28.04.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 31 / Zusatzpunkt 7

Andreas Pinkwart - Aktuelle Stunde zu der von der Bundesregierung angekündigten Kehrtwende bei Energiepreisen

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren in dieser Aktuellen Stunde des Deutschen Bundestages über die Energiepreisentwicklung vor dem Hintergrund außergewöhnlicher, schwieriger Herausforderungen für das Energiesystem in unserem Land. Unser Energiesystem war noch nie so stark herausgefordert wie im Moment durch den schrecklichen Krieg in der Ukraine. Deswegen muss sich eine Debatte zu Energiepreisen natürlich einerseits mit der Frage beschäftigen, wie wir insbesondere die einkommensschwächeren Haushalte und die energieintensiven Unternehmen in dieser schwierigen Situation entlasten können. Das tut die Bundesregierung. Sie hat unterschiedliche Pakete auf den Weg gebracht. Der Bundesrat hatte darum gebeten. Wir sehen, dass die Bundesregierung viele wichtige Schritte unternommen hat. Herr Habeck, Sie werden heute Nachmittag dankenswerterweise mit den Mitgliedern der Wirtschaftsministerkonferenz über die die energieintensiven Unternehmen betreffenden Maßnahmen sprechen. Dafür sind wir dankbar. Hier ist vieles auf dem Weg, was kurzfristig hilft, Haushalte und Unternehmen zu entlasten. Das ist dringend notwendig. Hier arbeiten wir eng zusammen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen uns in dieser Situation, in der auch ein Gasembargo drohen könnte – schneller als wir das vielleicht bislang befürchteten und voraussehen konnten –, andererseits mit Blick auf die Energiepreise fragen: Wie gehen wir mit dem Energieangebot um? Wie gehen wir mit der Energienachfrage um? Wie können wir es so gestalten, dass die Energiepreise in dieser Notsituation nicht noch dramatischer ansteigen? Denn da könnte der Staat mit allen Mitteln, die er mobilisieren könnte, gar nicht gegenhalten. Wir müssen uns also fragen: Wie können wir die Energiequellen schneller diversifizieren? Wie können wir neue Quellen erschließen? Wie können wir in dieser Situation den Fuel Switch von Gas zu Kohle, zu Schweröl und zu anderen Energieträgern beschleunigen, gerade hinsichtlich der energieintensiven Unternehmen? Meine Damen und Herren, wir haben hier Spielräume. Wir müssen allerdings auch die Genehmigungsverfahren anpassen.

(Beifall des Abg. Sepp Müller [CDU/CSU])

Auch hier bitten wir die Bundesregierung um Unterstützung. Wenn jetzt das Embargo käme, müsste die Industrie trotzdem, soweit es ginge, weiterarbeiten können. Hier müssen wir innovativ werden. Hier müssen wir zusehen, dass das schnell angepasst werden kann. Darauf müssen wir uns konzentrieren.

(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Dr. Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dann ist es entscheidend, dass wir den Weg zum klimaneutralen Ufer überbrücken und Gas auf dem Weg dorthin durch andere Stützpfeiler ersetzen. Dafür brauchen wir andere konventionelle Energien, von denen wir glaubten, dass wir uns von ihnen schon längst hätten verabschieden können. Möglicherweise werden wir diese kurz- und mittelfristig stärker einsetzen müssen. Das gilt aus meiner Sicht bis Ende der 20er-Jahre für alle konventionellen Energien. Ich möchte für die nordrhein-westfälische Landesregierung hier bekräftigen: Wir wollen möglichst bis 2030 abschließend aus der Kohle aussteigen; aber bis dahin brauchen wir eine Brücke zum klimaneutralen Ufer, die auch tragfähig ist. Dafür müssen wir alles in den Blick nehmen.

Wir brauchen auch neue Stützpfeiler aus Erneuerbaren, die schneller ausgebaut werden.

(Zuruf des Abg. Timon Gremmels [SPD])

Das müssen wir beschleunigen. Hier unterstützen wir das von Herrn Habeck vorgelegte Osterpaket.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir den Ausbau erneuerbarer Energien endlich als überragendes öffentliches Interesse einordnen, werden wir es einfacher haben, Planungs- und Genehmigungsverfahren in unserem Land durchzuführen und auch endlich – das füge ich aus nordrhein-westfälischer Sicht hinzu – die Netze auszubauen.

(Zuruf von der FDP: Ja!)

Denn bislang ist die Offshorewindenergie in Nordrhein-Westfalen frühestens ab 2030 verfügbar. Der Netzausbau muss, meine sehr verehrten Damen und Herren, deutlich beschleunigt werden.

(Beifall bei der FDP – Jens Spahn [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Hier setzen wir auf mutige Entscheidungen der Bundesregierung.

Damit der Ausbau der Erneuerbaren auch ganz lebenspraktisch schneller vorankommt, brauchen wir mehr Standardisierung, mehr Digitalisierung, mehr Manpower in den Genehmigungsbehörden. Wir brauchen auch viel mehr Fachkräfte im Handwerk. Bundesweit werden 140 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Handwerk benötigt, um die Energiewende hin zu den Erneuerbaren möglich zu machen. Hier gilt es, die berufliche Qualifizierung, die Tätigkeit im Handwerk und in anderen Bereichen unserer Gesellschaft endlich wieder anzuerkennen, damit mehr junge Leute dorthin gehen.

(Christian Dürr [FDP]: Sehr gut!)

