07.04.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 28 / Tagesordnungspunkt 8

Ariane FäscherSPD - Gleichstellungsbericht der Bundesregierung

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Interessierte an den Bildschirmen! In der Pandemie waren die Menschen durchschnittlich über zehn Stunden täglich online. Aktuell sind es immer noch mehr als sieben Stunden. Der Dritte Gleichstellungsbericht der Bundesregierung fokussiert daher mit gutem Grund auf die digitale Welt, und wie in der realen Welt sind auch in der digitalen Welt Mädchen und Frauen im Netz wesentlich häufiger Gewalt ausgesetzt. Hier knüpfe ich an die Debatte zum Internationalen Frauentag an und möchte noch einmal verstärken: Menschenrechte, Frauenrechte – es ist eins.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Die vorgestern vorgestellte Kriminalitätsstatistik zeigt, dass Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu 92 Prozent Frauen und zu 50 Prozent unter 21 Jahre alt sind. Die Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern haben um 6,3 Prozent zugenommen, die Verbreitung pornografischer Schriften um 88 Prozent. Die virtuelle Welt wird dabei als Tatort immer relevanter.

Es gibt eine Vielzahl an Formen von Gewalt an Frauen und Mädchen im Netz: Cybermobbing, Hatespeech, Bloßstellen und Anschwärzen, sogenanntes Doxing, Cyberstalking, Nötigung oder Erpressung, Verbreiten von Gerüchten und Schmähungen, Identitätsmissbrauch und auch die offene Androhung von Gewalt, begünstigt durch die Anonymität des Netzes und in räumlicher Distanz zum Opfer. Das bedeutet: Das Netz ermächtigt somit auch Feiglinge, zum Täter zu werden.

Unser Gehirn ist ein Wunderwerk. Es merkt sich über sogenannte Spiegelneuronen Erfahrungen und Gefühle, damit wir in einer künftigen Situation Muster erkennen, gewappnet sind, schnell reagieren können. Das soll unser Überleben sichern. Doch das heranreifende Gehirn eines unter 18‑Jährigen unterscheidet nicht zwischen wirklich erlebten Szenen und virtuell erlebten Erfahrungen und Emotionen. Ein Spiel, ein Film, eine Diffamierung im Netz wird genauso stark erlebt und genauso als Wirklichkeit abgespeichert. Das Internet prägt auf diese Weise direkt Selbst- und Rollenbilder.

Welchen Einfluss hat das Internet auf unsere Vorstellungswelten? Unendlich viele Fotos, Selfies werden verschickt, vermeintlich verschönt durch Filter. Das eigene Spiegelbild kann dann mit diesem virtuellen Ich nicht mehr mithalten, und das führt in der Realität zu Gefühlen von Minderwertigkeit, meist bei Frauen. Dazu kommen neue Vorbilder, Influencer/-innen, gecastet, um durch Schönheit Einfluss zu nehmen. Schönheit, Erfolg und Ware werden somit eine Einheit. Es entsteht ein auf Benutzen und Verbrauchen, ein auf Konsumieren ausgelegtes Menschen- und insbesondere Frauenbild.

35 Prozent des Datenverkehrs im Internet sind Zugriffe auf Pornos. Neun von zehn Konsumenten sind Männer. Der Erstkonsum ist gewöhnlich im Alter von elf bis zwölf Jahren. 71 Prozent der 14- bis 17‑Jährigen gucken mehrfach wöchentlich Pornodarstellungen. Wir erinnern uns an die Spiegelneuronen: Anhand dieser Bilder prägen sich die Vorstellungen der jungen Männer von Frauen und von Sex. Es prägt sich ein Selbstbild von einem Mann, der das Recht hat, alles, was er will, von der Frau zu bekommen, es sich nötigenfalls auch zu nehmen. Diese Bilder von Frauen als Objekt führen zu Enthemmung und zu höherer Gewaltbereitschaft gegenüber Frauen. Der Anteil polizeilich gemeldeter Vergewaltigungen und schwerer sexueller Nötigung ist seit 2010 von 9,4 auf 11,9 Fälle pro 100 000 Einwohner gestiegen.

(Zurufe von der AfD)

Wo kommt das her? Was ist zu tun? Das Bundesfrauenministerium hat 2019 die bundesweite Initiative „Stärker als Gewalt“ gestartet. Auf der Onlineplattform „Aktiv gegen digitale Gewalt“ gibt es gesammelte Informationen über Formen digitaler Gewalt, was dagegen getan werden kann und wo es Hilfe für Betroffene und Fachkräfte gibt.

Es gilt das Wissen zu stärken, empfiehlt der Gleichstellungsbericht. Bei Straftaten soll erfasst werden, ob digitale Medien eine Rolle spielen. Fachberatungsstellen sollen ihre Kompetenzen im Bereich „geschlechterbezogene digitale Gewalt“ auf- und ausbauen. Ein Schutzschirm könnte Opfern unter anderem bei der Sicherung von Beweismitteln, dem Löschen von Hasskommentaren oder dem Schützen ihrer Accounts helfen.

Zentral bleibt als Forderung die Reform internationalen gesetzlichen Kinder- und Jugendmedienschutzes; denn bis jetzt ist es ein einziger Klick „Ich bin 18“, um auf der Pornoseite zu landen. Die Kinder und Jugendlichen sollen einerseits vor ungeeignetem Inhalt, aber insbesondere vor Interaktionsrisiken wie Mobbing, sexualisierter Anmache, Hassrede, aber auch vor Kontaktaufnahme durch Täter geschützt werden.

Die Kombination aus Sensibilisierung, digitalem Jugendschutz und einem funktionierenden Hilfesystem haben wir im Koalitionsvertrag als wichtige Eckpfeiler des Gewaltschutzes verankert. Das Thema gehört auch an den runden Tisch „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“; und diesen werden wir im Mai fortsetzen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Greifen wir darüber hinaus an der Wurzel an. Es sind die gelebten Rollenbilder und Vorbilder, die Männer- und Frauen-, Mütter- und Väterbild geben. Aber lassen Sie uns auch pädagogisch und in Kampagnen Menschen- und Rollenbilder prägen, in denen jeder Mensch gleich viel wert ist und darüber hinaus alles, was er oder sie möchte, sein kann.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Und lassen Sie uns noch was völlig Verrücktes tun, nämlich unser Grundgesetz ernst nehmen, indem wir die Würde des Menschen, die Würde der Frau wieder als unantastbar anerkennen. Frauenrechte sind Menschenrechte, in der realen und in der virtuellen Welt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7535220
Wahlperiode 20
Sitzung 28
Tagesordnungspunkt Gleichstellungsbericht der Bundesregierung
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