27.04.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 30 / Zusatzpunkt 2

Katrin Helling-PlahrFDP - Erhalt des Par. 219a StGB

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Richtig ist: Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, menschliches Leben, auch das ungeborene, zu schützen. Mehr von dem, was von der AfD hier gesagt und beantragt wurde, stimmt aber auch nicht.

Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, so das Bundesverfassungsgericht, wenn der Gesetzgeber auf ein Schutzkonzept für das ungeborene Leben setzt, das davon ausgeht, „jedenfalls in der Frühphase der Schwangerschaft sei ein wirksamer Schutz des ungeborenen menschlichen Lebens nur mit der Mutter, aber nicht gegen sie möglich“. Meine Damen und Herren, dann sollten wir auch dafür sorgen, dass der Staat Frauen befähigt, die richtige Entscheidung zu treffen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das setzt einen niederschwelligen Zugang zu Informationen auch über den Prozess der Abtreibung selbst, über Anbieter und Verfahren, über die Bedeutung des Ganzen voraus.

Unsere Anforderungen an eine bewusste und informierte Entscheidung sind im Informationszeitalter andere als 1993, sind andere als 1974, sind andere als 1933.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: So ist es!)

§ 219a StGB erschwert diesen Zugang zu Informationen. Der historische Gesetzgeber hatte dieses Problem noch gar nicht vor Augen. Ihm ging es – jedenfalls nach der Schaffung der Straffreiheit für bestimmte Schwangerschaftsabbrüche – vielmehr darum, die Beeinflussung der Entscheidungsfreiheit der Schwangeren durch anpreisende Werbung zu verhindern – ein Menschen- und Frauenbild, das die eigenständige, aktive Informationsbeschaffung überhaupt nicht im Blick hatte.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, der Amerikaner spricht von „chilling effects“, wenn er eine einschüchternde oder abschreckende Wirkung von Gesetzgebung meint, die eine legitime Rechtsausübung behindert. So liegt die Sache hier. § 219a StGB hindert eben tatsächlich Ärzte daran, sachlich über den Schwangerschaftsabbruch zu informieren. Eine Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch aufgrund von Ungewissheit, mangelnder Information und fehlenden Ansprechpartnern ist aber keine freie Entscheidung. Es ist ein unhaltbarer Zustand, dass ausgerechnet Ärztinnen und Ärzte, die selbst Schwangerschaftsabbrüche vornehmen und damit am besten sachlich informieren können, dafür noch immer Strafverfolgung befürchten müssen.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])

Meine Damen und Herren, das passt schlicht nicht in unsere Zeit. Sachliche Informationen von Ärztinnen und Ärzten über einen Schwangerschaftsabbruch werden daher nicht länger strafbar sein. So ermöglichen wir ratsuchenden Frauen die bestmögliche Information auch außerhalb eines persönlichen Beratungsgesprächs und geben Rechtssicherheit.

Klar ist auch: Anpreisende Werbung bleibt selbstverständlich verboten. Deshalb ändert die Ampelkoalition auch das Heilmittelwerbegesetz. Eine Schutzlücke wird es nicht geben. Daneben existieren übrigens bereits heute berufsrechtliche Regelungen, die sicherstellen, dass die Information über den Schwangerschaftsabbruch nicht in einer Weise erfolgt, welche die Entscheidungsfreiheit der Frau beeinträchtigt, in eine bestimmte Richtung lenkt oder gar Schwangerschaftsabbrüche kommerzialisiert. Aber all das wissen Sie, die Abgeordneten der AfD im Deutschen Bundestag hier. Oder Sie könnten es jedenfalls wissen, falls Sie denn den Gesetzentwurf zur Streichung des § 219a gelesen hätten.

(Zurufe von der AfD)

Und darum geht es Ihnen ja auch gar nicht. Sie wollen hier nämlich lediglich eine Schaufensterdebatte führen, wollen Ihren Anhängern signalisieren: Seht her, wir schützen euch und eure Moralvorstellungen vor der bösen, bösen Ampelkoalition.

(Zuruf von der AfD: Wir haben selber Kinder und Enkel!)

Ich sage Ihnen ganz offen: Man kann die Streichung des § 219a StGB ablehnen. Aber so zu tun, als wären der Zugang zu Informationen und die Aufklärung über sexualmedizinische und reproduktive Versorgung eine Gefahr für das ungeborene Leben, ist entweder intellektuell unredlich oder es offenbart ein Menschenbild, das in diesem Land glücklicherweise nicht vorherrschend ist.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])

Wir werden Ihren Antrag im Ausschuss beraten und ablehnen; und danach werden wir damit weitermachen, das Richtige zu tun. Minister Buschmann hat den Gesetzentwurf ja dankenswerterweise schon auf den Weg gebracht. Wir werden § 219a StGB streichen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Felix Döring das Wort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7535552
Wahlperiode 20
Sitzung 30
Tagesordnungspunkt Erhalt des Par. 219a StGB
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