23.03.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 24 / Tagesordnungspunkt 1 Epl 14

Christine Lambrecht - Verteidigung

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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es tobt ein brutaler Angriffskrieg mitten in Europa. Es ist ein Krieg, in dem Russland alle zivilisatorischen Werte aufgegeben hat und mit äußerster Brutalität seinen Nachbarn bekämpft. Millionen Menschen sind auf der Flucht, und nur wenige Meter von hier, am Berliner Hauptbahnhof, kommen viele von ihnen an – vertrieben aus ihrer Heimat, in der Krieg herrscht. Die meisten von ihnen sind Frauen und Kinder mit ganz kleinem Gepäck. Unzählige Menschen sind ins Elend gestürzt, sind von Todesangst gezeichnet. Viele Menschen sterben.

Es ist ein Krieg – das sage ich klar und mit schwerem Herzen –, dessen Heraufziehen wir nicht rechtzeitig erkannt haben, den wir vielleicht auch nicht wahrhaben wollten und den wir trotz sehr intensiver Bemühungen nicht verhindern konnten. Es ist aber auch ein Krieg, meine Damen und Herren, dem wir nicht tatenlos zusehen und auch nicht tatenlos zusehen dürfen und der deshalb auch zu Recht hier in unserer Haushaltsdebatte sehr intensiv in der Diskussion ist.

Wir haben Russland mit beispiellosen Sanktionen belegt. Und wir unterstützen die Ukraine, wo wir können, seit dem Ausbruch des Krieges auch mit der Lieferung von Waffen und Ausrüstung. Das ist für uns keine einfache Entscheidung gewesen, aber wir haben sie getroffen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Und ich weiß, das Interesse ist immer ganz groß: Was wird denn geliefert? Wann wird es geliefert? Wohin wird es geliefert? Aktuell kann man wieder lesen, dass Strelas geliefert werden, und es werden auch weitere Waffen geliefert werden. Aber, meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Verständnis: Das sind Entscheidungen, die im Bundessicherheitsrat geheim getroffen werden. Dabei geht es nicht um eine Formalie, sondern es geht um den Schutz derjenigen, die solche Lieferungen und Transporte durchführen.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Danach haben wir nicht gefragt! Das ist kein Thema!)

Deswegen bitte ich darum, von öffentlichen Diskussionen darüber, wann, was, wie geliefert wird, abzusehen; denn dann werden diejenigen, die diese Lieferungen durchführen, zur Zielscheibe, und das dürfen wir nicht zulassen. Das dürfen wir nicht zulassen!

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Danach haben wir nicht gefragt!)

Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Transporte gegebenenfalls zur Zielscheibe von russischen Angriffen werden; denn die betreiben Aufklärung, die beobachten, wo welche Transporte unterwegs sind. Und wenn wir wollen, dass diese Waffen auch tatsächlich in der Ukraine ankommen, dann dürfen wir nicht so darüber reden, dass die Transporte mithilfe der Aufklärung nachvollzogen werden können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Bei aller Solidarität mit der Ukraine muss aber auch ganz klar sein, dass die NATO als Verteidigungsbündnis und damit auch Deutschland nicht selbst Kriegspartei werden darf. Darin bin ich mir mit NATO-Generalsekretär Stoltenberg und unseren amerikanischen Freunden sehr einig; auch im Kreise der EU-Verteidigungsminister sind wir uns darüber einig. Und auch Bundeskanzler Olaf Scholz hat es heute Morgen noch einmal mit aller Deutlichkeit gesagt: Wir dürfen als Bündnis nicht Kriegspartei werden.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, dieser entsetzliche Krieg zeigt uns allen auch, dass wir in Deutschland mehr für unsere eigene Sicherheit und für die Sicherheit unserer Verbündeten tun müssen. Wir stehen fest an der Seite unserer Verbündeten in Osteuropa, denen Putin schon seit Langem droht. Und diese Drohungen sind ernst zu nehmen. Unsere verstärkte Präsenz an der NATO-Ostflanke ist dabei ein wichtiger Beitrag, und wir leisten ihn gern. Doch wir müssen auch in der Lage sein, ihn leisten zu können. Für Sicherheit, die man sehen und spüren kann, brauchen wir deshalb eine deutliche Steigerung unserer Leistungsfähigkeit.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Die Bundesregierung hat aus diesem Grund entschieden, ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die bessere Ausrüstung der Bundeswehr einzurichten. Ich sage Ihnen allen: Jetzt stehen wir gemeinsam in der Verantwortung, dieses Vorhaben auch mit aller Kraft durchzuführen. Und ich nehme Sie alle dafür in die Verantwortung,

(Beifall des Abg. Falko Mohrs [SPD])

dass die Ausrüstung für die Bundeswehr jetzt auch tatsächlich kommt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Meine Damen und Herren, Deutschlands Einsatz für Freiheit und Frieden in Europa hat viele Gesichter. Wir stehen ein für die Ordnung, die uns frei und sicher macht: diplomatisch, humanitär und mit enormem Engagement der Zivilgesellschaft. Deutschland schützt diese Ordnung der Freiheit und des Friedens auch mit seinen Streitkräften, unserer Bundeswehr, mit Soldatinnen und Soldaten, die in den Einsatz gehen, die helfen und schützen und kämpfen, die unseren Partnern und Freunden seit fast 70 Jahren beistehen, die ihr Leben einsetzen, die manchmal einen hohen Preis bezahlen für ihren Dienst an unserem Gemeinwesen, an unseren Werten und die allein durch ihre Anwesenheit oftmals zeigen: Deutschland ist nicht schutzlos, Deutschland steht zu seinen Verbündeten, Deutschland lässt sich durch militärische Drohungen nicht einschüchtern.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Und jetzt endlich werden wir mit diesem Sondervermögen diese Frauen und Männer der Bundeswehr mit dem ausstatten, was sie benötigen, um genau diesen Auftrag zu erfüllen. Ich höre in diesen Tagen häufig, dass das schon ganz oft versprochen worden sei. Ja, aber jetzt wird auch gehandelt.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Warum nicht vorher?)

