Karl Lauterbach - Änderung des Infektionsschutzgesetzes
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Pandemie ist leider noch nicht vorbei,
(Zurufe von der AfD: Ja!)
wir brauchen weitere Schutzmaßnahmen. Und um solche zu beschließen, sind wir heute zusammengekommen.
Wir haben viel geschafft, aber wir sind noch nicht an dem Punkt angelangt, dass schon der Freedom Day kommen könnte. Wir sind heute nicht zusammengekommen, um über den Freedom Day zu sprechen.
(Dr. Alice Weidel [AfD]: Niemals!)
Der Freedom Day würde nicht nur das Ende der Schutzmaßnahmen bedeuten, er wäre das Ende der Pandemie. Unseren Freedom Day besprechen wir somit nicht heute; den Freedom Day haben wir gestern besprochen. Unseren Freedom Day können wir erreichen, wenn wir diese Pandemie beenden. Dazu müssen wir die allgemeine Impfpflicht beschließen. Diese ist der einzige sichere Weg aus der Pandemie heraus.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)
Wir können die Pandemie nicht einfach beenden, indem wir die Schutzmaßnahmen einstellen. Wir brauchen die Schutzmaßnahmen, solange wir eine so hohe Zahl von Ungeimpften haben. Daran muss immer wieder erinnert werden. Wir wären schon viel weiter, als wir sind, wenn mehr Menschen geimpft wären.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wenn wir uns heute die Fallzahlen anschauen, müssen wir feststellen: Es gibt fast 300 000 Fälle. Wenn wir uns heute die Todeszahlen anschauen, müssen wir feststellen: Über 200 Menschen sind gestorben. Das kann uns nicht zufriedenstellen. Das ist extrem unbefriedigend.
(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])
Hier kommt die deutsche Sonderrolle zum Tragen: Die über 60-Jährigen sind zu einem hohen Maß ungeimpft, viel mehr als in unseren Nachbarländern. Wir haben darüber hinaus eine relativ alte Bevölkerung. Daher brauchen wir Schutzmaßnahmen – Schutzmaßnahmen, die in anderen Ländern in diesem Umfang nicht mehr notwendig sind.
(Beatrix von Storch [AfD]: Sie brauchen einen Arzt! – Martin Reichardt [AfD]: Sie sind ein publicitygeiler Mensch! Das ist alles!)
– Ich finde es traurig – ich muss das einmal sagen –, dass wir, wenn wir über ein so wichtiges Thema sprechen, uns all die Zeit diese niederträchtigen Unterstellungen und Einwürfe anhören müssen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN – Norbert Kleinwächter [AfD]: Dann bringen Sie doch endlich mal Fakten! Keine Fake News!)
Das ist einfach schlicht eine Störung. Ich komme damit gut zurecht, aber es spricht Hohn der Bedeutung der Fragen, über die wir hier debattieren, und deren Ernsthaftigkeit. Wir können hier unterschiedlicher Meinung sein, wir werden auch streiten, wir werden in der Sache streiten, aber von Ihnen wird die Ernsthaftigkeit dieser Debatte in Abrede gestellt. Das können wir nicht hinnehmen.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Das ist eine unglaubliche Verhöhnung der Opfer
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Sie verhöhnen die Wissenschaft!)
Und ich möchte noch etwas sagen. Wir sprechen heute über einen schweren Kompromiss.
(Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD])
Dabei geht es aber nicht um den Kompromiss zwischen Team Freiheit und Team Vorsicht, sondern um die Abwägung, was wir den Menschen, was wir unseren Kindern noch zumuten können, die sich all die Zeit an die Regeln halten. Es geht darum, was wir den Menschen noch zumuten können, die die Regeln beachten, und was wir bereit sind denjenigen zuzumuten, die nicht bereit sind, irgendetwas zu opfern, die sich nicht impfen lassen wollen,
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
die die Debatte nicht ernst nehmen, die außer Stören keinen einzigen konstruktiven Beitrag im Verlaufe der gesamten Pandemie haben leisten können.
Ich als Epidemiologe
(Zuruf von der AfD: Sie sind kein Epidemiologe!)
hätte mir gewünscht, wir hätten mehr für diejenigen tun können, die ein Risiko haben. Aber wir müssen die rechtliche Lage beachten. Die rechtliche Lage ist die: Wir können nicht weiter das gesamte Land unter Schutz stellen, um eine kleine Gruppe von Impfunwilligen und von Menschen, die nicht bereit sind, die Maßnahmen mitzutragen, zu schützen.
