Anna KassautzkiSPD - Hilfen zur Rettung der Deutschen Fischerei
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die deutsche Fischerei befindet sich in einer noch nie dagewesenen Existenzkrise. Da stimme ich Ihnen zu. Die Analyse, warum das so ist, ist bei Ihrem Antrag allerdings verkürzt, die Antworten darauf entsprechend auch.
Sie sprechen von der „Rettung der Deutschen Fischerei“ und setzen dabei alles gleich. Dabei reden Sie nicht über die Küsten-, Hochsee- oder Binnenfischerei, sondern eigentlich nur über die Krabbenfischerei. Das ist natürlich völlig legitim; sie braucht unsere Unterstützung. Aber dann sagen Sie das auch so und sprechen nicht von der Fischerei in ihrer Gesamtheit!
Ich helfe Ihnen gerne beim Verstehen dieses komplexen Themas. Fangen wir mit den Meeren an. Ostsee und Nordsee sind nicht nur bei den Gezeiten oder dem Salzgehalt des Wassers unterschiedlich, sondern die Herausforderungen, vor denen die Fischerei steht, sind auch fundamental unterschiedliche.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Alexander Graf Lambsdorff [FDP])
In der Ostsee haben wir schon lange eine strukturelle Krise. Der Zustand des Binnenmeers ist alarmierend, wodurch unter anderem die Bestände, insbesondere der Brotfische Dorsch und Hering, kurz vorm Kollabieren sind. Es ist aktuell strittig, ob der Dorsch in der Ostsee nicht bereits einen Kipppunkt überschritten hat und die Bestände sich überhaupt erholen können. Durch die Anerkennung des Herings im Kattegat und der westlichen Ostsee als ein großer wandernder Bestand, hat zumindest der Hering eine bessere Chance auf Erholung. Hier hat die ehemalige Landwirtschaftsministerin Frau Klöckner kurz vor der Wahl doch noch ihr Herz für die Fischerei entdeckt.
Die Ursachen für das Kollabieren der Bestände sind aber multikausal und hängen mit dem Zustand des Meeres und der Übernutzung zusammen. Die Fischer/-innen dafür verantwortlich zu machen, wäre falsch.
(Beifall bei der SPD)
Die Krise in der Ostsee ist eben durch diese massive Übernutzung des sensiblen Ökosystems eine strukturelle Krise. Hier helfen keine Sofortmaßnahmen; die strukturelle Krise benötigt strukturelle und langfristige Antworten.
Die Nordsee als Randmeer des Atlantischen Ozeans hat deutlich stabilere Populationen, und manche, beispielsweise die Nordseekrabbe, sind gar nicht quotiert. Das ist in diesem Fall auch nicht nötig. Gerade bei fahrintensiver Fischerei wie der Krabbenfischerei schlagen die aktuellen Sprit- und Energiepreise richtig zu. Hier braucht es schnelle und unbürokratische Hilfe.
Neben den Krabbenfischerinnen und ‑fischern hat aber auch die Hochseefischerei in der Nordsee zu kämpfen. Sie ist ebenso durch die Spritpreise belastet. Zusätzlich wurden durch den Brexit die Verhandlungen um die Fischereiquoten auf europäischer Ebene deutlich komplizierter und einige Fanggründe unserer Hochseefischer/-innen liegen nun mal im Bereich der Britischen Inseln. Gemeinsam mit unseren europäischen Partnerinnen und Partnern werden wir hier Lösungen finden.
Die überalterte Flotte der Küstenfischer/-innen, deren Kutter gerne mal 40 bis 60 Jahre alt sind, stellt ein weiteres Problem dar. Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Fischerei müssen wir die Antriebsproblematik lösen und langfristig neue Kuttermodelle entwerfen. Andere europäische Staaten können hier ein Vorbild sein.
Wir müssen uns aber auch ehrlich machen: Den kompletten Bedarf an Fisch werden wir nicht aus eigener Produktion decken können. Erzeuger/ – innengenossenschaften sind heutzutage durch hohen Import von teils 90 Prozent leider oft mehr Handels- als Erzeugungsgesellschaften.
