22.03.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 23 / Einzelplan 08

Thorsten RudolphSPD - Allgemeine Finanzdebatte

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Haushalt sind nicht nur Zahlen. Ein Haushalt ist immer auch ein Blick in die Zukunft und manchmal auch ein Blick tief in die Vergangenheit.

Ich möchte mit einem Thema beginnen, das einem das Herz immer wieder schwer werden lässt und an das uns der Tod von Boris Romantschenko auch wieder erinnert hat: die Wiedergutmachung für die Opfer nationalsozialistischen Unrechts. Dieses Thema steht ganz am Anfang des Einzelplans 08, aber auch ganz am Anfang der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Ich selbst war als Abteilungsleiter im rheinland-pfälzischen Finanzministerium eine Zeit lang für die Wiedergutmachung zuständig. Ich war seinerzeit in Saarburg im Amt für Wiedergutmachung und habe mir dort die Akten zeigen lassen. Die Geschichten der Opfer, die sich in diesen Akten finden, sind erschütternd. Es wird einem dort aber auch sehr schnell eine besondere Ambivalenz bewusst: Einerseits ist die Wiedergutmachung einer der historisch seltenen Versuche, sich dem eigenen Unrecht zu stellen. Andererseits ist allein schon das Wort „Wiedergutmachung“ natürlich grundfalsch. Es gibt keine Wiedergutmachung. Das wird einem dann ganz besonders bewusst, wenn man diese Akten liest und erfährt, wie deutsche Verwaltungsbeamte, die noch kurz zuvor oft selbst zu den Tätern gehörten, dann in diesen Entschädigungsverfahren mit den Opfern umgegangen sind und sie nicht selten ein zweites Mal zu Opfern gemacht haben. Meine Damen und Herren, es ist genau diese Ambivalenz, die in die Gründungsjahre der Bundesrepublik Deutschland eingeschrieben ist.

Rheinland-Pfalz hat dabei übrigens die Sonderzuständigkeit für alle außereuropäischen Fälle, also auch für die Opfer, die beispielsweise in Israel und den USA wohnen. Das ist auch der Grund dafür, dass Rheinland-Pfalz seit den 50er-Jahren etwa ein Drittel aller Entschädigungsfälle bearbeitet hat. Das sind insgesamt rund 1 Million Akten. Saarburg ist damit international für viele Opfer eine Art Synonym für Wiedergutmachung geworden.

Wir alle wissen auch, dass die letzten hochbetagten Zeitzeugen jetzt nach und nach sterben. Aber das heißt nicht – das möchte ich ausdrücklich hier im Deutschen Bundestag von diesem Pult aus sagen –, dass die Aufgabe der Wiedergutmachung damit in irgendeiner Form erledigt wäre.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ich bin deshalb überaus dankbar, dass das Bundesfinanzministerium unter dem damaligen Minister Olaf Scholz ein großes Projekt, „Transformation der Wiedergutmachung“, gestartet und auch mit entsprechenden Haushaltsmitteln unterlegt hat. Es gab bereits ein großes internationales Symposium. Es wurde auch bereits beschlossen, alle Wiedergutmachungsakten zu digitalisieren.

Ich begrüße es außerordentlich, dass im aktuellen Haushaltsentwurf wieder rund 30 Millionen Euro für die Folgeaufgaben der Wiedergutmachung vorgesehen sind und zusätzlich Verpflichtungsermächtigungen von rund 50 Millionen Euro. Ich bin aber zugleich auch davon überzeugt, dass die Digitalisierung dieser Akten nicht ausreicht. Wir sollten – ich würde mich sehr freuen, wenn Sie diesen Vorschlag ernsthaft prüfen würden, Herr Minister – auch einen physischen Ort anbieten, an dem die Originalakten einsehbar sind, für die Nachfahren der Opfer, für die Wissenschaft und für die Öffentlichkeit. Wir sollten ein solches Forschungs- und Dokumentationszentrum für die Geschichte der Wiedergutmachung einrichten.

