Christine Aschenberg-DugnusFDP - Änderung des Infektionsschutzgesetzes
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was Herr Brandner hier eben gemacht hat, ist unanständig, meine Damen und Herren; das gehört sich nicht in diesem Deutschen Bundestag.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
Es ist unglaublich, was Sie sich hier leisten. In der ersten Rede der AfD wurde behauptet, es sei zu keiner Zeit zu einer Überlastung der Krankenhäuser gekommen. Selbst diese Behauptung ist eine Unwahrheit.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN – Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD])
Wir haben noch vor Kurzem Patienten aus einzelnen Krankenhäusern in andere Krankenhäuser ausgeflogen, weil sie überlastet waren. Insofern erzählen Sie auch die Unwahrheit hier.
(Lachen bei Abgeordneten der AfD – Zurufe von der AfD: „Auch“!)
Benehmen Sie sich einfach anständig und kollegial, dann wären wir schon zufrieden. Mehr erwarten wir von Ihnen gar nicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wiederhole es immer wieder gebetsmühlenartig: Selbstverständlich ist die Pandemie noch nicht vorbei. Aber die Situation ist jetzt eine andere als noch vor zwei Jahren. Wir sind von den Zuständen, die wir damals hatten, weit entfernt, und deswegen müssen wir auch andere Maßnahmen ergreifen, als wir sie vor zwei Jahren hatten. Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben; denn wir werden das Virus so schnell nicht los.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen sind die vorliegenden Änderungen im Infektionsschutzgesetz ein wichtiger Schritt in Richtung Normalität, bei gleichzeitiger Handlungsfähigkeit. Das ist doch das Wichtige an der Sache.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das oberste Ziel der Pandemiebekämpfung war und ist es immer, eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern und unsere vulnerablen Gruppen zu schützen. Genau das setzen wir mit diesem Gesetz um. Wir müssen angemessen und zielgerichtet agieren, meine Damen und Herren. Wir schaffen ja nicht alle Maßnahmen ab, wie das hier manchmal behauptet wird. In bestimmten Bereichen, wie in Krankenhäusern, Alten- und Pflegeeinrichtungen, Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, wird weiterhin mit Tests und Masken gearbeitet. An einzelnen Stellen haben wir auch nachgeschärft, beispielsweise indem auch in Arztpraxen Masken getragen werden müssen.
Aber völlig anders sieht es im Bereich der Schulen und Kindertagesstätten aus. Es macht doch einen Unterschied, ob sich Jüngere oder Risikopatienten infizieren. Diesen Unterschied müssen wir bei den Maßnahmen abbilden; denn Kinder haben bei der Omikron-Variante glücklicherweise einen wesentlich milderen Verlauf.
Kollegin Aschenberg-Dugnus, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Lindholz?
Welche Fraktion?
(Zuruf von der AfD: Macht das einen Unterschied?)
CDU/CSU.
(Heiterkeit – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das kann man wissen!)
Ach, da. Entschuldigung. – Ja, gerne.
Liebe Frau Aschenberg-Dugnus, erst mal vielen Dank für die Zulassung der Zwischenfrage. – Ich habe Ihren Ausführungen schon beim letzten Mal in dieser Woche und auch heute wieder zugehört und würde Ihnen gerne ein Fallbeispiel schildern und Sie fragen, was wir diesen Personen antworten sollen.
Sie sagen immer, dass Sie die Maskenpflicht nicht ganz abschaffen. Sie lassen sie in Krankenhäusern weiter bestehen, Sie lassen sie im öffentlichen Personennahverkehr weiter bestehen. Sie lassen sie aber zum Beispiel in einem Bereich des öffentlichen Lebens, im Supermarkt, über den April hinaus nicht weiter bestehen.
Wir haben aktuell eine Inzidenz, die bei ungefähr 1 600 liegt,
(Christian Dürr [FDP]: Die Niederlande haben eine doppelt so hohe Inzidenz!)
nahe 1 700, und wir haben etwa 280 Todesfälle an einem Tag. Was sagen Sie einer krebskranken oder anders schwerkranken Person – einer jungen Frau, einer alten Frau oder einem Mann –, die fast alle Situationen umgehen kann, die nicht in eine Gaststätte gehen muss und die sich privat nicht groß treffen muss, die aber zumindest einkaufen gehen muss? Diese Person, die Frau oder der Mann, versucht beim Einkaufen alles, um sich nicht zu infizieren, weil sie sich mitten in einer Krebstherapie befindet. Was sagen Sie dieser Person? Sie möchte nach wie vor in den Supermarkt gehen, und sie möchte auch in Zukunft geschützt werden. Aber sie ist in Zukunft nicht mehr geschützt.
