08.04.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 29 / Tagesordnungspunkt 22

Helge LindhSPD - Aufnahme ukrainischer Kriegsflüchtlinge

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die AfD hat, wie man auch an den Ausführungen gemerkt hat, ja reale aktuelle Probleme mit ihrem strategischen Rassismus in Fragen der Flüchtlinge, abgesehen vom notorischen eigenen Faschismusproblem,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Fällt Ihnen noch was ein?)

und das sind folgende: Zum einen haben wir uns gestern geeinigt, dass ukrainische Geflüchtete Leistungen nach SGB II und SGB XII erhalten sollen, ein Milliardenpaket für Kommunen und Länder; wir haben die Einführung von FREE für die Verteilung in Kombination mit EASY vereinbart usw. Die Organisation funktioniert. Das ist Ihr erstes Problem.

Ihr zweites Problem ist: Ich verweise auf Belarus und die Situation, dass leider der Hauptakteur in Belarus Herr Lukaschenko war, Ihnen bestens vertraut; denn in Ihren Horden von Schwarmunintelligenz, die sich im Netz bewegt,

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

wird Herr Lukaschenko wie auch Putin gefeiert.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Drittes akutes Problem, das Sie haben: Nun handelt es sich bei Ukrainerinnen und Ukrainern in der Mehrzahl der Fälle um Weiße, die evangelisch, katholisch, orthodox, jüdisch oder atheistisch sind, aber eben nicht schwarze oder muslimische Menschen. Auch da funktioniert Ihr Rassismus nicht so gut, was man an Ihren Anträgen sieht.

Und der letzte Punkt ist: Sie haben nachweislich, dokumentiert ja auch in internen heftigen Auseinandersetzungen bei Ihnen, ein ungeklärtes Verhältnis zum Thema „Angriffskrieg Putins“ und verschwurbeln sich immer wieder in heimlichen und unheimlichen Apologetiken.

Um das deutlich zu machen: Sie verweisen ja gerne in Bezug auf die SPD auf Helmut Schmidt und zitieren ihn gerne und missbrauchen und vereinnahmen ihn. Dieser Helmut Schmidt hat im letzten Jahr seines Lebens warnend auf die Ignoranz gegenüber russischem Kolonialismus und auf die Bezüge zwischen Putin, dem Zarenreich und der Sowjetunion hingewiesen. Also, statt Schmidt falsch zu zitieren, sollten Sie ihn einfach mal lesen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Es ist aber so, dass Ihr Antragswerk diesmal nicht nur unsere Logik sowie internationales Recht, die deutsche Verfassung und das Flüchtlingsrecht verletzt; nein, ich würde es so umschreiben: Das ist insgesamt ein Aufstand gegen jede Form von Intellekt und Intelligenz. Oder um es noch präziser zu fassen: Es ist ein Aufstand gegen Anstand und Verstand.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Und das muss man erst mal hinbekommen: einen Aufstand gegen Anstand und Verstand.

Das kann man auch deutlich illustrieren: In Ihren Forderungen wollen Sie zum Ersten nichts anderes als systematische Grenzkontrollen und das Schließen der Grenzen. Sie wollen Mauern; wir bauen aber Brücken. Brücken statt Mauern – klarer Unterschied zwischen dieser Koalition und Ihnen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Zum Zweiten vertreten Sie ja nicht einmal verborgen eine Form des Racial Profilings; denn das ist der einzige Grund für diese Grenzkontrollen, die Sie vorschreiben. Das heißt: Nur die Personen, die in Ihre rassifizierenden Kategorien passen, dürfen überhaupt reingelassen werden.

Damit kommen Sie aber zum Dritten de facto zu einer Abschaffung des Asylrechts. Lesen Sie mal Ihren Antrag. Da steht, dass Sie verhindern wollen, dass – ich zitiere – „Trittbrettfahrer, die … Asyl beantragen“ wollen, mit aus der Ukraine nach Deutschland kommen.

Nun gibt es aber ein Recht in Deutschland und ein Recht in Europa und in der Welt. Und das bedeutet, dass Menschen, egal welcher Herkunft, in diesem Land Asylanträge stellen können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Sie verstoßen also gegen die deutsche Verfassung und gegen deutsches Recht.

