24.03.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 25 / Tagesordnungspunkt 1 Epl 15

Helge BraunCDU/CSU - Gesundheit

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Bundesminister Lauterbach! Ich freue mich auch, dass Klaus Holetschek – als einziger Gesundheitsminister der Länder – heute hier ist und der Debatte folgt; denn Gesundheit ist schließlich eine gemeinsame Aufgabe. Vielen Dank für Ihren Besuch!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

In dieser Debatte haben mehrere Redner der Koalition darauf hingewiesen, was eigentlich die Bürgerinnen und Bürger von uns erwarten – und das teile ich auch –, nämlich dass sie eine gute Gesundheitsversorgung bekommen, die ihnen, wenn sie krank werden, moderne Medizin nach bestem Standard gewährleistet. Es gibt ebenso eine große Erwartung derjenigen, die in den Berufen im Gesundheitswesen tätig sind, dass sich jetzt im dritten Jahr der Pandemie die Arbeitsbelastung wieder der Normalität nähert, dass sich Arbeitsbedingungen verbessern. Und genau das ist die Erwartung und unsere Aufgabe.

Jetzt frage ich mich: Was ist im Haushalt dazu zu finden, sodass man die Hoffnung haben kann, dass das auch wirklich passiert? Sie, die Rednerinnen und Redner der Koalition, haben mehrere Dinge angesprochen, die Sie sich im Koalitionsvertrag vorgenommen haben: Stärkung des ländlichen Raums, Stärkung pflegender Angehöriger und vieles andere mehr. Im Haushalt findet sich dazu nichts.

Es findet sich nicht nur nichts dazu im Haushalt, sondern es ist auch so, dass die Haushaltsspielräume in diesem Haushalt schon mehr als ausgereizt sind, sodass auch die Erwartung, dass da vielleicht noch was kommt, aus meiner Sicht eher gering ist.

Erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Klein-Schmeink?

Ja, bitte.

Herr Braun, Sie waren ja lange im Kanzleramt auch für den Gesamtüberblick zuständig. Ist Ihnen klar, dass das Wesentliche dessen, was wir im Gesundheitswesen und auch in der Pflege ausgeben, beitragsfinanziert ist und der Zuschuss ja nur einen kleinen Anteil dessen ausmacht, was wir im Gesundheitswesen ausgeben? Dieser Zuschuss – das sei auch noch mal allen hier gesagt – ist ja dafür da, versicherungsfremde, gesamtgesellschaftliche Aufgaben zu finanzieren. Das ist die Aufgabe des Zuschusses an den Gesundheitsfonds.

Wenn Sie Beispiele dafür vermisst haben, wie wir unsere Aufgaben im Koalitionsvertrag umsetzen wollen, sage ich Ihnen: Diese Aufgaben sind erst mal etwas, was wir innerhalb des Leistungskataloges der SPV und der GKV leisten.

Von Ihnen erwarten wir Konzepte dafür, wie wir die Bereinigung hinkriegen, dass die Aufgaben, die gesamtgesellschaftlich sind – das sind zum Beispiel pandemiebedingte Kosten –, dann auch wirklich über den Steuerhaushalt finanziert werden, und dass Sie dabei mitgehen.

(Sepp Müller [CDU/CSU]: Redezeit!)

Ist Ihnen das klar? Denn Sie haben gerade eigentlich eine völlig falsche Herleitung an der Stelle vorgenommen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Redezeit!)

Ich habe, ehrlich gesagt, gedacht, es dauert ein bisschen länger, bis der Punkt kommt, aber ich habe ihn schon ein kleines bisschen erwartet. Dazu will ich Ihnen deutlich sagen: Mehrere Ihrer Redner haben eben darauf hingewiesen, dass man die gesetzliche Krankenversicherung eben nicht mit versicherungsfremden Leistungen überlasten soll. Deshalb ist die Frage, ob das alles, was Sie sich da im Koalitionsvertrag vorgenommen haben, am Ende in die GKV gehört, etwas, über das man, glaube ich, als Erstes noch diskutieren muss.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Zweite, was Sie, glaube ich, auch sehen müssen, ist, dass die GKV schon jetzt erheblich unterfinanziert ist. Und wenn ich noch in die mittelfristige Finanzplanung schaue, dann mache ich mir richtig Sorgen um die gesetzliche Krankenversicherung. Denn das, was Karl Lauterbach in den Interviews, sozusagen im Vorgriff auf das Gesundheitsfinanzierungsgesetz, ankündigt, ist, dass wir im nächsten Jahr ein Loch von 17 Milliarden Euro haben werden und dass er noch mal einen Zuschuss von mindestens 5 Milliarden Euro braucht, um die GKV überhaupt zu finanzieren, also ohne dass zusätzliche Projekte, die Sie vielleicht vorhaben, umgesetzt werden können. Das alles ist nicht nur nicht in der mittelfristigen Finanzplanung abgebildet, sondern es ist sogar so, dass der Finanzminister trotz der Finanzierungslasten durch die Coronapandemie, die Sie eben angesprochen haben, offenkundig davon ausgeht, dass man den Haushalt des Bundesministeriums für Gesundheit im nächsten Jahr mehr als halbieren kann, weil da so gut wie gar keine Kosten mehr anfallen. Und auch da sind die Spielräume ausgereizt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Also, ich habe sehr, sehr große Sorgen, ob das, was Sie sich vorstellen, überhaupt realisierbar ist. – Deshalb herzlichen Dank für diese Frage.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist aber eben nicht nur die gesetzliche Krankenversicherung, die vor großen Finanzierungsherausforderungen steht. Da spielen natürlich die Ukrainekrise und die aktuelle Wirtschaftsentwicklung auch mit rein. Wir rechnen mit einer stärkeren Inflation; wir rechnen damit, dass die Wirtschaft sich nicht ganz so positiv entwickelt. Das heißt, die 17 Milliarden Euro, die wir im nächsten Jahr als Lücke erwarten, werden möglicherweise noch mehr. Der Bundesfinanzminister hat von diesem Pult aus zwar sehr deutlich gemacht, dass er zusätzliche Belastungen für die Wirtschaft und für die Bürgerinnen und Bürger nicht will. Aber wenn es so kommt, dann ist eine Beitragserhöhung im Bereich der GKV unausweichlich, und – Sie haben es ja gerade auch gesagt – auch im Bereich der Pflegeversicherung sind Beitragserhöhungen alles andere als ausgeschlossen.

