23.03.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 24 / Tagesordnungspunkt 1 Epl 23

Sanae AbdiSPD - Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

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Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Als entwicklungspolitische Sprecherin meiner Fraktion habe ich hier heute die unerfreuliche Aufgabe, erstmals seit Jahren einen reduzierten BMZ-Haushalt zu debattieren.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Aber immerhin richtig erkannt! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

– Das ist meine Stärke. – Das ist nicht nur unerfreulich, sondern, ehrlich gesagt, auch ein wenig überraschend; denn im Koalitionsvertrag haben wir klar vereinbart, dass die Mittel für die ODA-anrechenbaren Ausgaben und die Ausgaben für Verteidigung eins zu eins ansteigen sollen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Regelung folgt aus unserem gemeinsamen Verständnis, dass Sicherheit und Verteidigung stets im Gleichgewicht mit Entwicklungspolitik und humanitärer Hilfe gedacht werden müssen. Das ist mir als Sozialdemokratin besonders wichtig.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind in der Diskussion um das 2‑Prozent-Ziel immer mit einem erweiterten Sicherheitsbegriff aufgetreten. Frieden schafft man eben nicht nur mit Waffen, sondern dem Schaffen von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Perspektiven.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wenn nun der reguläre Verteidigungsetat um 3,4 Milliarden Euro steigen und der Haushalt des BMZ gleichzeitig um 1,6 Milliarden Euro sinken soll, wird das dem Koalitionsvertrag nicht gerecht. Das trifft bei den Kolleginnen und Kollegen aller Koalitionsfraktionen auf Unverständnis, wie man heute auch hören konnte.

Wir alle wissen aber auch, dass die Welt, in der wir heute leben, nicht mehr die Welt ist, in der wir den Koalitionsvertrag geschlossen haben. Putins Angriffskrieg auf die Ukraine hat weitreichende Konsequenzen und verschiebt unsere Perspektiven und Prioritäten. Das ändert jedoch nichts – das möchte ich ausdrücklich sagen – an der Richtigkeit unseres Grundsatzes, dass wir Verteidigungs- und Entwicklungspolitik zusammen denken müssen. Im Gegenteil: Dieser Grundsatz ist heute relevanter denn je. Denn dieser Krieg hat nicht nur katastrophale Auswirkungen auf die Menschen in der Ukraine, sondern auch auf Millionen Menschen im Globalen Süden, die von Armut, Hunger und politischer Destabilisierung betroffen sind.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Lassen Sie mich den durch diesen Krieg gesteigerten Bedarf für Entwicklungszusammenarbeit an drei Beispielen veranschaulichen.

Erstens. Putins Angriffskrieg hat unmittelbare und schwerwiegende Folgen für die Menschen in der Ukraine. Dies erfordert zum einen akute humanitäre Hilfe und die unbürokratische Unterstützung von Geflüchteten. Zum anderen sind sämtliche Projekte der Entwicklungszusammenarbeit in den Bereichen Bildung, Zivilgesellschaft und Energie zum Erliegen gekommen. Wir wollen und müssen nach einem hoffentlich baldigen Kriegsende hier unser Engagement verstärken und den Wiederaufbau unterstützen.

Zweitens wird uns das heute schon mehrfach genannte Thema Ernährungssicherheit in naher Zukunft ganz besonders beschäftigen, und zwar direkt vor unserer Haustür. Denn durch Putins Angriffskrieg auf die Ukraine wird ein Viertel der Lieferungen an Weizen auf dem Weltmarkt ausfallen, was unweigerlich zu höheren Brotpreisen führt. Die Konsequenzen tragen Millionen Menschen, die bereits heute von Hunger bedroht sind oder gar schon unter Hunger leiden.

Diese Ausfälle und Preissteigerungen bergen drittens die Gefahr politischer Destabilisierung. Gerade in der MENA-Region vom Libanon bis Marokko ist der Brotpreis ein politischer Preis. Höhere Preise für Lebensmittel – gerade in ohnehin schon fragilen Kontexten – führen unweigerlich zu einer Destabilisierung; das wissen wir aus Erfahrung. Damit diese Dynamik gar nicht erst entsteht, müssen wir jetzt entgegenwirken. Dazu brauchen wir Geld. Dafür wird es einen Erweiterungshaushalt geben, wie wir heute schon gehört haben. Ich hoffe, liebe CDU/CSU-Fraktion, dass Sie dafür genauso enthusiastisch kämpfen wie heute.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ich fasse kurz zusammen: Entwicklungspolitik schafft Perspektiven, schafft Zukunft, schafft ein selbstbestimmtes Leben in Würde und schafft somit letztendlich Stabilität und Frieden. Lassen Sie uns außerdem nicht vergessen, dass neben dem Angriffskrieg auf die Ukraine, der in diesen Tagen im Zentrum unserer Aufmerksamkeit steht, noch zahlreiche weitere Kriege und Krisen auf unserer Welt anhalten. Seit Jahren leiden und sterben Menschen in Afghanistan, Jemen, Südsudan, Äthiopien, Syrien, Myanmar. Wir dürfen die seit Jahren unter diesen Konflikten leidenden Menschen nicht vergessen. Auch sie verdienen unsere Solidarität und Unterstützung. Dazu haben wir uns verpflichtet.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Thomas Rachel [CDU/CSU])

Das alles ist vor dem Hintergrund der Coronapandemie zu sehen. Die Pandemie macht jahrzehntelange Entwicklungsfortschritte rückgängig. Wir sind noch lange nicht fertig mit dem Auf- und Ausbau von funktionierenden Basisgesundheitssystemen. Wir sind noch lange nicht fertig mit dem Wiederaufbau zusammengebrochener globaler Lieferketten. Wir sind noch lange nicht fertig mit dem Wiederherstellen der dazugehörigen Arbeitsplätze. Das alles liegt noch vor uns.

Entwicklungspolitik ist Strukturpolitik. Sie braucht langfristiges Denken und eine verlässliche Planung. Unsere Entwicklungszusammenarbeit muss für unsere Partner wieder berechenbar, zielorientiert und nachhaltig wirksam sein. Dazu bedarf es finanziell abgesicherter Programme, und zwar langfristig.

Wir sind mit der Koalition angetreten, um mehr Fortschritt zu wagen. Was ist ein Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit wert ohne eine ausreichende finanzierte Entwicklungszusammenarbeit, die Fortschritt auch auf internationaler Ebene ermöglicht? Ich bin zuversichtlich, dass wir im Laufe der parlamentarischen Beratungen eine Lösung finden werden, um unserer Verantwortung gerecht zu werden.

Danke.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Der Kollege Dr. Georg Kippels hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7534767
Wahlperiode 20
Sitzung 24
Tagesordnungspunkt Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
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