23.03.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 24 / Tagesordnungspunkt 1 Epl 05

Frank SchwabeSPD - Auswärtiges Amt

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Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Eigentlich wäre das jetzt nicht Teil meines Redebeitrages gewesen, aber man soll ja hier auch aufeinander eingehen, nachdem Sie, Herr Krichbaum, das hohe Loblied auf die Außenpolitik der Union gesungen haben. Wir sind uns doch, glaube ich, einig, dass wir wollen, dass die Europäische Union zusammenhält, und dass wir manchen Ländern Perspektiven geben müssen, die sonst in andere Einflussbereiche abzugleiten drohen. Wie passt es dann eigentlich, dass Sie persönlich, wenn ich es richtig verstanden habe, in den letzten Jahren auf den Westbalkan gefahren sind, um Albanien und Nordmazedonien von einem Beitritt zur Europäischen Union abzuhalten, und ihnen eben nicht die Beitrittsperspektive eröffnet haben?

(Zuruf von der SPD: Genau!)

Also, vielleicht wäre es gut, auch ein bisschen Selbstkritik an dieser Stelle zu üben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

In diesen Stunden, in diesen Minuten werden wir Zeuginnen und Zeugen von Kriegsverbrechen. Kinder in Mariupol drohen zu verhungern und zu verdursten. Wir mussten die schrecklichen Berichte des griechischen Konsuls zur Kenntnis nehmen, der davon geredet hat, dass Leichenteile auf den Straßen liegen.

Deswegen will auch ich mich ganz herzlich bei der Außenministerin stellvertretend für die gesamte Bundesregierung bedanken für das, was Sie tun. Ich weiß, dass das auch Ihnen am Herzen liegt; aber es ist wahnsinnig wichtig, dass wir alles tun, um Kriegsverbrecherinnen und Kriegsverbrechern das Handwerk zu legen und um sie zu bekommen. Ob dazu der Internationale Strafgerichtshof das richtige Instrument ist oder andere Instrumentarien oder ob wir Sonderinstrumentarien brauchen, das werden wir in den nächsten Wochen und Monaten prüfen müssen. Aber wir müssen jetzt das Signal an die Kriegsverbrecherinnen und Kriegsverbrecher ausgeben: Wir werden alles versuchen, euch zu bekommen. – Für die Ukraine, aber auch für den Rest der Welt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Es ist in der Tat eine Zeitenwende – viele haben es beschrieben, der Bundeskanzler auch –, die mit dem russischen Angriffskrieg verbunden ist. Aber wir leben ja schon seit Längerem in einer Zeit der Krisen. Es ist der Klimawandel, es sind Kriege und Bürgerkriege in Syrien, im Jemen, in Myanmar, Venezuela, Kolumbien, die uns beschäftigen.

Deswegen ist es richtig, eine militärische Antwort zu geben; es geht ja gar nicht anders. 100 Milliarden Euro, das wird sein müssen. Nicht, weil wir uns darüber freuen, sondern weil wir die Einsicht haben, dass das sein muss. Und das will ich dann auch noch mal sagen: Es ist wichtig, dass wir das historisch schultern, denn – Herr Merz, Sie haben ja heute auch lange Linien der deutschen Politik aufgezeichnet – am Ende wird man zurückgucken auf diese Zeit, und man wird sich fragen: Wer ist am Ende verantwortlich gewesen, diese 100 Milliarden Euro auf den Weg zu bringen und zu schultern? Und da wird es dann wahrscheinlich nicht um Spiegelstrichfragen gehen, sondern um diese ganze lange Linie. Lassen Sie uns das wirklich gemeinsam organisieren!

