Kristine LütkeFDP - Pflegebonusgesetz
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir alle kennen die Bilder von den Krankenhausfluren in Bergamo in Italien, auf denen völlig erschöpfte Pflegekräfte zu sehen sind. Und wir alle erinnern uns, wie anders und merkwürdig Weihnachten und Geburtstage in den letzten beiden Jahren waren, an denen wir Angehörige, die krank oder pflegebedürftig waren, nicht besuchen konnten.
Einige von uns haben vielleicht anfangs wirklich am Fenster gestanden und applaudiert. Das war eine schöne Geste, und auch mich hat sie berührt. Gleichzeitig weiß ich aus eigener, persönlicher Erfahrung: Die Pflege braucht viel mehr als Applaus.
Als Pflegeunternehmerin habe ich insbesondere die erste Zeit der Pandemie sehr intensiv und hautnah erlebt. Eine gute Pflege für meine Bewohnerinnen und Bewohner unter den extremen Umständen der Pandemie zu gewährleisten, das konnte ich nur mit dem Fachwissen und vor allem der großen Bereitschaft meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Von der Pflegedienstleiterin über die Pfleger, über Reinigungskräfte, den Hausmeister oder das Küchenpersonal – alle haben das eigene Privatleben, die eigene Familie zurückgestellt. Pflegekräfte wurden noch mehr zu seelischen Unterstützern, zu Therapeuten, zu Ersatzfamilien. Und sie sehen, wenn dringender Handlungsbedarf besteht.
In meiner Einrichtung lebt eine alte Dame, die bereits stark an Demenz leidet. Vor Corona besuchte ihr Mann sie jeden Tag und hat sie in den Arm genommen. Sie hat ihn erkannt, sich gefreut, und sie ist aufgeblüht. Bereits in der ersten Woche der Pandemie, als der alte Herr jeden Tag kam, um ihr wenigstens noch durchs Fenster zuzuwinken, aber nicht mehr ins Haus durfte, sprach mich eine Mitarbeiterin an – sehr besorgt.
Mit ihrem geschulten Blick hatte sie schon nach wenigen Tagen gemerkt, dass die alte Dame stark abbaute: Sie konnte sich viel schlechter orientieren, sie erkannte ihren Mann auf der anderen Seite des Fensters nicht mehr, sie verlor jegliche Lebensfreude. Ihr fehlte die physische Begegnung, die Umarmung. Verstärkt haben die Pflegekräfte die alte Dame also in den Arm genommen, beim Sprechen ihre Hand gehalten und ihren Arm berührt. Und das alles in einer Extremsituation, auch dann, wenn es wieder ein paar Minuten extra waren, für die eigentlich gar keine Zeit war.
Warum berichte ich davon so ausführlich? Mir geht es darum, noch einmal deutlich zu machen, dass Applaus nicht genug ist und dass wir endlich echte Anerkennung für diese Berufe brauchen.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Pflegende kümmern sich nicht nur um diejenigen, die ihre Unterstützung und Expertise akut brauchen, sondern sie leisten einen Dienst an der Gesellschaft. Das müssen wir honorieren, und zwar mit einem ganz anderen Bewusstsein und einem anderen grundsätzlichen Stellenwert dieser Berufe in unserer Gesellschaft, ganz unabhängig von der Pandemie. Deswegen wollen wir als Koalition die Arbeitsbedingungen und die Anerkennung der Pflegeberufe verbessern. Das steht schwarz auf weiß in unserem Koalitionsvertrag. Dafür haben wir konkrete Vorhaben, die wir auch umsetzen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deshalb sprechen wir heute hier über den Pflegebonus. Wir haben dafür im Koalitionsvertrag 1 Milliarde Euro vereinbart. Damit würdigen wir die herausragende Leistung der Pflegekräfte während der Pandemie. Das ist gut, und das ist richtig. Aber das ist natürlich nicht genug; denn gute Arbeitsbedingungen gehen weit über die Bezahlung hinaus. Jeder aus der Praxis weiß doch, dass es im Alltag eigentlich immer wieder um eines geht, nämlich die Verlässlichkeit des Dienstplanes. Ein „Frei“ muss auch ein „Frei“ bleiben, um sich zwischen den Diensten zu erholen.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dazu benötigen wir ausreichend Personal und einen bedarfsgerechten Qualifikationsmix ebenso wie Springerpools. Wir müssen auch die Möglichkeiten der Digitalisierung viel stärker nutzen. Und wir brauchen familienfreundlichere Arbeitszeiten, mehr Karrierechancen durch Weiterbildungen und Akademisierung. Letzteres ist vor allem für die Anerkennung des Berufs wichtig. Pflegende – ob nun in Krankenhäusern oder in Alten- und Pflegeheimen – sind heute schon hoch qualifiziert; denn Pflege ist eben nicht nur ein Job, der körperlich und emotional fordernd ist, sondern ein Beruf, in dem neben ausgeprägten Soft Skills psychologisches, pflegerisches, medizinisches und organisatorisches Fachwissen gefragt ist.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Werte Kolleginnen und Kollegen, Pflege ist eine hochkomplexe Profession, die so viel mehr verdient hat als nur Applaus. Dafür setzen wir uns als Koalition ein. Mit dem Pflegebonus machen wir einen ersten Schritt in diese Richtung.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Für die Fraktion Die Linke erhält das Wort der Kollege Ates Gürpinar.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7535310 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 28 |
Tagesordnungspunkt | Pflegebonusgesetz |