(Beifall bei der SPD)

Viertens. Es hört ja nicht auf. – Also, Sie haben einen ganzen Katalog des Rechtsbruchs in Ihrem Gesamtkunstwerk zusammengefriemelt.

(Heiterkeit des Abg. Alexander Graf Lambsdorff [FDP])

Sie wollen auch, dass Drittstaatsangehörige eben nicht einen Aufenthaltsstatus bekommen und entsprechend möglichst Deutschland verlassen. Alle Details und Möglichkeiten, die die EU-Richtlinie anbietet, ignorieren Sie.

Ich komme zum fünften Punkt, und jetzt wird es ganz interessant. Sie forcieren Abschiebungen. Sie wollen, dass alle geduldeten vollziehbar Ausreisepflichtigen dieses Land verlassen. Was machen wir? Wir machen aber das Gegenteil. Wir werden mit Hochdruck ein Chancenaufenthaltsrecht einführen, damit ganz viele Menschen, die jahrelang hier leben, gut integriert sind und arbeiten, aus dieser unwürdigen Situation der drohenden Abschiebung herauskommen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Sechstens. Nicht nur das! Sie schaffen es ja, sich selbst dann noch zu steigern. Sie wollen auch in Bezug auf subsidiär Schutzberechtigte – das muss man sich mal zu Gemüte führen – den Familiennachzug komplett aussetzen, während wir über die Kontingentierung hinaus wieder den privilegierten Nachzug einführen wollen, und das ist richtig so. Fundamentaler Gegensatz!

Im Übrigen darf ich auch mal fragen, weil Sie eben und auch in den vorigen Debatten die Familie erwähnten: Was ist das für ein Familienbild, das Sie so deutlich beschwören, wenn Sie Familien das Recht verweigern, zusammenzukommen?

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Was sagt das über Ihr Familienbild und über Ihr Menschenbild?

Siebtens wollen Sie eine komplette Aussetzung aller laufenden und geplanten Aufnahme- und Relocation-Programme. Und auch da müssen wir Sie leider, nein, richtigerweise enttäuschen; denn wir werden gucken, dass wir sehr bald ein humanitäres Aufnahmeprogramm für Afghanistan auf den Weg bringen und genau das Gegenteil dessen tun, was Sie machen, nicht die Ukraine gegen Afghanistan ausspielen, sondern in beiden Fällen handeln, menschlich sein, pragmatisch agieren.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ich möchte aber abschließend noch etwas deutlich machen, weil Sie das ja immer im Gestus der Sicherheit machen: Sie setzen sich für Sicherheit ein. Nun gibt es zwei Personen, die nicht der Verteidigung einer Open-Border-Politik, eines libertären Grenzregimes verdächtig sind: Romann und Dr. Sommer, wobei Dr. Sommer, um es Ihnen deutlich zu machen, nicht der Dr. Sommer der „Bravo“ ist, sondern derjenige vom BAMF.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Und Dr. Sommer hat völlig unaufgeregt öffentlich und im Innenausschuss deutlich gemacht, dass es genau richtig ist, dass da registriert wird, wo wirtschaftliche Leistungen beantragt werden, und registriert wird, wenn Aufenthaltserlaubnisse beantragt werden, weil nun mal Visafreiheit für Ukrainerinnen und Ukrainer gilt und weil § 24 Aufenthaltsgesetz gilt.

Romann und Dr. Sommer haben es verstanden; Sie haben es nicht verstanden. Deshalb: Lesen Sie, setzen Sie sich hin, beschäftigen Sie sich mit Ihrem internen Rassismus und klären Sie mal die Auseinandersetzung zwischen Herrn Kotré und Herrn Kleinwächter, und dann reden wir weiter.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Als nächster Redner in der Debatte erhält für die CDU/CSU der Kollege Moritz Oppelt das Wort. Es ist seine erste Rede im Deutschen Bundestag.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7535404
Wahlperiode 20
Sitzung 29
Tagesordnungspunkt Aufnahme ukrainischer Kriegsflüchtlinge
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