Für mich sind Handwerkerinnen und Handwerker die Klimamacher unserer Zeit. Wir müssen dafür werben, meine Damen und Herren, damit wir dort vorankommen.

(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Dr. Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Neben der Verteuerung der Energiepreise sehen wir, dass auch die Materialpreise galoppieren und das Handwerk und alle anderen Bereiche massiv darunter leiden, dass sie gar nicht das Material haben, um die Energiewende vorantreiben zu können. Dies könnte sich noch verschärfen, wenn die energieintensiven Unternehmen in Deutschland nicht mehr die Energie verfügbar haben, um in der Grundstoffindustrie und in anderen Industrien ihre Beiträge zu leisten. Wenn wir auch das noch alles importieren wollten, würden wir uns im Übrigen ein neues Klumpenrisiko an Abhängigkeit zulegen. Dann wären wir auch nicht mehr so leistungsfähig, und die Preise würden explodieren. Deswegen möchte ich für die nordrhein-westfälische Industrie und auch für die Sozialpartner, die sich am vergangenen Wochenende noch einmal ganz deutlich zu Wort gemeldet haben, mit Blick auf ein Energieembargo sagen – und wir sind der Bundesregierung und dem Energieminister sehr dankbar; sich in die Brandung zu stellen, ist alles andere als selbstverständlich –: Ein Energieembargo zum jetzigen Zeitpunkt hieße aus deutscher Sicht, dass wir uns stärker belasteten als den Aggressor und dass wir uns die Möglichkeiten nähmen, all diese Umbaumaßnahmen in der notwendigen Weise voranzubringen. Das würde unserem Standort schaden, das würde dem Klima schaden. Deswegen wollen wir alles unternehmen, um die Abhängigkeit vom Gas, vom Öl, von der Kohle weiter zu reduzieren, bevor wir eine solche Entscheidung treffen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Sepp Müller [CDU/CSU])

Wir müssen auch auf Folgendes achten – die Bundesnetzagentur arbeitet Tag und Nacht daran, sich vorzubereiten; auch dafür sind wir dankbar –: Es könnte sein, dass uns ein solches Embargo, ein solcher Ausfall der Gaslieferungen in den nächsten Wochen trotzdem bevorstehen könnte. Das würde zu ganz erheblichen Friktionen führen. Deswegen muss man sich klug darauf vorbereiten. Wir müssen uns eng abstimmen, und wir müssen sehen, dass wir uns die Brückenpfeiler, die wir brauchen, nicht selber wegschlagen, indem wir das nicht gut organisiert bekommen. Wir brauchen eine gesicherte Versorgung für eine starke Industrie, um beim Umbau unseres Energiesystems und unserer Industrie voranzukommen, mit vereinfachten Planungs- und Genehmigungsverfahren, mit mehr Bereitschaft, in diese Bereiche zu investieren, um dann den Vorteil der erneuerbaren Energien für unser Land endlich nutzen zu können. Wenn wir sie konsequent ausbauen und dies mit einer entsprechenden Wasserstoffwirtschaft verbinden, dann schaffen wir es auch, die Energiepreise langfristig stabilisieren zu können. Dafür brauchen wir Technologie, Innovation und Investition. Das gilt es jetzt klug voranzutreiben, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es wird ja immer wieder gefragt: Wer ist denn da wie weit gekommen? Wir müssen dringend davor warnen, uns der allgemeinen Illusion hinzugeben, wir hätten das Ziel schon halb erreicht. Leider stehen wir, gemessen an unseren sehr ehrgeizigen Zielen, erst am Anfang. Ich will das einmal an wenigen Beispielen verdeutlichen: Wir haben in Nordrhein-Westfalen seit 2016 den jährlichen Photovoltaikausbau vervierfachen können. Wunderbar! Das wollen wir aber in den nächsten acht Jahren noch mal verdrei- bis vervierfachen. Zum Windausbau ein Vergleich zu Baden-Württemberg, auch ein wichtiges Industrieland wie Nordrhein-Westfalen, aber 1 000 Quadratkilometer kleiner: Nordrhein-Westfalen hat eine dichtere Wohnbevölkerung. Trotzdem haben wir in den letzten vier Jahren dreimal so viel im Bereich Wind zugebaut wie Baden-Württemberg.

(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört! – Timon Gremmels [SPD]: Dreimal so viel von wenig ist immer noch wenig!)

Und wir haben achtmal mehr Genehmigungen für die nächsten Jahre, die uns vorliegen, als Baden-Württemberg.

Meine, Damen und Herren, wenn wir das alles ernst meinen, dann müssen jetzt auch alle mitmachen, und dann müssen Sie sich auch vor Ihre Bürgerinnen und Bürger stellen und auf die Notwendigkeit dieser Ausbaumaßnahmen hinweisen, sich hinter diese Maßnahmen stellen, Bund und Länder. Wir wollen es dem Energieminister nicht allzu schwer machen, die Ziele zu erreichen. Wenn wir sie nicht erreichen, werden wir hier in Zukunft ganz andere Debatten über Energiepreissteigerungen haben. Das sollten wir vermeiden.

Herr Minister.

Hier gilt es jetzt, die Ärmel hochzukrempeln. Alle müssen dabei Verantwortung übernehmen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7535658
Wahlperiode 20
Sitzung 31
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zu der von der Bundesregierung angekündigten Kehrtwende bei Energiepreisen
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