Ulrike BahrSPD - Masterplan Hilfe für ukrainische Frauen, Kinder und Jugendliche
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Seit inzwischen sechs Wochen folgen wir mit wachsendem Entsetzen dem Horror des russischen Angriffs auf die Ukraine. Inzwischen befindet sich ein Viertel der ukrainischen Bevölkerung auf der Flucht. Etwa 300 000 Menschen, zum allergrößten Teil Frauen und Kinder, haben in Deutschland Aufnahme gefunden. Die Hilfsbereitschaft in der Zivilgesellschaft, aber auch in den Kommunen und bei den Wohlfahrtsverbänden ist beeindruckend; denn dieser Krieg ist nicht nur geografisch nah, er ist auch emotional sehr nah an uns dran.
2018 hat eine Stipendiatin des Internationalen Parlaments-Stipendiums aus Kiew drei Monate in meinem Bundestagsbüro gearbeitet. Zum Abschluss im Sommer 2018 hat ihre ganze Familie mich im Bundestag besucht. Kateryna hat anschließend in Deutschland Arbeit gefunden. Jetzt hat sie ihre Großmutter, Mutter und die kleine Schwester zu sich nach Berlin geholt.
Vor zwei Tagen berichtete sie entsetzt über die Massaker in Butscha. Die Familie hatte eine Datsche kurz hinter Butscha und fragt sich jetzt, ob die ehemaligen Nachbarn noch leben und ob sie ihren Garten je wiedersehen können. In dieser emotionalen Ausnahmesituation möchten Katerynas Angehörige nicht verteilt werden, sondern brauchen ihre Tochter, Enkelin und Schwester als Stabilitätsanker und Orientierungshilfe und möchten darum in Berlin bleiben. Das ist wohl für jeden überaus nachvollziehbar.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Clara Bünger [DIE LINKE])
Solche niedrigschwelligen Zugänge, die unproblematische Einreise und der visumsfreie Aufenthalt für 90 Tage treten gelegentlich in Konflikt mit der unverzüglichen Registrierung. Unsere Innenministerin Nancy Faeser arbeitet seit Wochen an der Verbesserung der Registrierung. Die Bundespolizei geht regelhaft durch die Züge, kontrolliert die ukrainischen Pässe und macht auf die Registrierung und die damit verbundenen Vorteile aufmerksam. Die Ausländerbehörden vor Ort werden vom Bundesinnenministerium im Einsatz von PIK-Stationen unterstützt, die einen Abgleich mit europäischen Datenbanken ermöglichen. Nur über die Registrierung gibt es einen Zugang zu Leistungen, zum längerfristigen Aufenthaltsrecht und zu einer Arbeitserlaubnis.
An Ankunftshotspots wie dem Berliner Hauptbahnhof weisen die Helferinnen und Helfer sowohl auf die Registrierung als auch auf die Gefahren privater Angebote hin; denn Schutz kann nur funktionieren, wenn wir wissen, wer gekommen ist und Schutz braucht. Die meisten Geflüchteten lassen sich auch zeitnah registrieren. Nach meiner Wahrnehmung läuft sehr vieles inzwischen sehr gut und koordiniert. Denn wir können auf Erfahrungen und Strukturen aufbauen, die es seit 2015 gibt und die Bund und Länder gemeinsam fortentwickelt und verbessert haben. Die Bund-Länder-Zusammenarbeit sowohl im Innenressort als auch im Bereich „Frauen und Familie“ ist eng abgestimmt. Richtig so!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Die schnelle humanitäre Hilfe und der Schutz für geflüchtete Menschen aus der Ukraine ist kein gutes Feld für parteipolitische Profilierung. Hier müssen wir auf allen Ebenen – Bund, Länder, Kommunen – zusammen helfen und tun das auch.
