Carsten LinnemannCDU/CSU - Impulse für Einzelhandel und Innenstädte
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mit einem Zitat einsteigen: „Auf Architekturzeichnungen ist es immer still, in Städten nie.“ Das hat vor einiger Zeit der niederländische Schriftsteller Cees Nooteboom gesagt. Heute würde ihm, denke ich, dieser Satz – auf Architekturzeichnungen ist es immer still, in Städten nie – nicht mehr so leicht über die Lippen gehen. Fakt ist: Die Innenstädte in Deutschland werden immer stiller. Wir haben viel Leerstand. Im Ruhrgebiet gibt es Städte, wo jedes dritte Ladenlokal geschlossen ist. 1‑Euro-Läden, Handyläden und vieles mehr prägen das Leben in den Innenstädten zusehends.
Ich komme selbst aus einem Einzelhandelsgeschäft. Meine Eltern hatten über 40 Jahre eine Buchhandlung. Ich war damals, in den 90er-Jahren, Laufjunge – wie das so war – und musste die Botengänge erledigen. Die Stadt war vielfältig; die Stadt war kleinteilig. Es gab qualifizierten Einzelhandel; es gab eigentümergeführte Unternehmen. Jede Stadt, jede Innenstadt sah irgendwie anders aus. Das hat sich heute geändert. Heute sehen alle Innenstädte irgendwie gleich aus.
Wir verlieren jedes Jahr Tausende Geschäfte. In diesem Jahr ist die Prognose: 16 000 Ladenschließungen in deutschen Innenstädten; vor allem der kleine Fachhandel ist davon betroffen. Ja, wir erleben einen Strukturwandel. Die Digitalisierung hat den Einzelhandel verändert, und die Coronakrise hat diese Entwicklung nochmals beschleunigt. Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen: Im ersten Coronajahr 2020 ist der Onlinehandel um rund 25 Prozent auf 70 Milliarden Euro Jahresumsatz gestiegen und ein Jahr später nochmals auf 100 Milliarden Euro. Nicht dass Sie mich falsch verstehen: Die CDU/CSU-Fraktion will diesen Strukturwandel nicht aufhalten, ganz im Gegenteil. Diejenigen Mittelständler in den Innenstädten, die stationär sehr erfolgreich sind, sind in der Regel auch online sehr erfolgreich.
Uns geht es um etwas anderes: Wir wollen mit diesem Antrag gegen die Verödung der Innenstädte vorgehen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir wollen die Zukunft der Innenstädte gewinnen. Wir wollen die Innenstädte zu einem Erlebnisraum machen, zur Begegnungsstätte, zur Kommunikationsplattform, wo sich Menschen treffen, wo sich Menschen austauschen. Das ist der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält.
Dieser Antrag enthält sehr viele Punkte. Ich schaffe es aus Zeitgründen nicht, auf alle Punkte einzugehen; aber ich habe mir erlaubt, drei Punkte herauszuziehen, die meines Erachtens im Moment zentral sind:
Der erste Punkt greift kurzfristig. Im stationären Handel in Deutschland liegt der Frequenzrückgang in den Innenstädten immer noch bei 20, 25 Prozent zum Vorkrisenniveau. Jetzt kommt die Ukrainekrise mit großen Verunsicherungen. Der Einzelhandel spricht davon, dass wir im Moment eine Umsatzkante haben. Deshalb sind wir der Meinung: Das beste steuerliche Instrument, um dem Einzelhandel kurzfristig zu helfen, ist die Verlustverrechnung.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das heißt, dass die Gewinne der Vergangenheit mit den Verlusten von heute verrechnet werden; damit unterstützen wir zielgenau die Unternehmen, die die Zukunft auf ihrer Seite haben, die in Digitalisierung investieren wollen und vieles mehr.
Der zweite Punkt betrifft Städtebau und Stadtplanung. Der Kollege Ulrich Lange wird gleich auf dieses Thema eingehen. Aber lassen Sie mich einen Satz dazu sagen: Die Städte der Zukunft werden sich verändern. Wir werden mehr Wohnraum schaffen müssen in den Innenstädten. Übrigens brauchen wir auch mehr Leben, wir brauchen mehr junge Menschen. Wir sehen ja: In den Städten, in denen viele junge Menschen leben, wo Teile der Universitäten in der Innenstadt liegen – wie beispielsweise in Münster, in Freiburg, in Bayreuth –, da ist Leben in der Bude.
Ich möchte aber auch das Thema Sicherheit ansprechen. Ich gehe einmal von meiner Person aus. Ich habe zwei, drei Jahre in Frankfurt gelebt. Ich hatte meine Wohnung auf der Zeil. Da war abends nichts mehr los, weil die Leute nicht in die Stadt gingen, weil sie Angst hatten, weil da No-go-Areas waren. Hier müssen wir dagegenhalten.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Übrigens: Wer das gut macht, das ist der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul; er geht dagegen vor. Auch das ist Innenstadtpolitik für die Zukunft.
Der dritte Punkt: Ich bin der Meinung, der Einzelhandel braucht mehr Aufmerksamkeit. Ich beobachte mich selbst dabei. Ich werde angesprochen: Herr Linnemann, wir müssen mal über die Öffnungszeiten reden! – Dann sage ich: Nein, das ist Aufgabe der Landespolitik. – Oder jemand spricht mir gegenüber die Erreichbarkeit an. Dann sage ich: Das ist Aufgabe der Kommunalpolitik. – Wenn es um Städtebau geht, sagen die Landespolitiker: Das ist Bundespolitik. – Damit muss Schluss sein! Wir müssen eine Plattform schaffen, wo sich alle begegnen, eine Allianz für die Innenstädte. Wir müssen dafür sorgen, dass Land, Bund und Kommunen gemeinsam ganzheitlich dieses Thema betrachten und nicht, wie bei anderen Themen auch, jeder immer die Verantwortung wegschiebt, sie nicht selber tragen will. – Für diesen ganzheitlichen Ansatz steht die CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Lassen Sie mich zum Schluss noch eine persönliche Anmerkung machen. Ich bin hier spontan eingesprungen. Ich möchte mich nicht mit fremden Federn schmücken: Dieser Antrag ist maßgeblich von Jan Metzler verfasst worden. Herr Metzler hat Corona. Wir wünschen ihm alle gute Genesung. Herzliche Grüße auch von hier aus dem Deutschen Bundestag, lieber Jan!
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN und des Abg. Leif-Erik Holm [AfD])
Ich habe dich heute gerne vertreten, weil dieses Thema auch mir ein Herzensanliegen ist. Ich habe skizziert, warum das der Fall ist, nicht nur für mich als Person, sondern auch für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Ich würde Sie bitten, diesen Antrag nicht einfach aus parteitaktischen Gründen wegzuschmettern, sondern sich mit diesem Antrag, mit unseren Argumenten ernsthaft auseinanderzusetzen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Esra Limbacher.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7535798 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 32 |
Tagesordnungspunkt | Impulse für Einzelhandel und Innenstädte |