Wir wollen die Fischerei aber krisenresilienter machen. Deswegen können neben der Unterstützung der klassischen Fischerei auch Aquakulturen einen Beitrag dazu leisten, die Importabhängigkeit zu verringern.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Ina Latendorf [DIE LINKE])
Mithilfe von technischer Innovation können Aquakulturen tatsächlich sinnvolle Alternativen bieten. Denn Fisch ist im Vergleich zu anderen tierischen Proteinquellen in der Produktion CO2– und fütterungsarm – und gefragt.
Als Erstes hätten wir die marinen Aquakulturen. Das ist aufgrund der Gezeiten – wir erinnern uns an den Anfang – nur in der Ostsee möglich. Um diese tatsächlich nachhaltig zu gestalten und die Ostsee nicht weiter zu belasten, sind sie aber nur in Kombination mit Algen und Muscheln eine Option. Versuche haben ergeben, dass in dieser Kombination nahezu nährstoffneutrale Aquakulturen möglich sind. Diese sind aufgrund des unterschiedlichen Salzgehaltes auch in der Ostsee aber nur westlich der Darßer Schwelle möglich. Wir sehen: Das ist alles gar nicht so einfach.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Diese Versuche wollen wir deswegen ausbauen.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Das ist ja eine reine Fortbildungsveranstaltung!)
Da wir uns aber aufgrund des bestehenden Versuchsbedarfs nicht nur auf die marinen Aquakulturen allein verlassen können, benötigen wir unserer Meinung nach auch einen massiven Ausbau der nachhaltigen landgestützten Aquakulturen. Dafür braucht es auch Neuausweisungen von Flächen. Die Errichtung dieser ist durch bereits bestehende Teichanlagen nicht nur schnell, sondern relativ preiswert möglich und bewährt.
Baulich geschlossene Anlagen in Hallenbauweise ermöglichen uns die Zucht fremder Fischarten, die wir aktuell teuer importieren müssen, wie beispielsweise den Afrikanischen Wels. Durch den Wegfall des Imports machen wir uns nicht nur unabhängiger, sondern sparen uns auch den emissionsintensiven Import. Wenn wir diese Anlagen in der Nähe von Wärmequellen wie beispielsweise Biogasanlagen errichten, schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe: Wir nutzen die Abwärme und züchten Fisch – kombinierte Land- und Fischwirtschaft.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie sehen: Im Gegensatz zu Ihnen haben wir die gesamte Fischerei im Blick. Deswegen rufen wir die „Zukunftskommission Fischerei“ ins Leben, in der die Fischer/-innen als Praktiker/-innen vor Ort, die Wissenschaft mit ihrer analytischen Perspektive und wir als Politik gemeinsam die mittel- und langfristigen Probleme lösen. Als erster Schritt hierfür wurde bereits ein runder Tisch gegründet. Danke an dieser Stelle an unseren Minister Cem Özdemir und das Landwirtschaftsministerium für die Initiative.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Neben den mittel- und langfristigen Problemen sehen aber auch wir die aktuellen Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine auf die Fischerei. Über einen befristeten Krisenrahmen können Fischereiunternehmen 35 000 Euro Soforthilfe beantragen. Dafür sind 10 Millionen Euro vorgesehen. Die Auszahlung dieser Hilfen ist als außerplanmäßige Ausgabe vorgesehen und damit zeitnah möglich. Wir wollen die Fischereiflotte nicht wie Sie stilllegen, sondern sie dabei unterstützen, weiter rauszufahren. Wir brauchen nachhaltige Konzepte, und dafür hat es erst einen Regierungswechsel gebraucht.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Susanne Mittag [SPD]: Und sie haben alle wieder was gelernt über Fischerei! – Gegenruf der Abg. Anna Kassautzki [SPD]: Ja, das war eine reine Fortbildungsveranstaltung!)
Vielen Dank, Frau Kollegin Kassautzki. – Nächster Redner ist der Kollege Stephan Protschka, AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7535415 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 29 |
Tagesordnungspunkt | Hilfen zur Rettung der Deutschen Fischerei |