Wir geben unserer Bundeswehr ihre volle Einsatzbereitschaft zurück; denn viel zu lange ist gespart und gekürzt worden.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Da waren Sie doch dabei! – Zuruf von der LINKEN: Das stimmt doch gar nicht!)

Unser Ziel liegt klar vor Augen: Wir brauchen eine Bundeswehr, die in der Lage ist, die klassische Aufgabe der Landes- und Bündnisverteidigung ohne Einschränkung wahrzunehmen. Wir machen die Decke, die einfach immer zu kurz war, egal wie sehr man an ihr zog, wieder länger. Wir machen sie endlich ausreichend groß und geben den Soldatinnen und Soldaten damit ein deutliches Zeichen unserer Anerkennung und unseres Respekts,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Warum denn nicht vorher? Sie waren doch an der Regierung! – Zuruf des Abg. Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU])

ein Zeichen, auf das sie lange gewartet haben, das sie zu Recht erwartet haben und das sie vor allen Dingen verdienen.

Meine Damen und Herren, ich habe in den vergangenen Monaten mit sehr vielen Frauen und Männern unserer Bundeswehr gesprochen: in Litauen, im Irak, in Jordanien, an den Standorten, in der Ausbildung. Keiner von denen will Säbelrasseln, Hochrüstung oder die Militarisierung unseres Lebens, aber alle wollen die richtige Ausstattung, die richtige Ausrüstung für ihren Job. Das fängt bei der Bekleidung an, die zu Kälte, Hitze und Nässe passen muss – das ist keine Hochrüstung; das ist eine Selbstverständlichkeit –,

(Zuruf des Abg. Ali Al-Dailami [DIE LINKE])

und geht weiter mit Schutzwesten und Gefechtshelmen, die das Schlimmste verhindern, wenn es darauf ankommt. Das ist keine Aufrüstung. Das ist einfach nur gute Ausrüstung.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das geht weiter mit modernen Funkgeräten, die mit denen unserer Partner kompatibel sind, mit ausreichenden Munitionsvorräten, mit Transporthubschraubern, Luftverteidigungsgerät und Korvetten, die es erst möglich machen, den Verfassungsauftrag der Bundeswehr zu erfüllen, und die es nicht nur auf dem Papier geben darf, sondern die tatsächlich vorhanden sein müssen. Das, meine Damen und Herren, ist keine Militarisierung. Das ist eine Ausstattung, die eine wehrhafte Demokratie braucht,

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Dann müssen Sie mal in Koblenz aufräumen!)

um ihre Bürgerinnen und Bürger zu schützen, um nicht erpressbar und ein verlässlicher Bündnispartner zu sein und um handlungsfähig zu bleiben, wenn andere uns bedrohen oder vielleicht sogar angreifen. Dafür nehmen wir diese 100 Milliarden Euro jetzt in die Hand. Ich weiß, das ist viel Geld. Aber es ist genau das Geld, das wir brauchen, um diesen Auftrag erfüllen zu können.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Warum haben Sie denn vorher nichts gemacht?)

Ich höre oft: Das allein reicht aber nicht, sondern ihr müsst jetzt auch ans Beschaffungswesen ran. – Ja, selbstverständlich! Da gehen wir jetzt auch ran. Wir sind schon die ersten Schritte gegangen.

(Zuruf der Abg. Kerstin Vieregge [CDU/CSU])

Es gab schon die ersten Entscheidungen im Bundeskabinett, die genau dies betreffen. Ich kann ankündigen: Weitere werden folgen. Da werden wir handeln, und vor allen Dingen werden wir da ohne teure Berater handeln.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Bernd Baumann [AfD])

Meine Damen und Herren, wir sprechen bei der Bundeswehr von unserer Parlamentsarmee und unseren Streitkräften, die nur Sie, der Deutsche Bundestag, in den Einsatz schicken können. Aber wenn das so ist, dann müssen Sie auch dafür sorgen, dass die Männer und Frauen entsprechend ausgerüstet sind. Daher gilt jetzt für uns alle, genau diese Aufgabe zu erfüllen.

(Norbert Kleinwächter [AfD]: Ja, aber nicht durch Änderungen des Grundgesetzes!)

Ich freue mich, dass ich die Wehrbeauftragte Eva Högl da an meiner Seite weiß. Sie hat in ihrem aktuellen Bericht gerade wieder auf Mängel hingewiesen. Heute treten wir an, diese Mängel zu beheben.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Keine Selbstkritik?)

Meine Damen und Herren, ich erwarte von Ihnen, dass Sie dieser Verantwortung nachkommen. Dabei geht es nämlich gar nicht darum, ob ich als Verteidigungsministerin oder ob der Kanzler diese Entscheidung trifft, sondern darum, dass wir diese Entscheidung alle gemeinsam treffen, um zu zeigen, dass wir hinter unseren Soldatinnen und Soldaten stehen, die diese wehrhafte Demokratie verteidigen.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Machen Sie mal ein Wort der Selbstkritik!)

Das ist unsere Aufgabe. Ich bitte Sie: Machen Sie da mit!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Kerstin Vieregge das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7534737
Wahlperiode 20
Sitzung 24
Tagesordnungspunkt Verteidigung
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