17.03.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 21 / Zusatzpunkt 9

Rita Hagl-KehlSPD - Folgen der Ukraine-Krise für die Ernährungssicherheit

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Oma, bei der ich aufgewachsen bin, war Jahrgang 1923. Sie hatte Zeit ihres Lebens Angst vor einem Krieg und deswegen immer eine extreme Vorratshaltung in unserem Haus. Obst und Gemüse wurden bei uns eingeweckt, eingekocht, eingefroren, Reste wurden aufgewärmt, Lebensmittel wurden nicht verschwendet. Das habe ich von ihr gelernt – manchmal sehr zum Leidwesen meines Mannes, wenn ich abends noch das Obst aus unserem Garten zu Marmelade koche.

Lebensmittelverschwendung ist bei uns in Deutschland ein großes Thema. Es handelt sich um eine dramatische Ressourcenverschwendung. Wir haben weltweit negative Folgen, sowohl sozial als auch ökologisch und ökonomisch. Die Produktion von Lebensmitteln belastet das Klima. Energie und Arbeitskraft werden eingesetzt, Wasser und Rohstoffe werden verbraucht, landwirtschaftliche Flächen werden genutzt. Allein in der Bundesrepublik Deutschland werden nach unterschiedlichen Studien zwischen 12 und 18 Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr weggeworfen; das entspricht pro Kopf gerechnet circa 75 Kilogramm.

Jede Stufe der Wertschöpfungskette ist hier betroffen: auf dem Feld, weil die Lebensmittel nicht der Norm entsprechen, zum Beispiel die Gurken; im Laden, weil sie vielleicht vom Tag vorher oder nicht mehr so schön sind; in den Kantinen und Restaurants, weil die Portionen zu groß sind. Aber die meisten Lebensmittel werden nach wie vor in Privathaushalten weggeworfen, fast 50 Prozent anteilig, und das, obwohl über 800 Millionen Menschen auf dieser Erde hungern. Dies ist ethisch nicht akzeptierbar.

Die bisherige Landwirtschaftsministerin hat auf Freiwilligkeit gesetzt. Dass das nicht ausgereicht hat, sehen wir alle.

(Beifall der Abg. Peggy Schierenbeck [SPD])

Die UN hat sich zum Ziel gesetzt und uns aufgetragen, bis 2030 diese Abfälle zu halbieren. Im Koalitionsvertrag haben wir festgehalten:

Wir werden gemeinsam mit allen Beteiligten die Lebensmittelverschwendung verbindlich branchenspezifisch reduzieren, haftungsrechtliche Fragen klären und steuerrechtliche Erleichterung für Spenden ermöglichen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zu den Anträgen, die heute gestellt wurden: Hier spricht man von einem Leitbild des mündigen Verbrauchers. Dieses Leitbild ist sehr veraltet. Es gibt so viele Sparten von Verbraucherschutz; da ist nicht jede gleich. Meine Oma war vielleicht im Ernährungsbereich eine mündige Verbraucherin. Wenn sie einen Handyvertrag abschließen hätte müssen, wäre sie das nicht gewesen. Und dafür, dass wahrscheinlich nicht alle Deutschen mündige Verbraucher im Ernährungsbereich sind, spricht, dass ungefähr 30 Prozent der Erkrankungen ernährungsbedingt sind.

Die SPD setzt sich dafür ein, dass die im Koalitionsvertrag ausgehandelten verbindlichen Regeln eingehalten und möglichst schnell umgesetzt werden. Wir setzen uns für den Abbau von umwelt- und klimaschädlichen Qualitätsstandards ein. Wir setzen uns für den Abbau der Hürden zur Weitergabe ein. Wir setzen uns für die Überarbeitung der Regeln zum Mindesthaltbarkeitsdatum in der EU ein.

Jetzt noch kurz zum Hunger in Deutschland, von dem der Kollege gesprochen hat. Die Deutschen nehmen momentan pro Tag und pro Kopf durchschnittlich 3 600 Kalorien zu sich. Bei einem Schwerstarbeiter oder Leistungssportler: okay. Aber der normale Durchschnitt läge bei 2 400 Kilokalorien. Ich glaube, man sieht es ja auch, wenn man so rundum blickt.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD – Heiterkeit bei der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

– Da nehme ich mich nicht aus. – Der Selbstversorgungsgrad liegt bei 88 Prozent. Wir produzieren heute keine Bananen, und Kaffeeplantagen haben wir auch noch nicht; so weit ist der Klimawandel noch nicht fortgeschritten. Wir exportieren aber zum Beispiel pro Jahr 2,3 Millionen Tonnen Schweinefleisch, viel Milch und andere Dinge.

Frau Kollegin.

Ich glaube, da müssen wir ansetzen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und der Präsidentin für die Geduld.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Albert Stegemann das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7534394
Wahlperiode 20
Sitzung 21
Tagesordnungspunkt Folgen der Ukraine-Krise für die Ernährungssicherheit
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