Ich bin überzeugt, dass Saarburg dieser Ort sein könnte. Wir sollten dies im Übrigen als Bundesrepublik Deutschland auch für uns selbst tun, wenn wir Rechenschaft darüber ablegen wollen, wer wir sind und wer wir sein wollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe zu Beginn gesagt, dass der Haushalt auch immer ein Blick in die Zukunft ist. Insofern gibt es in diesem Jahr natürlich eine Besonderheit, weil gerade auch das bemerkenswert ist, was nicht im Haushalt steht.

(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr!)

Ich halte es im vollen Bewusstsein unserer schrecklichen Geschichte für richtig und wichtig, dass wir in Anbetracht von Putins brutalem und menschenverachtendem Angriffskrieg 100 Milliarden Euro in einem Sondervermögen bereitstellen, um die Landes- und Bündnisverteidigungsfähigkeit jetzt schnell zu stärken und unsere Zusagen gegenüber der NATO finanziell zu unterlegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Mir sind aber vor allem zwei Dinge wichtig:

Erstens. Dieses Sondervermögen stellt sicher, dass wir die 100 Milliarden Euro nicht über den Kernhaushalt bereitstellen. Denn das würde bedeuten, dass wir unter Geltung der Schuldenbremse an anderen Stellen im Haushalt genauso massive Kürzungen vornehmen müssten.

Zweitens. Der Parlamentsvorbehalt wird umfassend gewahrt. Es gibt hier keinen Alleingang der Exekutive. Denn sowohl der Wirtschaftsplan des Sondervermögens als auch jede einzelne Beschaffung über 25 Millionen Euro müssen selbstverständlich vom Haushaltsausschuss genehmigt werden.

Neben diesem Schwerpunkt Sicherheit ist aber genauso bemerkenswert, was tatsächlich im Haushalt steht. Sicherheit im Wandel heißt eben auch, dass die Koalition mit diesem Haushalt ihren äußerst ambitionierten Koalitionsvertrag mit Leben erfüllt. Dieser Haushalt ist ein Haushalt der Zukunftsinvestitionen. Dieser Haushalt wagt mehr Fortschritt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Der Kernhaushalt alleine sieht Investitionen in Höhe von rund 51 Milliarden Euro vor. Nur zum Vergleich: Im Vor-Corona-Jahr 2019 waren es nicht einmal 39 Milliarden Euro.

Dieser Bundeshaushalt 2022 mitsamt der Finanzplanung bis 2026 bedeutet: mehr Investitionen in den sozialen Wohnungsbau, mehr Investitionen in Bildung und Forschung, mehr Investitionen in Verkehr und Digitalisierung.

Zusätzlich zu diesen Investitionen im Kernhaushalt wird auch der Energie- und Klimafonds erheblich besser ausgestattet. Er wächst bis 2026 um rund 90 Milliarden Euro auf dann über 200 Milliarden Euro. Das bedeutet: massive Investitionen in die Gebäudesanierung, in die Elektromobilität und in den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

All diese Investitionen dienen dazu, dass uns die große Transformation gelingt, dass wir die gewaltigen Herausforderungen aus Dekarbonisierung, Digitalisierung und Demografie meistern, und das inmitten eines Umfelds, das geprägt ist von einer globalen Pandemie und einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, der die europäische Nachkriegsordnung zerstört hat.

Deshalb sind diese beiden Punkte, der Sicherheit und der Zukunftsinvestitionen, so eminent wichtig und richtig. Genau deshalb ist dieser erste Haushalt der Ampelkoalition klug, verantwortungsbewusst und zukunftsorientiert. Mit einem Wort: Die Bürger/-innen wissen, was sie bei dieser Bundesregierung und den sie tragenden Parteien erwartet: mit Sicherheit Fortschritt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Kay Gottschalk spricht jetzt für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7534585
Wahlperiode 20
Sitzung 23
Tagesordnungspunkt Allgemeine Finanzdebatte
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