Carsten KörberCDU/CSU - Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es herrscht Krieg in Europa. Eine Großmacht hat einen Nachbarstaat überfallen wie zu den schlimmsten Zeiten des Imperialismus. Wir werden Zeugen eines Krieges, wie wir ihn in Europa nicht mehr für möglich gehalten hätten. Und wir müssen leider feststellen: Wir haben uns getäuscht. Wir haben uns getäuscht in der Hoffnung auf dauerhaften Frieden. Wir haben uns aber auch getäuscht in einem Mann, dem wir noch vor 20 Jahren die Ehre haben zuteilwerden lassen, hier an diesem Rednerpult zu den Mitgliedern des Deutschen Bundestages zu sprechen.
Für uns gibt es jetzt sicher eine Vielzahl von Herausforderungen. Diese betreffen fast jedes Ressort; aber es ist vollkommen unstrittig, dass das BMZ davon ganz besonders betroffen ist.
In den letzten Jahren erfuhr die deutsche Entwicklungszusammenarbeit einen enormen Aufwuchs an Mitteln und an Kapazitäten. Dieser Aufwuchs wurde jetzt mit dem Regierungsentwurf der Ampelregierung jäh gestoppt. In den Etatverhandlungen mit dem BMF war die Ministerin nicht wirklich erfolgreich. Der Etat sinkt um gut 1,5 Milliarden Euro; das sind spürbar mehr als 10 Prozent. Aber – auch das gehört zur Wahrheit – es bleibt anzuerkennen, dass die Mittel in der Finanzplanung um 700 Millionen Euro angehoben wurden. Dadurch wird zumindest die Dramatik ein Stück weit entschärft. Von den Erfolgen, die dieser Etat unter der CDU-geführten Bundesregierung mit dem Bundesminister für Entwicklungshilfe
(Zurufe der Abg. Nadja Sthamer [SPD] und Deborah Düring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ... und für wirtschaftliche Zusammenarbeit!)
Müller erzielt hat, ist dieser Entwurf allerdings weit entfernt.
Der Ukrainekrieg stellt auch das BMZ vor eine besondere Herausforderung. Zwei Punkte möchte ich herausgreifen:
Der erste Punkt. Die Ukraine ist weltweit der fünftgrößte Weizenexporteur. Selbst wenn die Ukraine als Versorger nur teilweise ausfällt, dann ist die Versorgung mit überlebenswichtigem Getreide in Teilen Afrikas dramatisch gefährdet. Es ist an uns, zu verhindern, dass durch Putins Zivilisationsbruch auch noch eine Hungersnot in Afrika entsteht. Hierauf sollten wir bei den Haushaltsberatungen ein besonderes Augenmerk legen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Zweitens: die Versorgung von ärmeren Ländern mit Coronaimpfstoffen. Die Pandemie ist noch nicht vorbei, wenngleich sie aktuell aus den Nachrichten verschwunden zu sein scheint.
Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine verändert aber auch unseren Blick auf die Welt. Wir bringen zunehmend die Kraft auf, unsere eigenen nationalen, aber auch europäischen Interessen erstens zu erkennen und zweitens auch zu definieren. Das ist gut und wichtig. Aber diese Erkenntnis wird uns nur dann etwas nützen, wenn wir den Mut haben, diese Interessen auch durchzusetzen. Das gilt für unsere Sicherheitspolitik wie auch für die Entwicklungszusammenarbeit; beides gehört zusammen. Denn wenn wir morgen in Europa noch in Frieden, Freiheit, Wohlstand und Sicherheit zusammenleben wollen, dann müssen wir die Kraft aufbringen, unserer Erkenntnis auch Taten folgen zu lassen. Das wünsche ich uns.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ein Land, das mir hierbei einfällt, ist der Libanon – ein Land, das wir Europäer stärker als Nachbar und Partner begreifen sollten und dessen Wohlergehen auch im deutschen und europäischen Interesse liegt. Aktuell ist der Libanon so gut wie pleite. Die Menschen leben dort in größter Armut. Dennoch gewähren die Libanesen unzähligen Flüchtlingen aus der Region Schutz und Zuflucht. Würden wir in Deutschland vergleichbar viele Menschen aufnehmen, dann wären das 27 Millionen – ein Flüchtling auf drei Deutsche.
Hilfe für den Libanon liegt aber auch im strategischen Interesse Deutschlands und Europas. Lassen Sie mich dazu ein konkretes Beispiel nennen. Da fällt mir der Hafen von Beirut ein. Dieser wurde im Sommer 2020 durch die größte nichtnukleare Explosion der Menschheitsgeschichte komplett zerstört. Bereits im Juni letzten Jahres hat der Haushaltsausschuss des Bundestages mit großer Stimmenmehrheit beschlossen, für den Wiederaufbau 12 Millionen Euro bereitzustellen. Bis heute ist leider nichts passiert.
Ich wünsche mir, dass die neue Bundesregierung hier aktiv wird; denn es ist in unserem nationalen und auch in unserem europäischen Interesse, hier etwas zu tun. Wir würden damit den Libanon stabilisieren und könnten zugleich verhindern, dass sich dort andere, weniger demokratische Kräfte etablieren. Die Chinesen, die Türken, aber auch die Russen haben dort bereits Interesse bekundet, den Hafen wieder aufzubauen und zu betreiben. Aber wir müssen uns fragen: Wollen wir das? Wollen wir das vor unserer Haustür zulassen?
Es gibt ein Konzept, das wir zusammen mit Frankreich und anderen europäischen Partnern vorgelegt haben. Wir wollen nicht nur den Hafen wiederaufbauen, sondern ein Stadtquartier errichten, das auch die Bedürfnisse der Bewohner von Arm bis Reich im Blick hat. Das unterscheidet unseren Ansatz von dem, was Chinesen, Türken oder Russen vorhaben.
Ich wünsche dieser Bundesregierung die Entschlossenheit und auch das Selbstbewusstsein, damit aus großen Ideen Wirklichkeit werden kann.
Ganz herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7534773 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 24 |
Tagesordnungspunkt | Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung |