White Supremacists zugeordnet sind, verbreitet worden. Mich hat das sehr nachdenklich gemacht, dass Sie in einem Antrag zu Telegram über islamistischen Terror gesprochen haben, aber zu den Auswüchsen der rechtsextremen Bedrohung vollständig geschwiegen haben.
(Beifall der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])
Das ist nicht naiv, das ist unverzeihlich, weil Sie diese damit indirekt billigen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN – Zuruf von der AfD: Völliger Unsinn!)
Es ist nicht das Netzwerk selbst, das im Mittelpunkt der Debatte steht; denn das Netzwerk postet nicht selbst, sondern es sind Menschen und Nutzer, die posten. Deswegen muss der Ansatz sein, dass diejenigen, die gegen die Strafgesetze verstoßen, zur Rechenschaft gezogen werden, dass aber der Diskursraum offen bleiben muss.
(Enrico Komning [AfD]: Ja!)
Aber es fängt nicht nur bei der Frage an, wie wir soziale Medien und Netzwerke regulieren müssen, sondern es geht auch um die Deradikalisierung in der Gesellschaft selber. Warum radikalisieren sich Menschen? Warum ist man bereit, einen Mordaufruf zu starten? Über diese Fragen müssen wir uns in der Gesellschaft unterhalten. Es geht auch um die Frage, wie wir Filterblasen verhindern können, um Emotion und Hass. Es geht um einen angstfreien Diskurs, um Rede und Gegenrede. Es geht um die Verwirklichung von Demokratie und von Teilhabe. Aber es geht nicht darum, wie Sie geschrieben haben, Meinungen zu verhindern. Das ist falsch, und dem treten wir entgegen. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Für die FDP-Fraktion hat nun der Abgeordnete Maximilian Funke-Kaiser das Wort.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7534304 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 21 |
Tagesordnungspunkt | Meinungsfreiheit in Sozialen Medien |