Yasmin FahimiSPD - Mindestlohn - geringfügige Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer an den Monitoren! In drei Tagen begehen wir den 1. Mai, den Tag der Arbeit, ein Tag, an dem es darum geht, für bessere Arbeitsbedingungen zu demonstrieren und Erfolge zu feiern. Deswegen ist es ein großartiges Zeichen, das heute hier von diesem Deutschen Bundestag ausgeht. Endlich führen wir den Mindestlohn von 12 Euro in Deutschland ein; versprochen – gehalten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich sage aber auch: Das ist eine Entscheidung, die überfällig ist. Die Umstände, warum wir es nicht schon haben tun können, sind allseits bekannt. Sie sitzen heute in der Opposition. Es ist auch ein Grund dafür, warum Sie heute in der Opposition sitzen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Denn die Menschen wissen ganz genau, dass der Mindestlohn von 12 Euro eine politische Notwehr ist, eine politische Notwehrreaktion auf schwindende Tarifbindung, weil zu viele Arbeitgeber einfach glauben, dass die Lohnfindung auf dem freien Markt stattzufinden hätte, also im Lohndumpingwettbewerb. Genau das wollen wir abstellen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Faire Löhne entstehen nur in Tarifverhandlungen, und wer sich denen entzieht, muss sich nicht wundern, wenn die Politik eingreift. Denn Tatsache ist vielmehr – das haben hier schon viele dargestellt –, dass über 6 Millionen Beschäftigte in Deutschland davon profitieren werden, insbesondere in Ostdeutschland, insbesondere Frauen. Das ist gut so, und es ist zugleich traurig, dass so viele Menschen heute immer noch einer Beschäftigung nachgehen müssen, die nicht ansatzweise existenzsichernd ist mit allen Konsequenzen, auch für die Armut im Alter.
Das einzige Argument, das immer noch dagegen ins Feld geführt wird, ist die Behauptung, es widerspräche der Tarifautonomie. Deswegen noch mal zur Erklärung für alle: Die garantierte Tarifautonomie in unserem Land ist die Anerkennung autonomer Ausgestaltung der sozialpartnerschaftlichen Zusammenarbeit. Die Intention des Gesetzgebers war und ist klar, nämlich das Recht der eigenständigen Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch Tarifverträge. Es ist nicht das Recht auf Verweigerung. Es ist der Auftrag zur Regelung.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wer sich also auf die Tarifautonomie bezieht, um ebendiesen Auftrag abzulehnen – entschuldigen Sie bitte –, der vergeht sich an dem Grundverständnis, an der Grundarchitektur unserer sozialen Marktwirtschaft.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Einführung des Mindestlohns auch ein klares Zeichen an die Wirtschaft: Schafft mehr Tarifbindung.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Ja!)
Die zweite gute Nachricht des Tages ist: Genau das tut es auch. Wir haben das schon bei der Einführung 2015 erlebt, wo es einen Fahrstuhleffekt gegeben hat auch für Lohngruppen kurz oberhalb des Mindestlohns.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Frau Präsidentin, da dies mit nennenswerter Wahrscheinlichkeit meine letzte Rede im Deutschen Bundestag sein könnte, lassen Sie mich noch ein paar kurze Anmerkungen machen.
Ich hoffe, dass sich dieses Haus stets daran erinnert, dass die Sozialpartnerschaft quasi mit Verfassungsrang die Geschicke dieses Landes maßgeblich mitgestaltet hat. Eine der Lehren bezogen auf die Schwächen der Weimarer Republik war es, dass es ohne sozialen Frieden keinen äußeren Frieden gibt, keinen dauerhaften Wohlstand und keine innovative Wirtschaft. Es war Hans Böckler 1951, der in den Verhandlungen mit der damaligen Regierung von Konrad Adenauer das Montan-Mitbestimmungsgesetz durchgesetzt und damit die Grundlage dafür geschaffen hat, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land keine Bittsteller sind, weder gegenüber dem Staat noch gegenüber der Wirtschaft, dass sie Mitbestimmungsrechte haben sowohl in der Aufsicht der Unternehmen als auch bei der Arbeit im Betrieb und bezüglich ihrer Arbeitsbedingungen samt Löhne und Gehälter in Tarifverträgen. Diese Dinge sind untrennbar miteinander verbunden, und sie müssen bitte auch von diesem Haus immer wieder neu verteidigt und weiterentwickelt werden, wenn Friede, Freiheit und Gerechtigkeit über alle Veränderungen und Krisen hinweg gelingen sollen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE])
Liebe Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, es gibt erste und letzte Momente, die einem vor Augen führen, was es heißt, Parlamentarierin zu sein, die einem auch manchmal die Knie weichwerden lassen, egal wie geübt man ist. Das erste Mal in diesem Saal, in dem Otto Wels die Ehre der Weimarer Republik verteidigt hat, war mein erster Moment. Und heute, das letzte Mal an diesem Pult, verabschiede ich mich von Ihnen in schweren Zeiten dieses Landes und möchte Ihnen die Worte von Ernest Hemingway gerne in Erinnerung rufen: „Weisheit, Macht und Wissen haben ein Geheimnis, es ist die Demut.“
Ich bedanke mich recht herzlich für die Zusammenarbeit ‑fraktionsübergreifend –, wünsche Ihnen alles Gute, weiterhin viel Tatkraft und Mut. Ich freue mich darauf, an anderer Stelle mit Ihnen zusammenzuarbeiten.
Glück auf!
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7535624 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 31 |
Tagesordnungspunkt | Mindestlohn - geringfügige Beschäftigung |