22.03.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 23 / Einzelplan 08

Christian HaaseCDU/CSU - Allgemeine Finanzdebatte

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wünschte, ich hätte nicht recht gehabt. Ich wünschte, ich hätte mich geirrt. Bei der ersten Lesung zum zweiten Nachtragshaushalt 2021 am 16. Dezember habe ich hier an dieser Stelle gesagt: Dieser Nachtragshaushalt ist der „Anfang vom Ende der Schuldenbremse“. Ich wünschte, es wäre anders gekommen.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Für unser Land, für die nachfolgenden Generationen, für die Stabilität der Europäischen Union wäre eine solide und ehrliche deutsche Finanzpolitik unglaublich wichtig gewesen. Leider ist das nicht der Fall.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vor unser aller Augen erleben wir gerade das Ende der Schuldenbremse. Mit jedem erdenklichen Trick versucht die Bundesregierung, die Schuldenregeln zu umgehen. Wer dachte, ein Nachtragshaushalt für ein abgelaufenes Haushaltsjahr und die rückwirkende Buchungsänderung für Sondervermögen wären schon das Ende der Fahnenstange, lag leider falsch. Was das Bundeskabinett am letzten Mittwoch beschlossen hat, setzt dem Ganzen die Krone auf.

Erstens. Es gibt das 100 Milliarden Euro teure „Sondervermögen Bundeswehr“. Wenigstens ist man ehrlich und verbindet die Umgehung der Schuldenbremse mit einer Grundgesetzänderung.

(Michael Schrodi [SPD]: Das war notwendig! – Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)

Abseits von sicherheitspolitischen Fragen ist es finanzverfassungs- und europarechtlich natürlich eine Herausforderung, wenn Mittel in Höhe eines Viertels eines normalen Gesamthaushaltes bei der Berechnung der zulässigen Neuverschuldung ausgeklammert werden. Wenn man meint, damit die Blaupause für ähnliche Aktionen zu schaffen, kann ich nur sagen: Nicht mit uns!

(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Boehringer [AfD]: Wo ist denn Ihre Klage?)

Ja, wir müssen die Einsatzfähigkeit und ‑bereitschaft der Bundeswehr verbessern. Ich danke dem Kanzler für seine Kehrtwende und für die klaren Vorgaben für die Ampel, nachdem er das in den letzten Jahren als Finanzminister noch erfolgreich verlangsamt hat; es ist also vor allem für seine Partei eine Zeitwende. Meine Damen und Herren, wenn wir hier jetzt einen gemeinsamen Nenner haben, dann muss auch klar sein, dass das Geld ausschließlich für die Bundeswehr verwendet wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn auf das Sondervermögen nun alle möglichen Ressorts, vom Auswärtigen Amt über das Innenministerium, zugreifen, weil jeder Teil der Ampel etwas vom Geld haben will, dann hat das weder etwas mit der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr zu tun noch mit dem Sinn eines Sondervermögens. In das Sondervermögen gehören die großen überjährigen Rüstungsprojekte, und alles andere gehört zur Wahrung des Budgetrechts des Parlaments in den normalen Haushalt.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dennis Rohde [SPD]: Keine persönliche Ausstattung!)

Zweitens. Finanzminister Christian Lindner musste bereits vor dem Kabinettsbeschluss einen Ergänzungshaushalt ankündigen; ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik.

(Zurufe von der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

So werden im Regierungsentwurf viele Positionen falsch oder sogar gar nicht veranschlagt: angefangen bei zu hoch geschätzten Steuereinnahmen über zu optimistische Arbeitsmarktzahlen bis hin zu fehlenden Ansätzen für das zweite Energieentlastungspaket.

Möchten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Fricke zulassen?

Nein, er redet anschließend. – Dieser Haushalt zerplatzt so schnell wie eine Seifenblase. Zugegeben: Der Angriff Putins war nicht zu erwarten. Aber entweder liegt der Ergänzungshaushalt bis spätestens Anfang April vor, und wir können darüber sachgerecht diskutieren, oder man legt im Sommer einen Nachtragshaushalt vor. Alles andere konterkariert die Rechte des Parlaments.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Drittens. In diesem Haushaltsentwurf findet sich eine Vielzahl von weiteren bedenklichen Manövern. Einziges Ziel: jeden erdenklichen Spielraum ausreizen. Die Tilgung der Coronaschulden verschiebt sich klammheimlich von 2023 auf 2028 und wird von 20 auf 31 Jahre verlängert. Anstatt bei ideologisch motivierten Projekten zu kürzen, wird lieber bei der Rente gespart. Eine halbe Milliarde Euro für die Rentenversicherung sind kurzerhand entfallen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Unglaublich!)

