28.04.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 31 / Tagesordnungspunkt 10

Stephan ThomaeFDP - Abschiebung von abgelehnten Flüchtlingen

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich mir den Antrag der AfD anschaue, denke ich an den Filmtitel „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Der Antrag ist das – ich weiß nicht, das wievielte – Remake Ihres alten Geschäftsmodells, möglichst die Ängste der Menschen vor Flüchtlingen zu schüren und zu verstärken. Wenn man Ihren Antrag durchliest, hat man das Gefühl: Wenn wir nicht in kurzer Zeit auf eine große Anzahl an Abschiebungen kämen, dann drohte sozusagen der Zerfall des Rechtsstaates in Deutschland.

Man liest Ihren Antrag und hat das Gefühl, Tausende von Straftätern liefen auf den Straßen umher, was einfach nicht so ist, was nicht den Tatsachen entspricht. Und – das Thema ist auch schon angesprochen worden – Sie schreiben, dass Kosten in Milliardenhöhe entstehen, und verschweigen dabei, dass viele Menschen, die hierhergekommen sind, hier geduldet sind, einer Arbeit nachgehen, Arbeitsplätze schaffen sowie Steuern und Mieten zahlen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Mit Ihrem Antrag rühren Sie die Paniktrommel. Sie sind das Panikorchester dieses Parlamentes. Man hat das Gefühl, dass die Apokalypse jeden Augenblick droht, wenn man sich Ihren Antrag durchliest.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Sie mussten nur nach Schweden gucken in den letzten Wochen!)

Da ist die Haltung der Koalition schon weitaus differenzierter, meine Damen und Herren. Wir versuchen, einen realistischen Blick auf die Lage zu werfen. Das Problem ist immer noch, dass wir häufig die Falschen abschieben. Nicht alle Menschen, deren Asylantrag abgelehnt worden ist, die aber hier geduldet werden, die hierbleiben können, sind üble Schurken. Viele von ihnen sind gut integriert: Sie gehen einer Arbeit nach. Die Kinder besuchen die Schule, spielen in der F-Jugend des Fußballvereins, in der Dorfjugend, und ministrieren am Sonntag in der Kirche. Das ist auch ein Teil der Wahrheit, meine Damen und Herren.

Viele leisten ihren Beitrag zum Gelingen unserer Gesellschaft, zahlen Steuern, zahlen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, zahlen in die Rentenversicherung ein, zahlen Miete und schaffen Arbeitsplätze bei uns. Bei vielen dieser Menschen wären die volkswirtschaftlichen Nachteile ihrer Abschiebung weitaus größer als die Kosten, die entstehen, wenn sie hier bei uns im Land bleiben. Deswegen stellen wir die sinnvolle Überlegung an: Gut integrierten Geduldeten, die hier sind, wollen wir die Chance geben, einen dauerhaften Aufenthaltsstatus zu erhalten, statt ständig, von Jahr zu Jahr, in Kettenduldungen hierzubleiben und keine Perspektive zu haben, sodass es sich für sie auch nicht lohnt, hier etwas aufzubauen. Das ist das Problem, und deswegen wollen wir Chancen schaffen: Chancen für beide Seiten – für die Menschen, die hier sind, aber auch für unsere Gesellschaft –, sodass diese Menschen einen Beitrag zum Gelingen unseres Landes leisten können, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich gibt es auch Straftäter und Gefährder. Nur, wenn Sie in Ihrem Antrag sagen, dass die uns auf der Nase herumtanzen, dann kann ich nur sagen: Nein, gucken Sie mal nach Nordrhein-Westfalen, wo der FDP-Integrationsminister Jo Stamp viel tut für die Integration der Menschen, die sich an das Hausrecht halten, der aber sehr konsequent ist bei der Abschiebung von denen, für die eben kein Platz ist und die das Gastrecht missbrauchen. Da sind beide Dinge enthalten. Jo Stamp lebt es vor in Nordrhein-Westfalen: Integration, aber auch Abschiebungen dort, wo eben Integration misslingt und wo Straftäter und Gefährder das Gastrecht bei uns im Land missbrauchen.

Diese Koalition will eine Rückführungsoffensive starten.