(Christian Dürr [FDP]: Aber mit der Unterstellung könnten solche Menschen gar nicht mehr raus!)
Sie selber kann ihre Maske aufziehen, das stimmt. Aber ihr Gegenüber muss die Maske nur noch im öffentlichen Personennahverkehr aufziehen, aber nicht mehr im Supermarkt.
(Christian Dürr [FDP]: Frau Lindholz, dann müsste man ja immer Maske tragen, egal was gerade los ist!)
Was sagen Sie einer solchen Person, der wir angesichts der aktuellen Inzidenzen und Todeszahlen mit dem Wegfall der Maskenpflicht den Schutz nehmen?
(Christian Dürr [FDP]: Eine absurde Argumentation!)
An die Kollegen von der FDP – ich höre den Zwischenruf jedes Mal, und deswegen führe ich das hier länger aus –: Ja, sie kann die Maske freiwillig aufsetzen; aber ihr Gegenüber muss es nicht.
(Christian Dürr [FDP]: Mit der Argumentation müsste man ein Leben lang immer Maske tragen!)
Ein wirksamer Schutz, liebe Frau Aschenberg-Dugnus und liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, erfordert es, dass beide Personen eine Maske aufziehen. Ich frage Sie jetzt, wie Sie das bei diesen Inzidenzen gegenüber den vulnerablen Personen vertreten können.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Christian Dürr [FDP]: Das ist doch absurd!)
Sehr geehrte Frau Kollegin, genau das – –
(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Erklären Sie Ihrer Fraktion, dass das Blödsinn ist!)
– Entschuldigung, bin ich jetzt dran oder nicht?
Kollegin Lindholz, Ihr Mikrofon ist aus. Die Frage ist verstanden worden. Jetzt hat die Kollegin Aschenberg-Dugnus für die Beantwortung das Wort.
Vielen Dank für die Frage, die wir häufiger von Ihnen hören. – Der Person in dem von Ihnen geschilderten Fall würde ich sagen: Bitte setzen Sie die Maske auf; denn eine FFP2-Maske hat nachweisbar einen drei-, vierfachen Schutz und ist völlig ausreichend, um sich im Leben bewegen zu können.
(Beifall bei der FDP)
Das können Sie dieser Dame oder diesem Herrn sagen.
Sie gehen immer von den Inzidenzen aus. Sie müssen doch konstatieren, dass wir jetzt einen Unterschied zur früheren Situation haben. Wir haben wahnsinnig hohe Fallzahlen, aber wenn Sie auch heute wieder auf das RKI-Dashboard gehen, sehen Sie, dass die Zahl der Intensivpatienten abgenommen hat.
(Zuruf von der AfD: Genau!)
Bei riesigen Inzidenzen haben wir weniger Fälle auf den Intensivstationen. Das heißt, das Virus ist milder im Verlauf.
(Beifall bei der FDP)
Erzählen Sie den Leuten doch mal etwas Positives, zum Beispiel dass sie sich mit Masken schützen können und dass wir, wie Sie im RKI-Bericht sehen, wesentlich weniger Todesfälle haben als in der vierten Welle, als es fast 3 000 Todesfälle pro Woche waren. Davon sind wir weit entfernt. Sagen Sie doch mal den Leuten, dass sie sich schützen können, dass sie am Leben teilnehmen können, anstatt hier immer solche Horrorszenarien aufzuzeichnen.
(Beifall bei der FDP)
Wir müssen den Menschen Perspektiven geben. Wir müssen sagen: Es geht weiter. Ihr könnt wieder etwas tun.
Und da Sie vom Einkaufen reden – ich weiß, Sie wollen alles staatlich vorschreiben –: In meinem Heimatort Strande war es schon längst üblich, da, wo viele Ältere sind, vor Ort extra Einkaufszeiten für diese einzurichten; dann geht man als älterer Mensch mit Maske zu speziellen Einkaufszeiten dahin.