Aber es geht nicht nur um diese 100 Milliarden Euro, sondern es geht eben auch um humanitäre Hilfe, um Entwicklungszusammenarbeit, um Krisenprävention – jetzt in der Ukraine, aber auch in anderen Teilen der Welt. Ich habe mir die Zahlen heute noch mal angeguckt, und es ist wirklich unfassbar – ich habe hier oft darüber geredet –: Die Zahlen werden jedes Jahr höher. Wir haben einen Bedarf von ungefähr 42 Milliarden US-Dollar an humanitärer Hilfe weltweit; im letzten Jahr war er ein Stück weit niedriger, aber er ist in den letzten Jahren immer mehr gewachsen. Wir jedoch sind nicht in der Lage, zumindest die Hälfte der Bedarfe zu befriedigen. Das wäre weniger als das, was wir jetzt im Bundeshaushalt für die Verteidigung drinstehen haben. Die Welt ist also nicht in der Lage, das entsprechend zu organisieren. Wir haben in Somalia die Situation, dass 5, 6, 7 Millionen Menschen vom Hungertod bedroht sind und wir weltweit nicht mal 3 Prozent der Needs, der Notwendigkeiten abdecken können. Deswegen: Lassen Sie uns alles tun!

Ich finde wirklich, man kann das so sagen: Deutschland ist in den letzten Jahren Weltmacht geworden im Bereich der humanitären Hilfe. Wir sind überall. UNICEF ist genannt worden, aber auch bei vielen anderen Organisationen sind wir auf Platz zwei oder Platz drei der Beitragszahler. Lassen Sie uns alles tun, das Signal zu geben: Wir brauchen militärische Stärke, wir brauchen aber auch die zivile Antwort in Form von Krisenprävention, humanitärer Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit. Auch dieses Signal muss von diesem Bundeshaushalt ausgehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Wir müssen alles tun, um zivile Instrumente und die humanitäre Hilfe zu stärken. Vor allen Dingen müssen wir uns aber als Demokratie stark machen. Wenn wir schon richtigerweise beschreiben, dass es nicht um einen Konflikt zwischen Völkern geht, sondern um einen Konflikt von Systemen, von Diktaturen und Demokratien, über Freiheit, Menschenrechte und Gerechtigkeit, dann lassen Sie uns doch jetzt alles tun, um die Institutionen zu stärken, die dafür stehen:

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

die Europäische Union, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und eben auch der Europarat.

Wir haben Russland aus dem Europarat rausgeschmissen, und zwar sehr schnell.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ich will es hier noch mal sagen, damit sich da sozusagen keine Märchen festsetzen: Russland ist nicht freiwillig ausgetreten, sondern sie haben versucht, noch einen Marketing-Coup zu landen. Wir haben sie rausgeschmissen,

(Konstantin Kuhle [FDP]: Endlich!)

und zwar mit einer einstimmigen Entscheidung der Parlamentarischen Versammlung und am Ende auch mit einer einstimmigen Entscheidung im Ministerkomitee. Das war richtig und notwendig.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber jetzt müssen wir den nächsten Schritt gehen. Wir müssen begreifen, welche Rolle solche internationalen Institutionen spielen. Wenn ich über den Europarat rede – und ich rede häufiger darüber –, dann habe ich immer den Eindruck, dass man erst mal Nachhilfe leisten und erklären muss, was er ist, und das ist eigentlich total bitter. Denn es ist die europäische Institution, die für Menschenrechte, für Gerechtigkeit, für Rechtsstaatlichkeit und für Demokratie steht. Sie steht für all das, von dem wir glauben, dass es entsprechend zu stärken ist.

Im Namen von vielen Kolleginnen und Kollegen aus fast allen Fraktionen, die dort mit dabei sind – Armin Laschet ist ja stellvertretender Leiter der deutschen Delegation –, sage ich: Lassen Sie uns alles tun, um den Europarat zu stärken, ihn jedenfalls nicht zu schwächen. Es fehlen 34 Millionen Euro dadurch, dass Russland seine Beiträge nicht mehr zahlen wird. Ich wünsche mir und stelle mir vor, dass wir von Deutschland ausgehend eine internationale Initiative starten mit dem Ziel, dieses Geld zu substituieren, diesen Anlass aber auch nutzen, diese Institution insgesamt zu stärken. Ich weiß, dass sich da bei der Außenministerin das Herz öffnet, weil sie selbst einmal Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats war. Lassen Sie uns das gemeinsam hier im Deutschen Bundestag tun.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Vielen Dank. – Als nächster Redner erhält das Wort für die AfD-Fraktion Markus Frohnmaier.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7534729
Wahlperiode 20
Sitzung 24
Tagesordnungspunkt Auswärtiges Amt
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