Gero Clemens HockerFDP - Ukrainehilfe, Nahrungsmittelversorgung weltweit
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich habe immer ein ungutes Gefühl, wenn Deutschland in der Landwirtschaftspolitik einen nationalen Alleingang beschreitet. Denn das suggeriert, dass wir es immer besser wüssten als zum Beispiel andere Mitgliedsländer der Europäischen Union. Solche Alleingänge haben der Landwirtschaft in Deutschland und unserem Land insgesamt nie einen wirklich großen Nutzen gebracht.
Für meine Fraktion und auch für mich ganz persönlich sage ich, dass wir es ausdrücklich für falsch halten, wenn die ökologischen Vorrangflächen künftig tatsächlich nur für Futtermittelproduktionen freigegeben werden
(Stephan Protschka [AfD]: Ihr seid in der Regierung!)
und auch in Zukunft Lebensmittelproduktion hier nicht möglich sein soll. Wir halten das für falsch, verehrte Kolleginnen und Kollegen!
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)
Mit jedem Tag, den der Krieg in der Ukraine andauert, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen in anderen Ländern und in anderen Regionen dieser Welt tatsächlich werden Hunger leiden müssen. Natürlich haben Sie, liebe Frau Kollegin Künast, recht, dass wir das alleine nicht werden verhindern können. Aber wir können einen Beitrag dazu leisten – ich glaube sogar, dass wir die moralische Verpflichtung dazu haben –, dass die Preissteigerungen in Deutschland und die Nöte in ärmeren Regionen dieser Welt moderater ausfallen. Ich glaube, dass wir, wenn wir das nicht tun, uns in eine moralische Sackgasse hineinbegeben, aus der wir nur ganz schwer wieder herauskommen würden, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich weiß übrigens, wie schwierig es ist, wenn man kurzfristige externe Ereignisse in die eigene Meinungsbildung integrieren muss. Ich sage es ganz unumwunden: Ich habe als Abgeordneter des Niedersächsischen Landtages gestritten für die Kernenergie als Brückentechnologie, als CO2-neutrale Technologie, hin zu erneuerbaren Energien. Und dann passierte Fukushima, und quasi über Nacht wurden an anderer Stelle Entscheidungen getroffen. Man musste auch seine eigenen Positionen überdenken und am Ende auch revidieren. Ich habe das gemacht, und meine Partei hat das gemacht.
Ich glaube, dass es Situationen gibt, meine Damen und Herren, die so mächtig sind, dass man quasi als Ewiggestriger dastehen würde, wenn man nicht einlenkt und wenn man nicht seine eigene Haltung, seine eigene Forderung im Lichte der aktuellen Entwicklungen noch mal auf den Prüfstand stellt. Das waren für mich seinerzeit Fukushima und die Energiewende.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ein bisschen spät, Herr Kollege! Extrem spät!)
Ich hoffe, dass der eine oder andere hier in diesem Haus seine Haltung aufgrund der jüngsten Entwicklungen des Krieges in der Ukraine noch einmal überdenkt, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
An die Union gewandt: Auch wenn der vorliegende Antrag einige Punkte richtig benennt, werden wir ihm aus folgendem Grunde nicht zustimmen können: Er suggeriert nämlich, dass die Menschen in diesem Land und auch diese Bundesregierung in den vergangenen Wochen und Monaten quasi tatenlos gewesen wären bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise.
(Stephan Protschka [AfD]: War sie auch! – Zurufe von der CDU/CSU: Ja!)
Da will ich Ihnen ganz ausdrücklich sagen, Herr Kollege Thies: Das ist ein Schlag ins Gesicht all derjenigen Menschen in diesem Lande, die gegenwärtig zusammenrücken, um Platz zu machen für Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, die auch keine Angst haben vor steigenden Nebenkosten. Das ist ein Schlag ins Gesicht all der Unternehmen, die spenden und auch viele Kolleginnen und Kollegen ansprechen und sich erkundigen: Wie kann die Logistik bewältigt werden? Das ist ein Schlag ins Gesicht all der Männer und Frauen, die in den Aufnahmebehörden arbeiten und Tag und Nacht dafür streiten und arbeiten, dass die Menschen aus der Ukraine hier eine menschenwürdige Unterbringung bekommen. Und das ist auch ein Schlag ins Gesicht des Krisenstabs dieser Bundesregierung, der einen hervorragenden Job macht bei der Bewältigung der logistischen Herausforderungen, bei der Bewältigung der Flüchtlingssituation, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Union.
(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Diese Bundesregierung hat den Anspruch, nach Jahrzehnten Ökonomie und Ökologie miteinander zu vereinen. Ich sage Ihnen: Mir fällt kein Wirtschaftsbereich ein, wo das schon jetzt im Jahr 2022 besser gelungen wäre. Und es ist richtig, auf diesem Weg fortzuschreiten. Aber dieser, ich sage mal, konstruierte Konflikt, den Sie mit Ihrem Antrag aufmachen, dass die Bewirtschaftung von Flächen sozusagen im Gegensatz zur Ökologie stünde, ist eine Auffassung aus den 1970er-Jahren. Wir haben die Technologie, beides miteinander zu verbinden; unsere Landwirte haben das entsprechende Know-how. Es ist tatsächlich so, dass die Flächen, die landwirtschaftlich genutzt werden, häufig genug eine höhere ökologische Bedeutung haben als die Flächen, die einfach brachliegen. Deswegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist Ihr Antrag komplett aus der Zeit gefallen und wird nicht unsere Zustimmung finden.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stephan Protschka [AfD]: Hat er jetzt für den Antrag gesprochen oder dagegen?)
Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Hans-Jürgen Thies.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7535377 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 29 |
Tagesordnungspunkt | Ukrainehilfe, Nahrungsmittelversorgung weltweit |