Robin MesaroschSPD - Meinungsfreiheit in Sozialen Medien
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Können Sie sich vorstellen, dass wir im Bundestag einen Antrag beschließen, der fordert: „In Freibädern sollen keine Regeln und Gesetze mehr gelten“ oder „In Stuttgart sollen keine Regeln und Gesetze mehr gelten“?
(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf der Straße!)
Das klingt doch sehr absurd. Aber es ist in etwa das, was die AfD heute in ihrem Antrag fordert, nur eben für den Messengerdienst Telegram.
Telegram ist erst mal ein Raum, in dem sich Menschen begegnen, wie in einem Freibad oder in Stuttgart, nur eben digital. Ich glaube, die meisten Menschen sind gut, freundlich und halten sich an Regeln. Ihretwegen bräuchte man wahrscheinlich gar nicht so viele Regeln. Aber wer öfter mal in Stuttgart oder in einem Freibad war, trifft auch dort Menschen mit schlechten Absichten. Und solche Menschen sind natürlich auch auf Telegram, und für solche Fälle brauchen wir Regeln.
Vielleicht gibt es auch AfD-Abgeordnete, die Regeln auf Telegram sinnvoll finden. Aber mit ihrem Antrag würde die AfD es unmöglich machen, dass wir als Gesellschaft, als Staat diese Regeln durchsetzen können. Und Regeln, die wir nicht durchsetzen können, sind keine Regeln. Und an Orten ohne Regeln kann jeder machen, was er will. Wo jeder machen kann, was er will, gibt es schließlich keine Freiheit mehr. Karl Popper nennt das das Freiheitsparadoxon, weil in so einer Welt die Starken die Schwachen tyrannisieren und die nicht frei sein können. Davon schreibt er in seinem Buch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“. Die Feinde unserer offenen Gesellschaft stehen nicht nur Modell für einen Buchtitel, sie sitzen auch in diesem Parlament. Sie haben heute einen Antrag gestellt, mit dem sie uns ein Stück weit unserer Freiheit berauben wollen.
Ein zweites Ziel dieses Antrags mag sein, den Zusammenhalt in der eigenen Anhängerschaft, in rechtsextremen Gruppen und Querdenkerströmungen zu stärken. Diese Gruppen funktionieren nur mit einem Feindbild und wenn sie sich selber als Opfer sehen können. Für die AfD soll dieser niederträchtige Feind – unter anderem – der Staat sein; der Staat, der gegen den Willen ihrer Anhänger Regeln auf Telegram durchsetzt.
Schauen wir uns an, wie es wirklich ist. Wer auf Telegram mit einem Freund hin- und herschreibt, genießt das Fernmeldegeheimnis. Hier dürfte auch die AfD zufrieden sein, selbst wenn sie es vielleicht nicht zugibt. Anders ist es bei den öffentlichen Telegram-Kanälen mit vielen Nutzerinnen und Nutzern. Diese Kanäle müssen wir als soziales Netzwerk begreifen, als öffentliche Kommunikation. Was sind sie denn sonst?
(Beifall bei der SPD)
Auf öffentlichen Telegram-Kanälen muss, weil sie ein soziales Netzwerk sind, dann auch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz anwendbar sein. Das bedeutet, der Betreiber von Telegram hat Pflichten. Er braucht unter anderem ein Beschwerdemanagement, er muss vierteljährlich berichten, und er muss offensichtlich rechtswidrige Inhalte löschen. Inzwischen muss der Betreiber dem Bundeskriminalamt auch melden, wenn der Verdacht auf beispielsweise Volksverhetzung besteht. Das bietet dem Staat Möglichkeiten, seine Gesetze durchzusetzen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Das stört Telegram, und das stört die AfD, aus jeweils unterschiedlichen Gründen.
Ich kann Telegram einiges abgewinnen: Die demokratischen Oppositionen in Belarus und im Iran organisieren sich dort, und sowieso nutzen Millionen ganz normale Menschen jeden Tag diesen Dienst.
(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)
Doch auch ich nehme wahr: Dort organisieren sich nicht nur Yogatreffs, sondern auch kriminelle Gruppen, organisierte Hetzer und Verschwörer. Verstoßen sie gegen unsere Gesetze, müssen wir ihre Machenschaften auch auf Telegram verbieten können. Darum brauchen wir das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, und wir halten es bei öffentlichen Telegram-Kanälen auch für einschlägig.
Auf europäischer Ebene müssen wir jetzt mit dem Digital Services Act vergleichbare Regeln EU-weit durchsetzen. Besonders wichtig ist uns: Plattformen wie Telegram sollen auch Straftaten gegen die Demokratie melden müssen. Zumindest müssen wir das auf nationaler Ebene in Deutschland so regeln können. Wir wollen überall – aus leidvoller Erfahrung – unsere Demokratie wehrhaft verteidigen können.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
„Für den Triumph des Bösen reicht es, wenn die Guten nichts tun!“, hat Edmund Burke mal gesagt. Mit diesem Antrag will die AfD nicht nur, dass wir nichts tun. Die AfD will, dass wir nichts tun können, und das wäre fatal. Die Welt lässt sich sicherlich nicht sauber in Gut und Böse einteilen. Aber eine Sache ist klar: Denen, die gegen Juden, gegen Muslime oder gegen andere Mitmenschen hetzen, sitzt unser Rechtsstaat auf der Pelle. Für sie darf es bei uns keinen Platz geben – nicht in Stuttgart, nicht im Freibad, nicht auf Telegram. Und wer sich schützend vor diese Hetzer stellt, für den sollte auch nicht Platz sein in unserem Parlament. Nie wieder.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Das Wort hat der Abgeordnete Matthias Helferich.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7534307 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 21 |
Tagesordnungspunkt | Meinungsfreiheit in Sozialen Medien |