(Josef Oster [CDU/CSU]: Wann denn?)

Deswegen brauchen wir auch einen Sonderbevollmächtigten, der Migrationsabkommen mit Herkunftsländern schließt, die nicht nur, aber eben auch dafür Sorge tragen, dass Rückführungen und Abschiebungen gelingen können, und denen wir auch legale Migrationsmöglichkeiten eröffnen wollen. Darum geht es. Das ist eine wichtige Aufgabe, die sich uns stellt.

(Beifall bei der FDP)

Ich wäre sehr froh, wenn wir im Innenministerium einen solchen Sonderbevollmächtigten ansiedeln würden.

Kollege Thomae, ich habe die Uhr angehalten und frage Sie, ob Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Oster zulassen.

Sehr gerne, Herr Kollege Oster.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gerade den Sonderbevollmächtigten für Migrationsabkommen angesprochen, dessen Einsetzung Sie in Ihrem Koalitionsvertrag vereinbart haben. Das ist einer der ganz wenigen Punkte, den wir im Koalitionsvertrag durchaus begrüßen.

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Da steht so viel mehr Gutes drin!)

– Da steht ansonsten nicht viel Gutes drin. Aber das ist ein sinnvoller Aspekt, den Sie dort hineingeschrieben haben.

Ihre Regierung ist ja nun schon einige Zeit im Amt. Deshalb die Frage: Wo ist denn dieser Sonderbevollmächtigte? Das ist ein wichtiges Thema; das haben Sie ja gerade auch bestätigt. Wann kommt dieser Sonderbevollmächtigte, und wer soll diese verantwortungsvolle Position denn übernehmen?

Sehen Sie, Herr Kollege Oster, ich habe ja auch persönlich etwas mit dieser Funktion zu tun. Ich habe mich sehr dafür eingesetzt, dass sie kommt. Es ist ein so großes Erfolgsmodell – das beschreiben Sie ja auch –, dass sich viele darum reißen. Viele hätten diesen Bevollmächtigten ganz gern.

(Alexander Throm [CDU/CSU]: Sie auch?)

Ich bin der Meinung, dass er am besten im Innenministerium aufgehoben wäre,

(Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)

weil es sich bei diesen Migrationsabkommen schon um umfassende Abkommen handelt.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

Da geht es auch um Rückführungen, um Abschiebungen, aber eben auch um die Frage, zu welchen Bedingungen jemand legal zu uns kommen kann. Es geht also durchaus um Fragen des Aufenthaltsrechtes und des Migrationsrechts, und das sind klassische Fragen des Innenministeriums. Deswegen finde ich, es wäre im BMI am besten aufgehoben. Aber alle wollen ihn haben, alle reißen sich darum, und deswegen ist noch unentschieden, wer dieses Goldstück denn nun bekommen soll.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Josef Oster [CDU/CSU]: Also ein neuer Streitpunkt in der Koalition!)

Das ist jedenfalls ein wichtiger Punkt, und ich bin der Meinung, dass wir darauf hinwirken sollten, dass der Posten des Bevollmächtigten alsbald beim BMI eingerichtet wird.

(Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder „der Bevollmächtigten“!)

Ich will noch einen letzten Punkt ansprechen – auch das ist ein wichtiges Anliegen von uns –: Wir müssen darauf hinwirken, dass die Verfahren beschleunigt zum Ende kommen. Dafür müssen Unsicherheiten dahin gehend beseitigt werden, wie Asylanträge von Antragstellern verschiedener Länder zu entscheiden sind. Wir sind der Meinung, dass es nützlich wäre, wenn wir Länderleitentscheidungen bekämen, dass also das Bundesverwaltungsgericht eine Leitentscheidung trifft, die es den Ausländerämtern, den Asylbehörden, dem BAMF, aber auch den Verwaltungsgerichten an die Hand gibt und die besagt, für welche Länder welche Entscheidung die richtige wäre, damit wir schneller zu rechtskräftigen Entscheidungen in Asylverfahren kommen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der nächste Redner ist der Kollege Christoph de Vries für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7535634
Wahlperiode 20
Sitzung 31
Tagesordnungspunkt Abschiebung von abgelehnten Flüchtlingen
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