Viele Ansätze, beispielsweise für Kindergeld oder die geplanten Superabschreibungen, sind viel zu niedrig. Beim Arbeitslosengeld II und bei den Kosten der Unterkunft will die Regierung über 4 Milliarden Euro sparen; das ist völlig unrealistisch. Die coronabedingte milliardenschwere Schieflage der gesetzlichen Krankenversicherung wird komplett ignoriert.

Statt mehr Haushaltswahrheit zu wagen, verschleiert, täuscht und trickst die Ampelregierung, wo es nur geht. Und warum, meine Damen und Herren? Weil Geld der einzige Kitt ist, der diese Koalition zusammenhält.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wo immer ein Problem auftaucht, soll es mit Geld zugeschüttet werden, bis es nicht mehr zu sehen ist. Aber ich bin ehrlich: Da haben wir den vergangenen Wahlperioden auch nicht immer stringent gehandelt.

(Beifall bei der FDP – Christoph Meyer [FDP]: Ach!)

Aber die Haushaltssituation war damals eine völlig andere. Wir haben Überschüsse gemacht und in eine Rücklage stecken können. Diese solide Finanzpolitik hat es uns ermöglicht, dass wir in der Krise die Volkswirtschaft massiv stützen konnten. Ja, wir befinden uns in einer Zeitenwende; so hat es Bundeskanzler Scholz richtigerweise gesagt. Diese Zeitenwende gilt aber auch für die Haushaltspolitik, liebe Ampelkoalitionäre. Die Zeit der Spielräume ist vorbei. Jetzt muss man sich ehrlich machen, Prioritäten setzen und das föderale Finanzgefüge wieder in Ordnung bringen.

Meine Damen und Herren, in dieser Situation kann Bundesfinanzminister Christian Lindner einem wirklich leidtun. Wir alle kennen ihn als überzeugten Ordnungspolitiker. Ich kann mir vorstellen, dass er lieber die kleinen finanziellen Spielräume nutzen würde, um die Mitte der Gesellschaft zu entlasten, um in Zeiten von Krieg und Pandemie die Wirtschaft vor einer Rezession zu bewahren und um in Zeiten der Inflation die kalte Progression zu bekämpfen. All das wäre wirtschaftlich sinnvoll, und er hätte die Unionsfraktion an seiner Seite.

Stattdessen muss Herr Lindner in einen sauren grünen oder roten Apfel nach dem anderen beißen. Bei seinen Reden hier an diesem Pult merkt man, wie schwer es ihm fällt, diese Ampelpolitik zu verkaufen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ganz ehrlich, Herr Finanzminister: Ich leide mit Ihnen.

Als bekannt wurde, dass die FDP und nicht die Grünen das Bundesfinanzministerium erhalten, da war ich erleichtert. Immerhin würde nun ein kühner Verteidiger der Schuldenbremse das ehrwürdige Ministerium leiten – dachte ich. Stattdessen wird sich die Neuverschuldung in diesem Jahr auf ein neues Rekordhoch addieren. Da sind die 100 Milliarden im Sondervermögen, 100 Milliarden im jetzt eingebrachten Haushalt, und dazu kommen, ich schätze mal, 50 Milliarden mit dem Ergänzungshaushalt. 250 Milliarden Euro – ein neuer Schuldenrekord.

Herr Lindner weiß es wahrscheinlich viel besser als die meisten anderen hier im Haus: Jetzt wäre eigentlich umfassende Aufgabenkritik angezeigt. Gerade das war ja immer ein Kernanliegen der Freien Demokraten; aber davon hören wir nichts mehr. Man müsste knallhart priorisieren und angesichts von Pandemie, Krieg und Inflation ideologische Projekte nach hinten stellen. Es ist ja gut, wenn der Wirtschaftsminister das macht und nach Katar fährt. Aber Verhandlungen mit Katar – das hätte ich erwartet – sollten bitte auf Augenhöhe geführt werden und nicht mit einem Bückling.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Enrico Komning [AfD])

Lieber Herr Finanzminister, die SPD-Linke und der Kollege Kindler haben die Schuldenbremse bereits für 2023 abgeschrieben. Ich kann Ihnen nur sagen: Bleiben Sie standhaft! Die Unionsfraktion wird an Ihrer Seite stehen.

(Peter Boehringer [AfD]: Wow!)

Denn Sie haben ja recht mit Ihrer Ansage: Die Schuldenbremse ist keine Frage des politischen Willens, sondern eine Frage der Verfassung. – Nur sollte man nicht versuchen, die Schuldenbremse mit immer neuen Sondervermögen zu umgehen.

Lieber Herr Finanzminister, ich weiß, wie gerne Sie sagen würden: Lieber nicht regieren, als so falsch regieren wie jetzt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der nächste Redner ist für die SPD-Fraktion der Kollege Dr. Thorsten Rudolph.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7534584
Wahlperiode 20
Sitzung 23
Tagesordnungspunkt Allgemeine Finanzdebatte
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta