Jens TeutrineFDP - Sofortzuschlags- und Einmalzahlungsgesetz
Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diskussionsgrundlage für diese Debatte sind der Coronazuschuss für Bezieher von Sozialleistungen und der monatliche Sofortzuschlag in Höhe von 20 Euro, die wir beschließen wollen. Ich könnte Ihnen eine ganze Liste aufzählen, was noch alles im Entlastungspaket enthalten ist. Aber das haben wir heute schon, glaube ich, zwanzigmal gehört; deswegen spare ich mir das an dieser Stelle.
Ich möchte trotzdem zusammenfassen: Wir entlasten in der Breite der Gesellschaft – weil auch der arbeitende Teil der Bevölkerung von den Preissteigerungen betroffen ist –, beispielsweise durch die Anhebung des Grundfreibetrags bei der Steuer, durch die Anhebung des Arbeitnehmerpauschbetrags, durch die Abschaffung der EEG-Umlage. Zeitgleich unterstützen wir diejenigen, die besonders stark von den Preissteigerungen betroffen sind. Darum geht es in unseren Paketen; denn es stellt sich die Frage, ob am Ende des Monats überhaupt noch Essen im Kühlschrank ist oder ob kein Essen mehr im Kühlschrank ist, obwohl der Monat noch weiterläuft. Es stellt sich die Frage, ob Kinder und Jugendliche noch Geld haben, um ins Schwimmbad zu fahren. Deswegen ist es richtig, dass wir die Kinder und die Familien in den Blick nehmen.
Herr Whittaker, ich bin etwas überrascht, dass Sie jetzt auch mit den Studierenden angefangen haben. Sie haben in der Pandemie nicht nur die Kinder und Jugendlichen viel zu häufig vergessen,
(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht! Wir haben mehr gemacht als Sie!)
sondern Sie haben auch vergessen, eine BAföG-Reform für die Studierenden auf den Weg zu bringen. Die haben Sie nämlich nicht in den Blick genommen. Wir werden das jetzt angehen. Erste Schritte werden folgen.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Zu wenig! Zu spät!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus Sicht der Freien Demokraten darf das Versprechen des Sozialstaates nicht nur sein, Menschen in der Bedürftigkeit zu versorgen. Das Versprechen des Sozialstaates muss immer auch sein, Menschen aus der Bedürftigkeit zu befreien, diejenigen zu unterstützen, die nach einem Schicksalsschlag versuchen, sich aus eigener Kraft herauszuarbeiten.
Herr Whittaker, Sie haben nach der Bürgergeldreform gefragt. Ich möchte Ihnen gerne ein ganz konkretes Beispiel nennen. Eine alleinerziehende Mutter in Hartz IV, die sich nicht einfach nur auf die Solidarität der Gesellschaft verlassen möchte, sondern die sich anstrengt und aus eigener Kraft etwas erwirtschaften möchte, hat von der Mindestlohnerhöhung, zu der wir heute richtigerweise einen Gesetzentwurf eingebracht haben, recht wenig, wenn sie gleichzeitig einen Minijob hat. Sie profitiert nicht davon. Sie hat einen 100‑Euro-Freibetrag, und davon werden 80 Prozent angerechnet. Ihr Kind, wenn es als Schüler arbeiten geht, darf von den 450 Euro aus dem Nebenjob nur 170 Euro behalten; das ist mehr als der Spitzensteuersatz. Es ist problematisch für Kinder und Jugendliche, wenn der Zufall der Geburt entscheidet, ob sich die persönliche Anstrengung, neben der Schule arbeiten zu gehen – in einer Tankstelle aushelfen, etwas verkaufen, Regale einräumen –, lohnt. Da Sie nach der Bürgergeldreform fragen: Wir werden die Hinzuverdienstgrenzen so anpassen, dass diejenigen, die sich in unserer Gesellschaft anstrengen, belohnt werden. Das haben Sie in den letzten 16 Jahren verpasst.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Darum geht es uns als Freien Demokraten bei der Bürgergeldreform.
Ein OECD-Ländervergleich hat ergeben, dass es in Deutschland sechs Generationen braucht, bis man sich von einem niedrigeren bis zu einem mittleren Einkommen hocharbeiten kann. Im Vergleich: In den skandinavischen Ländern sind es nur zwei Jahre. Wir sind auf einem Platz mit Chile, wenn es um die soziale Mobilität in Deutschland geht.
Ja, es ist notwendig und vollkommen richtig, dass wir Unterstützungs- und Entlastungsprogramme auf den Weg bringen. Aber die wichtigste soziale, gesellschaftliche und wirtschaftspolitische Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass der soziale Hintergrund, die Hautfarbe, das Geschlecht, der Geldbeutel der Eltern nicht über Chancen im Leben entscheiden, sondern Leistung, Fleiß und Tatendrang.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es kamen immer wieder Fragen aus der Opposition auf: Hat der Koalitionsvertrag denn überhaupt noch seine Gültigkeit? Müsste nicht alles hinterfragt werden? – Ich finde es gut, dass auch die Oppositionsparteien beispielsweise ihre Energiepolitik, ihre Sicherheitspolitik hinterfragen, dass jede Partei im demokratischen Spektrum aktuell etwas auf den Prüfstand stellt. Wir haben den Koalitionsvertrag auch in Bezug auf die Sozialpolitik auf den Prüfstand gestellt.
Ich möchte Ihnen aber eins ganz deutlich sagen: Diese Koalition wird beweisen, dass wir trotz der Krisen, die wir bewältigen müssen, weiter auf Fortschritt setzen müssen, weil auch Stillstand ein Grund dafür ist, warum wir in der aktuellen Situation sind. Unser Verständnis von Fortschritt meint die Erneuerung des Aufstiegsversprechens der sozialen Marktwirtschaft, wie Ludwig Erhard es wollte.
(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Nur zu! Dann macht mal voran!)
Jetzt freuen wir uns über Ihre Unterstützung bei der Bürgergeldreform. Ich nenne einige Punkte als Beispiele: Wir könnten über den Vermittlungsvorrang sprechen, damit Menschen in Ausbildung statt als Aushilfen vermittelt werden.
(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ihr werdet mit der SPD genauso viel Freude haben!)
Wir könnten über das Weiterbildungsgeld sprechen, weil ein großer Teil der Menschen in Hartz IV Langzeitarbeitslose sind und keine berufliche Qualifikation haben. Und wir könnten darüber sprechen, dass die Kindergrundsicherung gut ist. Aber es ist eine Unmöglichkeit, dass von den Mitteln aus dem Bildungs- und Teilhabepaket, das Ursula von der Leyen auf den Weg gebracht hat, nur 30 Prozent bei den Kindern ankommen.
(Vizepräsident Wolfgang Kubicki klopft auf das Mikrofon)
Deswegen enthält das Paket ein digitales Kinderchancenportal. Liebe Ministerin, ich freue mich, wenn Sie dieses Projekt angehen. Ich glaube, wir haben viel vor.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Herr Kollege Teutrine. – Es war Ihre erste Rede, deshalb diese Nachsicht. Das wird nicht immer so sein.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Jessica Tatti, Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7535674 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 31 |
Tagesordnungspunkt | Sofortzuschlags- und Einmalzahlungsgesetz |