25.03.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 26 / Tagesordnungspunkt 1

Kevin KühnertSPD - Schlussrunde Haushaltsgesetz 2022

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege, ich will mir gerne mal die beiden Schwerpunkte vornehmen, die Sie gerade namens Ihrer Fraktion hier dargestellt haben, und möchte mal überprüfen, ob Sie diesen in dieser Haushaltswoche und darum herum eigentlich gerecht geworden sind.

Erster Punkt. Ich habe jetzt verstanden, dass es um Solidität in der Haushaltspolitik geht: nicht zu viele Schulden machen, an die nächsten Generationen denken. Ich kriege das nicht ganz überein mit Ihrer Zustimmung dazu – und darin unterstützen Sie uns ja ausdrücklich –, das Sondervermögen über 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr auf den Weg zu bringen. Sie haben uns neben der sehr langen und beeindruckenden Liste, die der Kollege Fricke eben hier gezeigt hat, unter anderem auch abverlangt, alleine im Einzelplan 14 noch mal 25 Milliarden Euro zusätzlich bei der Truppe obendrauf zu packen.

Sie haben noch in der alten Regierung dem ersten Regierungsentwurf zum Kernhaushalt selbst mit einer Nettoneuverschuldung von 99,7 Milliarden Euro zugestimmt und wollen jetzt nichts mehr davon wissen. Allein dieses Versprechen halten Sie mit dem, was Sie hier einfordern, mit den Positionen, die Sie diese Woche eingenommen haben, selber schon nicht ein; da müssten Sie sich entscheiden.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Der zweite Punkt ist die Sicherheit und Unabhängigkeit in schwierigen Zeiten auf unserem Kontinent, wo Krieg in der Ukraine tobt und droht, einen ganzen Kontinent zu erfassen. Ich kann das nicht damit übereinbringen, dass Ihre Fraktion ja weiterhin – außer, ich habe irgendwas verpasst – gegen den Nachtragshaushalt und damit auch 60 Milliarden Euro für mehr Unabhängigkeit, die beispielsweise durch die Privatwirtschaft in Deutschland in energiepolitischer Hinsicht herzustellen ist, klagen will.

(Zuruf von der CDU/CSU)

Wenn Ihnen das mit der Sicherheit, die wir, wie wir ja in diesen Tagen sehen, im energiepolitischen Bereich in besonderer Weise herausarbeiten müssen, so wichtig wäre, dann wäre Ihr Platz nicht hier vorne am Pult, um die Fraktionen der Koalition dazu anzurufen. Ihr Platz müsste in Nordrhein-Westfalen sein, um Ihren Parteifreund Herrn Wüst darauf hinzuweisen, dass es aber mal so was von letztes Jahrhundert ist, in diesem Moment, wo wir über energiepolitische Unabhängigkeit sprechen, immer noch an Abstandsregeln von 1 000 Metern für Windkraftanlagen festzuhalten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Das ist doch ein Stück aus dem Tollhaus, was Sie da präsentieren. 1 000 Meter Abstand! Sie bauen in Nordrhein-Westfalen nur noch ein Viertel von dem,

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Wahlkampf hier! Ist ja unglaublich! – Zuruf des Abg. Dr. Götz Frömming [AfD])

was gebaut wurde, bevor Sie die Landesregierung dort übernommen haben.

(Florian Oßner [CDU/CSU]: Haushalt! Das ist die Schlussrunde Haushalt!)

Oder Sie wären im Saarland, wo die Antwort des Ministerpräsidenten auf steigende Energiepreise und die Angst der Leute vor einer Energieabhängigkeit von Herrn Putin lautet,

(Christian Haase [CDU/CSU]: Schleswig-Holstein!)

sich in einem Selfievideo als Verantwortlicher vor die Zapfsäule zu stellen.

(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Berlin hat sieben Windkraftanlagen! Da kann man eine große Klappe haben!)

Das zeugt von Hilflosigkeit, das bringt keine Zustimmung in der Bevölkerung.

Deswegen sinken die Umfragewerte, deswegen wird das kein schöner Wahlsonntag. Deswegen nehmen Sie alle – Ihr Vorsitzender, Ihr Generalsekretär – diese Woche keine Wahlkampftermine im Saarland mehr wahr.

(Matthias Hauer [CDU/CSU]: Aber Sie machen Wahlkampf hier!)

Da kann man zwar frei nach Harald Juhnke sagen: „Keine Termine und leicht einen sitzen“. Man hat dann ein schönes freies Wochenende, aber leider keinen schönen Wahlabend am Sonntag, meine Damen und Herren von der Unionsfraktion.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Das, was Sie dort, wo Sie in Verantwortung sind, machen, geht einfach an der Zeit vorbei.

(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Eine Arroganz der Großstädter gegenüber dem ländlichen Raum! Wenn man aus dem Prenzlauer Berg kommt, kann man das sagen!)

Was wir gemacht haben in dieser Woche, und zwar für den ländlichen Raum gleichermaßen wie für die Großstädterinnen und Großstädter, Herr Kollege, ist, ein zweites Entlastungspaket im Umfang von gut 20 Milliarden Euro – nach dem ersten im Umfang von gut 15 Milliarden Euro – auf den Weg zu bringen. Jetzt sagen Sie mir mal, welche Maßnahmen daraus arrogant oder schlecht ausdifferenziert wären.