Es gibt so viele Möglichkeiten, zu agieren. Aber wir müssen doch sehen, dass es in bestimmten Bereichen – dazu komme ich noch –, zum Beispiel bei den Kindern, geradezu fahrlässig ist, mit einer Maskenpflicht zu arbeiten. Das geht doch nicht.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)
Wir können nicht die Bildungschancen, die sozialen Chancen unserer Kinder gegen die vulnerablen Gruppen aufrechnen.
(Abg. Andrea Lindholz [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage – Christian Dürr [FDP]: Sie wollten noch sagen, warum alle Länder Europas diesen Weg gehen, Frau Kollegin Lindholz!)
Mit unserem Gesetz schützen wir die vulnerablen Gruppen, aber bieten unseren Kindern und Jugendlichen auch die Möglichkeit, Bildung zu erlangen, soziales Leben zu erlangen. Das ist doch genau das, was wir wollen, Frau Kollegin.
(Beifall bei der FDP)
Es bleibt dabei, Frau Lindholz: eine Frage je Rede.
(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das ist eine Nachfrage!)
– Kollegin Lindholz, ich habe zu Beginn unserer Debatte die geltenden Regeln, die wir seit Mittwoch durchhalten, erläutert. Wir lassen je Rede eine Frage und Antwort zu. Nach wie vor ist die Zeit nicht limitiert. Aber die Frage ist jetzt, denke ich, beantwortet.
Jetzt bitte ich, in der Debatte fortzufahren. Ich werde die Uhr wieder einschalten.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich fahre fort. – Aus dem eben Gesagten können Sie heraushören, wie wichtig uns unsere Kinder und deren Bildungschancen sind und dass wir sie nicht mehr zwingen wollen, eine Maske zu tragen. Dabei sind wir mit vielen Kinderpsychologen einer Meinung.
(Beifall bei der FDP)
Auch viele Kinderärzte fordern das; das ist also nicht nur die FDP.
Ach, und überhaupt – der Kollege Wiese hat es ja geschildert –: Auch Herr Söder schafft ja jetzt die Maskenpflicht in den Grundschulen ab. So schlecht kann unser Gesetzentwurf also gar nicht sein. Auf der einen Seite fordern Sie eine allgemeine Maskenpflicht, aber wenn es dann zum Schwur kommt, agieren Sie doch anders, wie zum Beispiel Herr Söder. Auch bei Ihnen stimmt also in der Argumentation ganz vieles nicht, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Die SPD-Redner sind dagegen! Die grünen Redner sind dagegen! Wer ist eigentlich für dieses Gesetz?)
Jetzt noch mal zu Omikron: Diese Variante hat nun mal andere Folgen als die Delta-Variante, und deswegen müssen wir eben auch andere Maßnahmen ergreifen.
Ich möchte abschließend betonen – das ist das Positive –: Wir sind doch dem Virus nicht hilflos ausgesetzt. Wir haben gut funktionierende Impfungen.
(Widerspruch bei Abgeordneten der AfD)
Deswegen: Lassen Sie sich impfen, und lassen Sie sich boostern! Wir haben Medikamente.
Aber ich muss sagen: Wir laufen der Entwicklung leider immer hinterher. Deswegen werden wir als Koalition jetzt ein Frühwarnsystem auf den Weg bringen –
(Tino Sorge [CDU/CSU]: Im Vorsorgegesetz, genau!)
das ist uns als FDP ganz besonders wichtig –, und zwar mit einem Abwassermonitoring
(Lachen der Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU] und Tino Sorge [CDU/CSU] – Abg. Christian Dürr [FDP]: Interessant, dass Sie darüber lachen! Das hätten Sie seit zwei Jahren einsetzen können! Ihre Regierung hat darauf verzichtet! – Gegenruf des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das scheint mir ein sehr zielgenaues Instrument zu sein!)
oder zum Beispiel mit repräsentativen Studien, damit wir genau wissen, was im Herbst und Winter auf uns zukommt, um dann mit diesem Gesetz zielgerichtet agieren zu können. Das sind wir der Bevölkerung schuldig: zielgerichtet und nicht einfach so querbeet.
(Tino Sorge [CDU/CSU]: Abwassermonitoring passt aber nicht ganz! – Gegenruf des Abg. Christian Dürr [FDP]: Ja, weil Sie offensichtlich keine Ahnung haben!)
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag hat nun der Kollege Mathias Papendieck für die SPD-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie der Abg. Jessica Tatti [DIE LINKE])
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7534462 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 22 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Infektionsschutzgesetzes |