Dirk WieseSPD - Änderung des Infektionsschutzgesetzes
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zahlen der letzten Tage, die uns immer wieder erreichen, machen, glaube ich, eins deutlich: dass wir weiter sehr verantwortungsvoll mit dieser aktuellen Situation und dem Pandemiegeschehen umgehen müssen. Und es ist vollkommen richtig – auch aufgrund der aktuellen Lage; das hat Karl Lauterbach gerade ausgeführt –: Wir werden mit diesem Gesetz sicherlich keinen Freedom Day in diesem Land haben. Das ist auch nichts, was die Ampel mit diesem Gesetz letztendlich verfolgt, sondern es geht um einen weiterhin verantwortungsvollen Umgang mit der aktuellen Situation.
Ich will es noch mal deutlich machen: Die Bestimmungen in § 28a und § 28b des geltenden Infektionsschutzgesetzes würden, wenn wir heute keine Fortsetzungsregelung auf den Weg bringen, auslaufen. Und das würde bedeuten: Wenn wir nichts tun, würde es künftig gar keine Maßnahmen wie Test- oder Maskenpflicht mehr geben können, und das vor dem Hintergrund der aktuellen Zahlen. Kurzum: Die Rechtsgrundlagen für die Länder würden, wenn wir heute dieses Gesetz nicht auf den Weg bringen, ersatzlos wegfallen. Das kann aus unserer Sicht nicht sein; und darum ist es auch richtig, diesen vertretbaren Kompromiss heute auf den Weg zu bringen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Das will ich sagen: Es ist richtig, diesen praktikablen Kompromiss, den wir als Ampelkoalition verhandelt haben, auf den Weg zu bringen. Die Situation ist anders als bei den Infektionsschutzgesetzänderungen, die wir in den vergangenen Jahren gehabt haben, da wir eine hohe Zahl an Impfungen haben, die nachweislich vor einem schweren Verlauf schützen. Darum will ich sowohl Bundesgesundheitsminister Lauterbach als auch Bundesjustizminister Buschmann Dank sagen, die gemeinsam mit uns als Koalition diesen Kompromiss auf den Weg gebracht haben. Herr Sorge, Sie wussten das vielleicht nicht: Beide haben dem zugestimmt; nur, man darf auf der Regierungsbank nicht klatschen. Darum waren Sie vielleicht in den letzten Jahren irritiert, dass Jens Spahn Ihnen nie Applaus gegeben hat. – Das ist eigentlich Konsens im Bundestag; aber vielleicht wussten Sie das noch nicht.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Ich glaube, der Kompromiss ist vertretbar. Er gibt eine Perspektive, auch eine verantwortungsvolle Öffnungsperspektive. Das sind Schritte, die auch vereinbart worden sind. Aber wir müssen uns, glaube ich, sehr deutlich bewusst machen: Gerade für den kommenden Herbst und Winter müssen wir vorsorgen. Wir wollen, dass diese Pandemie beherrschbar wird, und vor dem Hintergrund ist es wichtig, Vorsorge zu treffen, letztendlich mit einer allgemeinen Impfpflicht, die wir Anfang April hier in zweiter und dritter Lesung auf den Weg bringen wollen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Kollege Wiese, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Sorge?
Ja, selbstverständlich.
Vielen Dank, Herr Kollege Wiese, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Da Sie mich direkt angesprochen haben, will ich Sie ganz kurz fragen: Finden Sie das parlamentarische Verfahren normal, und sehen Sie es als ein Zeichen guter Zusammenarbeit an, wenn noch vor der Verabschiedung des Gesetzes 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder sagen, dass das Gesetz schlecht ist, dass das so nicht geht, dass sie nicht wissen, wie sie es umsetzen sollen? Und finden Sie es normal, dass noch vor der ersten Lesung dieses Gesetzes die Anhörung stattfinden musste, weil es zeitlich nicht anders ging, obwohl man seit Monaten wusste, dass hier neue Regelungen auf den Weg gebracht werden müssen?
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Sehr geehrter Herr Kollege Sorge, haben Sie erst mal vielen Dank für die Zwischenfrage. – Ach so, Entschuldigung.
Der letzte Halbsatz ist durch das Mikro ein bisschen untergangen. – Verbände sagen, dass das völlig atypisch sei. Sie bekommen den Gesetzentwurf um 0.18 Uhr an einem Sonntag zugesandt und sollen bis 10 Uhr am Montagmorgen dazu Stellung nehmen. Finden Sie das alles normal im parlamentarischen Verfahren?
