Nils SchmidSPD - Auswärtiges Amt
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben Krieg in Europa. Deshalb ist die vordringliche Aufgabe deutscher und europäischer Außenpolitik, diesen Krieg möglichst schnell zu beenden. Ich bin dem Bundeskanzler, der Außenministerin, unseren europäischen Partnern, unseren Partnern in der NATO und unseren Partnern in der Welt dankbar, dass jetzt mit Vollgas, mit voller Kraft daran gearbeitet wird, mit diplomatischen Bemühungen, mit Gegendruck durch Waffenlieferungen – es gehört auch dazu, dass wir militärischen Gegendruck am Boden brauchen – und natürlich mit weitreichenden ökonomischen und finanziellen Sanktionen einen Waffenstillstand und nach Möglichkeit eine politische Lösung dieses Krieges zu erreichen.
Und eins ist klar: Das Ergebnis kann kein russischer Diktatfrieden sein, sondern es muss ernsthafte Verhandlungen geben, die auch für die legitime, demokratisch gewählte ukrainische Regierung unter Präsident Selenskyj akzeptabel sind. Wir alle sollten zusammenstehen, diese Bemühungen diplomatisch zu begleiten, zu unterstützen. Ein ganz herzliches Dankeschön an die Bundesregierung dafür.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Es ist völlig normal, dass wir bei den Sanktionen nachschärfen. Wir müssen uns die Frage stellen: Reichen sie aus? Müssen wir noch eine Schippe drauflegen? Nicht umsonst wird das fünfte Sanktionspaket verhandelt. Wenn wir den Energiesektor betrachten, ist klar: Es geht nicht nur um Öl, Gas und Kohle, es geht auch um Rosatom, den großen russischen Nuklearkonzern, der innerhalb der EU – in Finnland, in Ungarn – Projekte betreibt, der sich an einem französischen Nuklearunternehmen beteiligen will. Es geht natürlich auch darum, immer zu überprüfen: Brauchen wir noch mehr Waffenlieferungen? All das ist jetzt notwendig, um diesen furchtbaren Krieg möglichst schnell zu beenden.
Ich will ausdrücklich anerkennen – das sage ich in Richtung der Kolleginnen und Kollegen von CDU und CSU –, dass wir da gemeinsam im Deutschen Bundestag zusammenstehen. Ich würde mir aber auch wünschen, dass diese Gemeinsamkeit von Dauer ist. Eins muss ich dann schon sagen: Es passt halt nicht zusammen, wenn einerseits aus den Reihen der Union ein sofortiges Ölembargo gefordert wird und andererseits Ministerpräsidenten der Union an Zapfsäulen posieren und sich über steigende Spritpreise beklagen. Das passt nicht zusammen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Ja, es ist eine Zeitenwende. Ja, das bedeutet auch eine Neujustierung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik; aber das ist keine völlige Kehrtwende, keine Aufgabe der Prinzipien. Wir bleiben im Rahmen von Dialog und Abschreckung, stärken Abschreckung – militärisch, nichtmilitärisch –, die Widerstandskraft, aber geben den Dialog auch unter schwierigsten Umständen nicht auf. Man muss natürlich mit denjenigen reden, die die Waffen in der Hand halten, die den Einfluss und die Macht innehaben. Deshalb ist es richtig, dass die Neujustierung, die die Bundesregierung jetzt plant, eine Stärkung der NATO zum Inhalt hat, dass es darum geht, die Ostflanke der NATO mit zusätzlichen Truppen, zusätzlichen Waffensystemen abzusichern. Aber es bleibt auch dabei – das bildet sich auch in diesem Bundeshaushalt ab –: Die ganze Breite der internationalen Verpflichtungen Deutschlands gilt es in den Blick zu nehmen. Dazu gehört auch die Stärkung des Auswärtigen Amtes. Dazu gehört der Aufbau der Personalreserve, der in diesem Bundeshaushalt fortgesetzt wird. Wir haben uns nicht umsonst das 3-Prozent-Ziel vorgenommen. Wir machen Außenpolitik aus einem Guss, und ich bin froh, dass dieser Bundeshaushalt dies auch zum Ausdruck bringt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Die Zeitenwende ist aber auch Anlass für uns, darüber nachzudenken, was sich in der Außenpolitik der vergangenen 30 Jahre bewährt hat und was nicht. Die Entspannungspolitik beruhte auf drei Elementen: Es geht um Handel, es geht um Zivilgesellschaft, und es geht um gemeinsame Regeln.
Wandel durch Handel ist in den letzten Jahren immer schwieriger geworden. Es gehört auch dazu, dies anzuerkennen. Wir müssen auch anerkennen, dass 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Welt inzwischen in autoritären Staaten erwirtschaftet werden, dass umgekehrt ein Drittel unseres Handels und unserer Investitionen – aus der freien Welt – in autoritär regierten Staaten stattgefunden haben und stattfinden. Das heißt, die Verflechtung hat unglaublich zugenommen, aber der erhoffte Effekt der Liberalisierung, der Friedensbildung hat deutlich nachgelassen. Das wird klar, wenn wir nach Russland schauen. Mit Abstrichen gilt das auch für China.
Damit ist doch die Frage gestellt: Wie schaffen wir es, in dieser neuen Zeit außenpolitisch mit autoritären Regimen umzugehen, die nicht nur nach innen Unterdrückung ausüben, sondern auch nach außen bei Weitem nicht den Status quo anerkennen, sondern aggressiv, militärisch und nichtmilitärisch, ausgreifen, Nachbarstaaten überfallen und die bestehende Weltordnung infrage stellen? Das ist natürlich nicht nur mit Blick auf Russland eine Aufgabe, die wir annehmen müssen, sondern das gilt in einer anderen, aber weitaus umfassenderen Form auch für die Herausforderungen durch China. China ist jetzt nicht das Land, das alle Nachbarn überfällt – manche sagen: noch nicht –; aber China hat Grenzkonflikte mit fast allen Nachbarn, die zum Glück im Moment nicht militärisch ausgetragen werden, und wenn, dann nur sehr selten und beschränkt in den letzten Jahrzehnten.
Aber die Frage muss schon erlaubt sein: Sind wir außenpolitisch ausreichend gewappnet für die Auseinandersetzung mit autoritären Staaten, die auch nach außen aggressiv auftreten? Das ist ja der große Unterschied zu der Entspannungspolitik der 70er-Jahre. Da konnte man noch um des lieben Friedens willen – im wahrsten Sinne des Wortes – hinnehmen, dass das kommunistische Diktaturen waren, solange sie den Frieden in Europa nach den gemeinsamen Regeln bewahrt haben. Man konnte darauf hoffen, durch Wandel und durch zivilgesellschaftlichen Austausch etwas zu ändern. Aber dieses Rezept geht immer weniger auf. Ich glaube, wenn wir über eine Zeitenwende reden, müssen wir auch darüber reden, wie wir diese neuen Herausforderungen noch besser angehen. Am besten mit einer Außenpolitik, die alles zusammennimmt: Verteidigung, wirtschaftliche Zusammenarbeit und die Mittel der Diplomatie.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.
Genau das werden wir tun.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Vielen Dank. – Als nächster Redner erhält das Wort für die AfD-Fraktion Stefan Keuter.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7534720 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 24 |
Tagesordnungspunkt | Auswärtiges Amt |