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Lassen Sie sie einfach in Freiheit ihre eigenen Entscheidungen treffen! Fertig!)
Die Balance wird geändert.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Herr Dr. Lauterbach, ich habe die Zeit angehalten. Ich bitte Sie, einen kleinen Moment innezuhalten.
Ich sage es heute Morgen nur ein einziges Mal: Es gilt die Allgemeinverfügung. Das heißt, die Masken können zur Rede am Pult abgesetzt werden, und wir Präsidentinnen hier oben können sie absetzen. Auch für Zwischenrufe gilt die Maskenpflicht.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es gab in den wenigen Minuten, die wir jetzt hier beisammen sind, auf der rechten Seite des Hauses mehrfach Verstöße gegen die Allgemeinverfügung.
(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Auf der rechtsextremen Seite!)
Ich werde dies entsprechend unseren Regelungen hier auch nachdrücklich ahnden. Ich bitte darum, das zu beachten. Sollte irgendjemand, aus welchen Gründen auch immer, hier nicht im Saal verweilen und die Maske weiter tragen können, dann muss er die Debatte bitte anderweitig verfolgen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Sie haben wieder das Wort, Herr Minister Lauterbach.
Die Regelung, die wir heute vorstellen, ist eine Regelung, die folgender Tatsache Rechnung trägt: Wir sind durch die Omikron-Variante nicht mehr in der Situation, befürchten zu müssen, dass das gesamte Land durch eine flächendeckende Überlastung der Kliniken gefährdet ist.
(Lachen bei Abgeordneten der AfD)
Trotzdem wird es so sein, dass es an vielen Stellen tatsächlich zu genau dieser Überlastung kommen wird. Daher haben wir die Regel so angepasst, dass überall dort, wo wir eine Überlastung der Krankenhäuser und der Gesundheitsversorgung erwarten müssen, die Hotspotregelung zieht und wir dann auch weitergehende Maßnahmen ergreifen können. Wo das nicht der Fall ist, wird es nicht gemacht. Darauf haben wir uns geeinigt.
Hätten wir dies nicht gemacht, hätten wir keine Regeln mehr gehabt. Denn dann hätte es entweder die Möglichkeit gegeben, dass wir überall Regeln und Maßnahmen vorsehen, auch dort, wo es keine Überlastung gibt – das wäre rechtlich nicht gegangen –, oder wir hätten ganz auf die Regeln verzichtet – Stichwort „Freedom Day“ –, und dann hätten wir gar nichts gehabt.
Somit haben wir uns auf Regeln für die Teile Deutschlands geeinigt, wo tatsächlich eine Überlastung zu befürchten ist.
(Zuruf von der AfD: Wo denn?)
Das ist der richtige Kompromiss. Das ist nicht „Freiheit gegen Vorsicht“, sondern das trägt einfach der Tatsache Rechnung, dass wir so zielgerichtet reagieren können.
Da bitte ich um Ihr Vertrauen. Wir werden das durchsetzen. Die Landtage werden das umsetzen können. Wenn ein ganzes Land betroffen ist – da sind Herr Buschmann und ich einer Meinung; das wurde immer falsch dargestellt –,
(Stephan Brandner [AfD]: Umfaller FDP!)
kann auch das ganze Land als Hotspot gelten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das ist zum Beispiel etwas, was jetzt in Mecklenburg-Vorpommern getestet wird.
Somit: Wir brauchen hier Vertrauen. Wir brauchen funktionierende Regeln. Ich bitte Sie, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Das Gesetz wird uns in den nächsten Monaten helfen. Wenn sich die Lage verändert, wenn wir andere Varianten bekommen, wenn die Gesundheitsversorgung stärker gefährdet ist, wenn wir beispielsweise eine gefährlichere Variante als die jetzige Omikron-Variante bekommen, dann wirkt zunächst einmal dieses Gesetz. Aber wir sind auch jederzeit bereit, das Infektionsschutzgesetz erneut anzupassen, um einer neuen Lage Rechnung zu tragen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Das Wort hat der Kollege Tino Sorge für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7534448 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 22 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Infektionsschutzgesetzes |