Vielen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sehr geehrter Herr Kollege Sorge, haben Sie vielen Dank für die Zwischenfrage. – Sie gibt mir die Möglichkeit, auf Folgendes hinzuweisen – ich sehe auch den früheren Gesundheitsminister Jens Spahn hier heute in der Debatte sitzen –: Ich habe seit Mai 2020 einige Änderungen des Infektionsschutzgesetzes mitverhandeln dürfen, auch in der Großen Koalition, und ich kann Ihnen sagen, dass dieses Verfahren sicherlich zeitlich sehr anspruchsvoll gewesen ist, dass es sich aber wohltuend abhebt von dem, was wir unter der Leitung von Helge Braun im Kanzleramt in Teilen erlebt haben.
(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es sind teilweise sehr hektische Verhandlungen geführt worden, teilweise sind aus dem Kanzleramt damals Sachen an die „Bild“-Zeitung durchgestochen worden.
(Abg. Tino Sorge [CDU/CSU] nimmt wieder Platz – Zurufe von der SPD: Stehen bleiben!)
Darum kann ich nur sagen: Davon hebt sich sehr wohltuend ab, wie die Bundesregierung diese Änderungen des Infektionsschutzgesetzes in der Ampelkoalition angeht. – Ansonsten würde ich mich freuen, wenn Sie stehen bleiben, solange ich Ihre Frage beantworte. Ich glaube, das gebietet auch der Respekt unter Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Es ist letztendlich ein Kompromiss, den wir auf den Weg bringen, der die Menschen, die vulnerablen Gruppen ganz besonders schützen möchte und in den Blick nimmt. Das ist aber auch ein Kompromiss, der die Verhältnismäßigkeit wahrt. Darum ist es richtig, vulnerable Gruppen besonders zu schützen. Es ist auch richtig, die Maskenpflicht gerade im ÖPNV letztendlich beizubehalten. Und es ist auch richtig, dass wir den Ländern die Möglichkeit geben, bei Vorliegen einer konkreten Gefahr, einer sich dynamisch ausbreitenden Infektionslage, weiter gehende Schutzmaßnahmen im Rahmen einer Hotspotregelung auf den Weg zu bringen. Das heißt, die Länder können letztendlich für Kreise, für kreisfreie Städte, aber auch für das gesamte Bundesland diese Hotspotregelungen auf den Weg bringen. Das halte ich für richtig. Ich sage es auch sehr deutlich: Ich finde es richtig, dass die Länder den Weg über die Landtage gehen müssen.
(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Kolleginnen und Kollegen in den Landtagen können das verantwortlich machen. Die werden das gut machen. Das ist die demokratische Rückkopplung, die wir an der Stelle auch brauchen.
Jetzt gerade habe ich allerdings auch den einen oder anderen Hinweis auf die Ministerpräsidenten vernommen; Herr Sorge, auch in Ihrer Rede. Ich will mal einen Blick in die christdemokratische Praxis in den Bundesländern werfen: Wo waren denn die Verschärfungen von Ministerpräsident Wüst aufgrund eines steigenden Infektionsgeschehens in Nordrhein-Westfalen nach dem Kölner Karneval?
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)
Wo hat die Landesregierung denn da die entsprechenden Notwendigkeiten gesehen, voranzugehen? Und wenn ich mir anschaue, was derzeit in der Corona-Schutzverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen geregelt ist und was das Land mit den Öffnungsschritten voranbringen will, dann stelle ich fest, dass das deckungsgleich mit dem ist, was wir mit dem zukünftigen Infektionsschutzgesetz den Ländern zur Verfügung stellen. Von daher scheinen Ihre Ministerpräsidenten an dem Punkt doch sehr zufrieden zu sein. Von daher verstehe ich den einen oder anderen Punkt an der Stelle nicht.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Ich will noch etwas deutlich machen und dazu mal einen Blick nach Bayern werfen. Entschuldigen Sie, Herr Dobrindt, das, was ich jetzt ausführe, ist die Gemütslage des bayerischen Ministerpräsidenten von gestern Abend.
(Christian Dürr [FDP]: Welche Uhrzeit?)
Es kann durchaus sein, dass er seine Meinung bis heute Morgen geändert hat;
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
aber – und das ist ein entscheidender Punkt –: Bayern schafft ab kommendem Montag die Maskenpflicht für Grundschüler in den Schulen ab.
(Zurufe von der FDP: Ah!)
Die Übergangsregelung, die wir den Bundesländern gewähren, bietet die Möglichkeit, sie noch bis zum 2. April beizubehalten. Dann kann es letztendlich ja nicht so sein, dass, wie Markus Söder das schildert, die Maßnahmen, die er zur Verfügung hat, nicht ausreichend sind. Das heißt, er macht gar nicht Gebrauch von Übergangsregelungen, die wir ihm im Infektionsschutzgesetz zur Verfügung stellen. Ich muss schon sagen: Das, was Düsseldorf und München vor Ort machen, ist in einer gewissen Weise unglaubwürdig und widerspricht dem, was Sie heute an dem Gesetz kritisieren.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Silvia Breher das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7534455 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 22 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Infektionsschutzgesetzes |