Franziska KerstenSPD - Ukrainehilfe, Nahrungsmittelversorgung weltweit
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben Krieg in Europa. Der Krieg betrifft mit Russland und der Ukraine zwei Länder, die für die globale Ernährungssituation sehr wichtig sind. Der Krieg führt zu großem Leid in den betroffenen Ländern, aber er kann auch zu einer Hungerkrise in der Welt führen. Zusammen mit den Dürren Mittelamerikas, Afrikas und des Nahen Ostens kann eine Ernährungskrise entstehen, die zu neuen Fluchtbewegungen führen kann.
Was können und was müssen wir tun? Zuerst geht es um Hilfen für die Geflüchteten und die Menschen in der Ukraine. Da helfen wir selbstverständlich schon jetzt. Auch die Agrarpolitik muss reagieren. Richtig ist, dass Deutschland ein landwirtschaftlicher Gunststandort ist. Richtig ist aber auch, dass wir mit Wetterkapriolen leben müssen, also zum Beispiel Hagel und Starkregen, und dass dadurch – mal mehr, mal weniger – auch unsere Erträge durchaus gefährdet sind.
Dagegen wird unsere Landwirtschaft nur dann gewappnet sein, wenn wir resiliente agrarische Ökosysteme schaffen. Das bedeutet, regionale Nährstoffkreisläufe mit Futtererzeugung und Düngerverwertung vor Ort zu schaffen und breitere Fruchtfolgen zu fördern. Wir müssen die Biodiversität als absolut entscheidenden Faktor der Widerstandsfähigkeit unserer Agrarsysteme erhöhen. Das fordern die exzellenten Agrarwissenschaftler des Landes schon länger.
Daher kann doch die Konsequenz aus der aktuellen Krise nicht sein: produzieren um jeden Preis. Wir haben die Zahl gehört, 170 000 Hektar, und was man dort erzeugen kann usw. Wir können aber damit den Welthunger nicht bewältigen. Wir brauchen eine langfristige Perspektive.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Christoph Hoffmann [FDP])
Wir müssen weg von Futtermittelimporten aus Übersee und hin zu einer flächengebundenen Tierhaltung. Eine zeitlich befristete Abstockung von Tierbeständen könnte vielleicht dazu führen, dass wir weniger Futtergetreide brauchen und stattdessen mehr Getreide für die Ernährung anbauen können.
Als Tierärztin und Rinderzüchterin kann ich sagen: Wenn Sie jetzt die Rationen Kraftfutter für die 4 Millionen Milchkühe Deutschlands einfach mal um 1 Kilo reduzieren, dann würden Sie ungefähr die Getreidemenge sparen, die auf den ökologischen Vorrangflächen bei absoluter Ausnutzung der Fläche erwirtschaftet werden könnte. Darüber sollten Sie einmal nachdenken. Das ist vielleicht eine gute Möglichkeit.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist gegen den Tierschutz!)
– Ein Reduzierung des Kraftfutters um 1 Kilo hat nichts mit dem zu tun, worum es in der Tierschutzdebatte geht. Sie sollten das einmal nachlesen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ihre Anstrengungen, die Umgestaltung zu einer resilienten Land- und Ernährungswirtschaft anzuhalten oder gar umzudrehen, sind praktisch zum Scheitern verurteilt.
Unbestritten ist die Verknappung von Futtermitteln, im ökologischen Bereich übrigens noch stärker als im konventionellen Bereich. Deswegen wurde ja jetzt auch im Bundesrat entschieden, dass dieser Aufwuchs für Futtermittel genutzt werden kann. Es werden hoffentlich nicht nur Disteln sein.
Sie tun so, als wären es die besten Flächen der Landwirte.
(Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Wir tun nicht so! Zuhören!)
Ich glaube, jeder wirtschaftende Landwirt weiß, dass er da Grenzertragsstandorte nimmt. Diese müssten Sie für normale Produktion mit Pflanzenschutzmitteln und Düngemitteln aufpeppen; diese sind aber teuer. Wie wollen Sie da finanziell klarkommen, wenn Sie da praktisch noch draufhauen müssen?
Ich erinnere auch an das laufende Vertragsverletzungsverfahren bezüglich Nitrat. Ich glaube nicht, dass erhöhte Düngung dieser Grenzertragsstandorte dazu beitragen würde, dass wir die Nitratrichtlinie einhalten. Möglicherweise müssen wir dann eher noch Strafzahlungen befürchten.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Deborah Düring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Sie müssen also schon einsehen, dass es Symbolpolitik ist, was Sie da machen.
Übrigens stellt sich auch die Frage, warum wir bei uns 80 Prozent backfähigen Weizen produzieren, wenn wir nur etwa 30 Prozent davon für die Bäckereien brauchen. Wir können also auf diesen Flächen Futterweizen herstellen, ohne vermehrt Dünger aufzubringen. Sie hätten dann auch noch höhere Erträge. Auch das ist eine Variante, die sicherlich gut ins Bild passen würde.
(Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Dürfen wir ja nicht!)
– Doch, auf den Flächen, wo Sie jetzt Weizen anbauen, dürfen Sie auch mit weniger Düngung einfach Futterweizen anbauen.
(Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Machen wir ja!)
Man sollte auch nicht immer nur auf die absoluten Proteingehalte schauen. E‑Weizen mit einem Proteingehalt von 11 Prozent hat höhere Backfähigkeit als C‑Weizen mit 12 oder 13 Prozent.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Christoph Hoffmann [FDP])
Ein Punkt ist mir noch besonders wichtig. Studien haben ergeben, dass fast die Hälfte der Obst- und Gemüseproduktion in der Tonne landet. Hier müssen wir ansetzen. Hier kann jeder Einzelne schon heute Mittag seinen Beitrag leisten, um nachhaltige klimaschonende Landwirtschaft und Ernährungssicherheit in Einklang zu bringen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Für die CDU/CSU-Fraktion erhält jetzt das Wort der Kollege Dr. Wolfgang Stefinger.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7535384 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 29 |
Tagesordnungspunkt | Ukrainehilfe, Nahrungsmittelversorgung weltweit |