Abschaffung der EEG-Umlage per 1. Juli 2022 – das hatten Sie auch immer gefordert –; Erhöhung der Pendlerpauschale rückwirkend zum 1. Januar 2022; Heizkostenzuschuss – 230 Euro für Azubis und für BAföG-Empfängerinnen und -Empfänger, 270 Euro für Singlehaushalte, 350 Euro für Paare, 70 Euro obendrauf für jede weitere Person im Haushalt –; eine Einmalzahlung – nicht nur die 100 Euro aus dem ersten Paket, sondern jetzt verdoppelt – in Höhe von 200 Euro für Bedürftige aus Haushalten, die Transferleistungen beziehen; ein Sofortzuschlag in Höhe von 20 Euro pro Monat für Kinder in Armut in Deutschland, bis wir die Kindergrundsicherung auf den Weg gebracht haben; Erhöhung des Grundfreibetrags; Erhöhung des Arbeitnehmerpauschbetrags; Mindestlohn von 12 Euro per 1. Oktober dieses Jahres für Millionen Menschen in Deutschland; Verlängerungen der Regelungen zum Kurzarbeitergeld in der Pandemie; das Vierte Corona-Steuerhilfegesetz, um auch die Unternehmen sicher durch diese Pandemie und die Kriegssituation in der Ukraine mit all ihren wirtschaftlichen Auswirkungen zu bringen; Energiepauschale in Höhe von 300 Euro für alle erwerbstätigen Menschen in Deutschland; Einmalbonus in Höhe von 100 Euro für jedes Kind; drei Monate Absenkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe und die 9‑Euro-Flat für den öffentlichen Nahverkehr in Deutschland:

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Dr. Götz Frömming [AfD]: Woher kommt das Geld?)

Jetzt sagen Sie mir bitte, wer hier ausgelassen wurde, wessen Lebenswirklichkeit hier am Ende nicht gesehen wurde. Das möchte ich mal wirklich gerne benannt haben.

(Florian Oßner [CDU/CSU]: Mittelstand! – Christian Haase [CDU/CSU]: Handwerker!)

Das ist die Unterstützung, die diese Bundesregierung bis hierhin leistet, um Deutschland durch diese Phase zu bringen.

Was Ihnen anscheinend immer noch nicht klar geworden ist: Herr Putin verfolgt genau vier Ziele bei der Spaltung, die er vorantreiben will.

(Christian Haase [CDU/CSU]: Haben Sie mit ihm gesprochen, oder was?)

Das eine war der Spaltungsversuch gegenüber der Gesellschaft innerhalb der Ukraine selbst. Das ist ihm misslungen. Die russischen Truppen treffen nicht auf Menschen in der Ukraine, die befreit werden wollen, sondern auf Menschen, die Widerstand leisten. Das ist der erste Fail, den er sich geleistet hat.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Patriotisch!)

Das Zweite, was er versucht hat hinzubekommen, ist, die Europäische Union zu spalten. Das ist ihm nicht gelungen. Die Europäische Union – gerade auch unter der Koordinierung der Innenministerin, die im Moment die Aufnahme der Flüchtlinge organisiert – ist nicht gespalten.

(Zuruf des Abg. Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU])

Das Dritte war der Versuch, die NATO und das westliche Bündnis zu spalten. Das ist nicht gelungen.

Und das Vierte – das dürfen wir alle nicht vergessen –

(Matthias Hauer [CDU/CSU]: Schröder!)

ist der Versuch, sozialpolitisch diese Gesellschaft auseinanderzutreiben. Zur besten Sendezeit wird den Menschen in Russland im Moment in ihrem Staatsfernsehen erzählt, in Deutschland gebe es auf den Straßen Ausschreitungen und Großdemonstrationen, weil hier angeblich alles durch die Decke gehen würde. Wir wissen und sehen: Das ist nicht der Fall. – Aber diese Regierung und diese Koalition tragen eben auch dazu bei, dass es dabei bleibt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Sie können sich darüber mokieren und aufregen; aber es ist genau die Entlastung, die die Menschen in Deutschland jetzt brauchen.

Weil ich den Namen „Schröder“ eben gerade gehört habe: Jeder hat in diesen Zeiten sein Päckchen zu tragen, das ist in jeder Partei der Fall. Mit Blick auf die Kollegen der Linken und in Erwartung ihres nächsten Redebeitrages glaube ich, dass manche in diesen Tagen vielleicht überlegen sollten, ob es immer noch der richtige Zeitpunkt ist, um für Hans Modrow ein kleines Kabuff in der Parteizentrale bereitzuhalten, von wo aus er wirklich absurde Thesen über diesen Krieg in der Ukraine verbreiten kann. Ich halte das für unangemessen. Jeder hat sein Päckchen zu tragen,

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

aber bei euch sind es mittlerweile viele Päckchen geworden. Man könnte denken, in drei Wochen ist nicht Ostern, sondern Weihnachten. Das ist eine traurige Nachricht.

Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für die Beratungen in dieser Woche. Ich bedanke mich bei den Koalitionspartnern und bei den Mitgliedern in der Regierung für die harte Arbeit daran, dass wir die Menschen durch diese Pandemie, aber auch durch diese Kriegssituation hindurch begleiten. Das ist die Handschrift dieser Ampelkoalition. Ich bin stolz darauf, dass wir das nach kaum mehr als 100 Tagen in dieser Regierung so gut gemeinsam hinbekommen. Vielen Dank dafür!

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ist Gerhard Schröder eigentlich noch in der SPD?)

Als nächster Redner erhält für die AfD-Fraktion Peter Boehringer das Wort.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7534978
Wahlperiode 20
Sitzung 26
Tagesordnungspunkt Schlussrunde Haushaltsgesetz 2022
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