Wenn wir wollen, dass die deutsche Wirtschaft uns über die Steuereinnahmen durch diese Krise trägt, dann müssen wir es schaffen – das ist unsere Aufgabe –, dass auch in Zukunft die Beiträge zur Sozialversicherung in der Summe nicht über die 40-Prozent-Grenze steigen. Das hat die bisherige Regierung immer geschafft, und an dieser Grenze werden wir auch Sie messen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie nicht geschafft, und Sie haben auch keine Projekte vorgelegt!)

Neben GKV und PKV sind natürlich die Ausgaben für Corona ganz entscheidend. Sie, Herr Bundesminister, haben in Ihrer Rede eingangs noch einmal deutlich gemacht, dass momentan die Infektionszahlen ein historisches Hoch haben. So viele gemeldete Neuinfektionen wie am heutigen Tag gab es in der ganzen Pandemie noch nicht. Gerade vor dem Hintergrund des von Ihnen angesprochenen Long-Covid-Problems, das eben nicht auf schwere Verläufe begrenzt ist, sondern das es auch bei leichteren Verläufen gibt, muss man sich schon Sorgen machen; denn zwei Drittel aller Infektionen sind in der Amtszeit der neuen Regierung entstanden, nur ein Drittel in der ganzen Zeit davor.

(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Omikron ist doch keine Erfindung der Ampel!)

Sie lassen die Infektionszahlen laufen, und das bildet sich auch im Haushalt ab. Denn Sie brauchen gegenüber dem ersten Regierungsentwurf für die Coronapolitik 18,8 Milliarden Euro mehr.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

Das ist eine Aufgabe, an der Sie arbeiten müssen.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dem stellen wir uns auch!)

Zum Thema Testen. Je mehr Infektionen, desto mehr muss natürlich getestet werden. In unserem System ist es momentan so – und der Kollege Klein hat ja sehr intensiv darüber gesprochen, was die Aufgabe der Länder oder der Kassenärztlichen Vereinigung ist –, dass der Bund nicht wirklich eine Kontrolle über das Testen ausübt; der Bundesrechnungshof hat das kritisiert. Die Kassenärztliche Vereinigung soll die Kontrolle durchführen, verdient aber umso mehr Geld, je mehr insgesamt ausgegeben wird. Das heißt, das Anreizsystem ist völlig falsch. Und wenn man in das dritte Jahr der Pandemie geht und weiß, dass man dieses Instrument noch lange brauchen wird, dann muss man dafür sorgen, dass es auch kosteneffizient ist. Deshalb müssen Sie dringend etwas an dem Erstattungssystem für die Tests ändern.

(Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir geerbt!)

Da in dieser Woche in weiten Teilen des Landes die Maskenpflicht weggefallen ist und wir in der Situation sind, dass nur sieben Landkreise in Deutschland eine Inzidenz von unter 1 000 haben, ist es ganz entscheidend, dass wir jetzt nur noch für Hotspots, die unklar definiert sind, über die Länder Coronamaßnahmen beschließen. Da sagt ja der Bundesjustizminister jedes Mal, dass er eigentlich der Meinung ist, es gebe keine Überlastungsphänomene und keine Belastungsphänomene mehr in den Krankenhäusern.

Gleichzeitig haben Sie, Herr Bundesgesundheitsminister, entschieden, dass die Ausgleichszahlungen in den Krankenhäusern weiter fortgesetzt werden – mit Geld vom Steuerzahler, das wir im Bundeshaushalt dafür in die Hand nehmen, dass geplante Operationen ausfallen. Menschen in Deutschland können ihre geplante Gallenoperation, ihre geplante Leistenoperation nicht durchführen lassen, weil die Belastungssituation im Gesundheitswesen durch den Ausfall von Kolleginnen und Kollegen immer noch so hoch ist, dass wir ohne die Ausgleichszahlungen nicht zurande kommen. Wenn das keine Belastungssituation im Gesundheitswesen ist, dann weiß ich auch nicht.

Deshalb meine herzliche Bitte: Arbeiten Sie auch daran, dass wir aus diesem System herauskommen und dass wir ein dauerhaft funktionierendes System der Krankenhausfinanzierung bekommen! Dort ist in den letzten Jahren auch seitens der Länder nicht genug investiert worden; das hat nicht zu mehr Qualität in unserem Gesundheitssystem geführt.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Die bösen Länder!)

Die Krankenhausfinanzierung ist eine zentrale Aufgabe, und auch darüber findet sich nichts Gutes in diesem Regierungsentwurf.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7534827
Wahlperiode 20
Sitzung 25
Tagesordnungspunkt Gesundheit
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