Eine befreundete Jugendamtsleiterin aus Bayerisch-Schwaben hat mir berichtet, dass all die Integrationsmaßnahmen, die der Antrag der Union auflistet, in ihrer Kommune bereits umgesetzt werden: Parallel zu Sprachkursen gibt es Spielgruppen für Kinder unter sechs Jahren. Schwangere und Wöchnerinnen in den Unterkünften werden von Familienhebammen betreut. Die Bundesagentur für Arbeit bietet regelmäßig Sprechstunden und Beratung in den Unterkünften an. Die 2016 gemeinsam mit UNICEF entwickelten Schutzkonzepte für Gemeinschaftsunterkünfte werden selbstverständlich angewendet. Auf die zentralen Bundesprogramme zur Integrationsförderung wird meine Kollegin Gülistan Yüksel noch eingehen.
Auch das BMFSFJ hat viele seiner zentralen Informationen zu Beratungsdiensten mit Blick auf die ukrainischen Frauen und Jugendlichen erweitert, so zum Beispiel die Hilfetelefone „Gewalt gegen Frauen“ und „Schwangere in Not“. Ein Angebot in russischer Sprache gibt es bereits, und Dolmetscherangebote auf Ukrainisch sind in Vorbereitung.
Der bundesweite Koordinierungskreis gegen Menschenhandel, KOK e. V., ist Partner bei der Schulung von Bundespolizei, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und von Hilfsorganisationen. Ministerin Spiegel hat gestern aus einem Briefing mit dem KOK von Anfang dieser Woche berichtet, dass Hinweisen auf Missbrauch, Ausbeutung und Zwangsprostitution sehr sorgfältig nachgegangen wird.
(Zuruf von der CDU/CSU: Na super!)
Besonders froh bin ich, dass es seit Ende letzter Woche eine bundesweite Koordinierung zur Versorgung, Unterbringung und Verteilung von Kindern und Jugendlichen gibt, die aus evakuierten ukrainischen Kinderheimen mit ihren Gruppen und ihren Betreuerinnen kommen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
In Kooperation mit dem Bundesverband SOS-Kinderdorf und dem Bundesverwaltungsamt können Kommunen Platzkapazitäten melden. Die Verteilung wird dann vom Bundesverwaltungsamt gesteuert.
Natürlich bleiben noch viele Fragen offen. Vormundschaft und Sorgerecht für die betroffenen Minderjährigen nach ukrainischem Recht sind oft nicht geklärt. Qualitätsstandards nach deutschem Jugendhilferecht können übergangsweise nicht garantiert werden. Hier brauchen wir schnell geprüfte Informationen, um pragmatische Übergangslösungen zu finden und so den deutschen Einrichtungsträgern rechtssicheres Handeln zu ermöglichen und sie in ihrem Engagement nicht in Konflikt mit der Heimaufsicht zu bringen.
Für die Finanzierung von Hilfen, zum Beispiel auch für Menschen mit Behinderungen, die ebenfalls in nennenswerter Zahl kommen und dringend Unterstützung brauchen, hoffe ich sehr auf eine schnelle Einigung bei der Ministerpräsidentenkonferenz heute Nachmittag.
Es ist sehr gut, dass es für solche umfassende Hilfe einen sehr breiten Konsens über die Fraktionen hinweg gibt. Ein ganz besonderer Dank gebührt aber der Zivilgesellschaft. In meinem Wahlkreis Augsburg gibt es eine recht große ukrainische Community und einen sehr aktiven ukrainischen Verein, der sich mit viel Herzblut und Engagement für die Landleute einsetzt und dabei sehr viel Unterstützung und Hilfe in der gesamten Stadtgesellschaft findet.
Das erlebe ich auch anderswo genauso. Die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt vernetzt dieses großartige zivilgesellschaftliche Engagement für die Ukraine im Bündnis Alliance for Ukraine.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Ich komme zum Ende. – Es bleibt zu hoffen, dass uns allen bei diesem Marathon nicht die Puste ausgeht. Die Menschen aus und in der Ukraine brauchen unsere Solidarität noch lange.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Ich erteile das Wort Dr. Gottfried Curio, AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7535180 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 28 |
Tagesordnungspunkt | Masterplan Hilfe für ukrainische Frauen, Kinder und Jugendliche |