Steffen BilgerCDU/CSU - Ukrainehilfe, Nahrungsmittelversorgung weltweit
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der russische Angriff auf die Ukraine hat entsetzliche Folgen, zuallererst für die Menschen in der Ukraine. Die jüngsten Ereignisse erfüllen uns mit Trauer und Entsetzen und auch mit Wut und Abscheu gegenüber denjenigen, die hierfür verantwortlich sind.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die Auswirkungen des Kriegs spüren wir in ganz unterschiedlichen Bereichen, und einer ist die Nahrungsmittelversorgung. Wir sorgen uns akut um die Versorgung der Menschen im Kriegsgebiet. Wir sorgen uns um die diesjährige Ernte in der Ukraine; der ukrainische Landwirtschaftsminister geht davon aus, dass bis zur Hälfte der diesjährigen landwirtschaftlichen Produktion durch den Krieg verloren geht. Und wir sorgen uns um die Ernährungslage global. Das eine sind die Kosten von landwirtschaftlichen Gütern, insbesondere von Getreide, auf dem Weltmarkt. Das andere ist die Frage der Verfügbarkeit. 30 Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine könnten zurzeit wegen des Kriegs nicht geliefert werden, sagt David Beasley, der Chef des UN-Welternährungsprogramms. Er spricht von einer Krise, wie das World Food Programme sie noch nicht erlebt habe.
In Deutschland werden wir nicht hungern müssen. Wir müssen uns aber einstellen auf teils leere Regale, darauf, dass bestimmte Produkte oder Marken mitunter nicht in den Läden zu finden sein werden oder rationiert werden, so wie wir es heute auch schon beim Einkauf erleben; aber hungern werden wir in Deutschland nicht müssen. In anderen Regionen der Welt kann es ganz schnell anders aussehen. Damit sind wir direkt bei unserer Verantwortung, auch ganz konkret in der Landwirtschaftspolitik, im Bundestag, im Bundesrat nachher bei der Abstimmung über die Frage der Nutzung von Brachflächen, in der Bundesregierung und auf europäischer Ebene. Der Agrarkommissar Wojciechowski sagt, unsere Reaktion sollte sein, dass wir in der EU in diesem Jahr mehr Lebensmittel produzieren. Der Kollege Busen von der FDP hat es in der Haushaltsdebatte vor zwei Wochen richtig gesagt: Der Druck, Flächen zu bewirtschaften, statt sie stillzulegen, wird mit jedem Tag des Krieges größer. – Landwirtschaftsminister Backhaus von der SPD aus Mecklenburg-Vorpommern sagt, es sei gut und mit Blick auf die zu erwartende Verschärfung der Lebensmittelversorgung richtig, Brachflächen zeitweise zur Bewirtschaftung freizugeben. Gestern hat die Ministerpräsidentenkonferenz einstimmig beschlossen:
Deutschland trifft auch eine humanitäre Verpflichtung, einen Beitrag zur weltweiten Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln zu leisten.
Die Ministerpräsidenten
… fordern die Bundesregierung daher auf, die Möglichkeiten auszuschöpfen, um das vorhandene Potenzial der Landwirtschaft konsequent zu nutzen.
So der Beschluss von gestern Abend.
Fazit: So ziemlich alle haben es erkannt. In der Krise geht ein Augen-zu-und-durch nicht. Da geht kein Weiter-so, als wäre nichts passiert. Die jetzige Krisensituation erfordert eine Reaktion. Da sind Sie gefordert, Herr Minister Özdemir. Nicht Aussitzen, sondern Handeln ist jetzt das Gebot der Stunde.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Fragt man nach Argumenten für die Position des Aussitzens, dann hört man gebetsmühlenartig, man dürfe die eine Krise nicht gegen die andere ausspielen.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie gegen Gebetsmühlen?)
Aber das ist mir, meine Damen und Herren, mit Verlaub, ein bisschen zu schlicht. Um es klar zu sagen: Wir wollen keine Abkehr von unseren Nachhaltigkeitszielen, aber manchmal verlangt eben die bittere Realität vorübergehend andere Prioritäten. Sie sagen immer, man solle jetzt nicht die alten Sprechzettel hervorholen. Meine Sprechzettel sind ziemlich neu.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn an Ihren Zetteln neu? Ihr Zettel ist doch 60 Jahre alt!)
Aber Ihre scheinen den alten grünen Parteiprogrammen zu entstammen, und die passen einfach nicht in diese Zeit, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wenn globale Hungersnöte und massive Marktverwerfungen drohen, dann ist in Gunstlagen wie bei uns in Mitteleuropa schlichtweg nicht die Zeit für eine weitere Extensivierung. Das wäre nichts anderes als zynisch und auch unethisch.
Ich will noch mal Till Backhaus von der SPD zitieren. Bei der Agrarministerkonferenz vergangene Woche hat er mit Blick auf die grünen Landwirtschaftsminister im Bund und in den Ländern gesagt – ich zitiere –:
In meiner Wahrnehmung wurde beschwichtigt und beschönigt, ohne die Realitäten anzuerkennen und die entsprechenden Schlüsse daraus zu ziehen.
Das spricht doch wirklich Bände.
Was ist jetzt zu tun? Konkret: In Deutschland muss jetzt auf brachliegenden Flächen auch der Anbau von Nahrungsmitteln möglich sein. Die für 2023 geplante Pflicht zur Stilllegung von 4 Prozent der Ackerflächen muss aufgehoben werden. Wir können uns ein weiteres grünes Zaudern und Zögern nicht erlauben. Umdenken ist jetzt das Gebot der Stunde. Das gilt im Übrigen auch für die deutsche Verhandlungsführung in Brüssel beim Green Deal. Hierfür braucht die Bundesregierung dringend ein Update, und hierfür brauchen die verhandelnden grünen Minister Habeck, Lemke und Özdemir dringend den klaren Arbeitsauftrag: Jetzt ist nicht die Zeit für weitere Belastungen, weder für die Landwirtschaft noch für die Verbraucher; jetzt gehört die Ernährungssicherung in den Mittelpunkt.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Natalie Pawlik.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7535371 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 29 |
Tagesordnungspunkt | Ukrainehilfe, Nahrungsmittelversorgung weltweit |