Derya Türk-NachbaurSPD - Aktuelle Stunde - Massaker der russischen Truppen an ukrainischen Zivilisten in Butscha
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Demokratinnen und Demokraten und andere! Als Mutter und als Menschenrechtspolitikerin schnürt es mir die Kehle zu, wenn ich die Bilder der ermordeten Zivilistinnen und Zivilisten in Butscha sehe. Die Berichte über Hunderte Tote in den Kiewer Vorstädten Butscha und Hostomel und der Fund von zahlreichen Leichen in Massengräbern, all das verweist auf ein grausames Massaker an der Zivilbevölkerung. Frauen, Kinder, Alte – hingerichtet!
Die ukrainische Abgeordnete Inna Sovsun berichtet, dass auch Leichname von Kindern mit verbundenen Händen gefunden wurden. Sergei, ein Bestatter aus Butscha, erzählt in der „taz“, dass sie über 300 Leichen geborgen hätten. Circa 30 Prozent seien Frauen und Kinder gewesen. Vielen waren die Hände auf dem Rücken zusammengebunden. – Es ist und es bleibt unerträglich. Das sind keine Bilder aus der Vergangenheit. Das geschieht heute, vielleicht sogar jetzt, während wir hier über diese Gräueltaten debattieren.
Ebenso schlimm finde ich es, dass es auch bei uns in Deutschland Menschen gibt, die diese Gräueltaten abstreiten, sie als Inszenierung der ukrainischen Regierung bezeichnen und das Ausmaß der Unmenschlichkeit infrage stellen. Sie gehen demonstrierend auf unsere Straßen und nutzen das Demonstrationsrecht aus, das in Russland verwehrt wird. Es gibt leider auch Mandatsträger und Kandidierende, die dieses in Zweifel stellen. Nicht umsonst schaue ich in Ihre Richtung und würde Sie bitten, liebe AfD-Fraktion, Ihren Dresdner OB‑Kandidaten einmal ein bisschen zu zügeln.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Die Propagandamaschinerie des Kreml scheint nämlich auch hier zu verfangen. Dabei müsste man sich nur auf der offiziellen Nachrichtenwebseite der russischen Regierung umschauen. Die Russische Föderation macht keinen Hehl daraus, worum es ihr wirklich geht. Ich zitiere: Ukrainer „müssen so zahlreich wie möglich getötet werden“. „ Nicht nur die Eliten, die meisten Menschen sind schuldig, sie sind passive Nazis …“ Zynischer geht es wirklich kaum noch.
Ein friedliches, prosperierendes Land wie die Ukraine, das seine Atomwaffen 1994 an Russland abgegeben hat, das die Grundwerte der EU anerkennt, ein Land, in dem Überlebende der nationalsozialistischen Vernichtungslager durch russischen Raketenbeschuss ermordet werden, ein Land mit einem jüdischen Präsidenten an seiner Spitze, ein Land, in dem seit 30 Jahren die rechtsradikalen Parteien und rechtsextremen Kräfte meist an der 5-Prozent-Hürde scheitern – hier leider nicht –, ein solches Land verdient nicht nur unsere Solidarität, sondern es hat auch seinen Platz in Europa, in der Europäischen Union verdient – in Freiheit und an unserer Seite.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Die „taz“ vom 4. April berichtet von einem Grab, das in einem Nachbardorf von Butscha gefunden wurde. In diesem Grab liegen zwei Frauen und vier Männer, alle mit Schüssen in den Hinterkopf exekutiert. Das ist die Familie der Dorfvorsteherin Olga Suchenko. Sie und ihre Familie waren seit dem 23. März verschwunden. Sie war eine Kommunalpolitikerin – wie viele von uns hier auch –, die sich dem Militär nicht beugen wollte. Dafür wurden sie und ihre Familie entführt und menschenverachtend liquidiert. Die Bürgermeisterin gehörte zur Funktionselite eines Landes, dem Präsident Putin die Existenzberechtigung wiederholt abgesprochen hat.
Die Opfer von Butscha sind nicht den Entgleisungen Einzelner zuzurechnen, die durch die traumatischen Erfahrungen des Grauens des Krieges durchdrehen. Nein, sie sind die Taten eines mordenden, gezielt mordenden Militärapparats, der vom Kreml aus befehligt und befeuert wird. Wir wissen nun von Butscha. Wie viele Butschas es tatsächlich sind, in denen das russische Militär Zivilistinnen und Zivilisten ermordet, verschleppt und gefoltert hat, das wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich fordere analog zur UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet eine unabhängige Untersuchung in der Ukraine. Dazu gehört eine umfassende Beweissicherung und die Exhumierung sowie Identifizierung aller Leichenfunde.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Wer Terror sät, wird die Entschlossenheit der internationalen Justiz ernten. Wer Kriegsverbrechen legitimiert und relativiert, macht sich mitschuldig. Bis es jedoch so weit ist, bis alles aufgeklärt ist, müssen wir diesen politischen und wirtschaftlichen Druck auf Putin maximal verstärken.
Bei Kriegsverbrechen gibt es nicht mehr allzu viel zu diskutieren. Mit zwei Zeilen von Danger Dan möchte ich schließen: Faschisten hören niemals auf, Faschisten zu sein. Man diskutiert mit ihnen nicht. Das hat die Geschichte gezeigt. – Nicht diskutieren, sanktionieren! Danke, dass Sie das tun, lieber Herr Bundeskanzler, liebe Bundesregierung.
Danke.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7535081 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 27 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde - Massaker der russischen Truppen an ukrainischen Zivilisten in Butscha |