Johannes ArltSPD - Impulse für Einzelhandel und Innenstädte
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie soll die Stadt, wie soll die Gemeinde der Zukunft aussehen? Lieber Herr Willsch, ich habe 700 Dörfer im Wahlkreis. Auch der ländliche Raum ist ein wichtiger Aspekt; da stimme ich Ihnen zu.
Nachdem wir heute bereits über viele Detailfragen und Vorschläge in Ihrem Antrag geredet haben, möchte ich zum Ende der Debatte einen Schritt zurückgehen und ein paar grundsätzliche Erwägungen in den Blick nehmen. Stellen Sie sich vor, wir müssten die Städte, die Grundzentren, die Mittelzentren, die Oberzentren neu planen und neu denken. Wie würden wir das heute machen? Die Lösung kann jetzt nicht sein, dass wir nur an den Symptomen ansetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union. Vieles in Ihrem Antrag ist richtig; aber er ist doch zu sehr von dem Geist des Konservierens durchdrungen: hier ein Schräubchen, da ein Schräubchen. Ich glaube, wir müssen da ein bisschen größer denken.
Die funktionsgetrennte Innenstadt, die allein dem Einzelhandel dient, ist eine Entwicklung der Nachkriegszeit. Gucken wir uns die Stadtentwicklung um 1900 an, dann sehen wir Viertel, in denen gelebt, gearbeitet und konsumiert wurde. Diese Funktionsmischung sollte uns Orientierung sein. Innovative Modelle müssen hier her.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Wie also sollte die Stadt der Zukunft aussehen? Während der Pandemie – so zeigen es Befragungen – standen für über 60 Prozent der Innenstadtbesucher Begegnungen und Café- und Restaurantbesuche im Vordergrund, gefolgt von dem Wunsch, den Einzelhandel zu unterstützen. Wir wissen also, was Innenstädte für Menschen attraktiv macht: Vielfalt. Daher sollten sie sich vielfältiger aufstellen mit Wohnen, Leben, Arbeiten, Gastronomie als Ensemble und mit kurzen Wegen, und dies nicht allein im Stadtzentrum.
Letzte Woche hatte ich auf einer Berichterstatterreise nach Schweden und Dänemark die Gelegenheit, zu sehen, wie in der alten Industriestadt Landskrona mit konsequenter Stadtentwicklung ein neuer Anfang gewagt wurde. Vormals sozial problematische Viertel werden durch Verlegen von Verkehrswegen von einer Randlage in die Mitte der Stadt gerückt. Neue attraktive Townhouses werden zwischen vormalige Sozialwohnungen gebaut und mit Schulen und Einkaufsmöglichkeiten ergänzt, um soziale Segregation abzubauen und neue steuerkräftige Bürger in die Stadt zu locken. Dies braucht aber vor allen Dingen Mut, ebenenübergreifend zusammenzuarbeiten und ganzheitliche Entscheidungen für eine Gemeinde zu treffen.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Andreas Audretsch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Dr. Lukas Köhler [FDP])
Fragen wir nach der Zukunft der Stadt und der Gemeinde sollten wir keineswegs den ländlichen Raum vergessen. Das Dorfzentrum der Zukunft ist genauso wichtig. Es könnte ein Gebäude sein, das die unterschiedlichsten Funktionen unter einem Dach versammelt und vernetzt. Nehmen wir Co-Working-Spaces. Neben der Möglichkeit, zu arbeiten, sind das Orte der Begegnung, Orte der Kultur und Orte der Bildung.
Bei meiner letzten Rede habe ich Ihnen von den Dörfern in meinem Wahlkreis berichtet, in denen man oft auf einen Apfelbaum steigen muss, um Netzempfang zu haben.
(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Ich erinnere mich noch, ja!)
Dort besteht die einzige vorhandene öffentliche Infrastruktur oft aus einer Bushaltestelle, an der kein Bus fährt, und dem Briefkasten.
Jetzt guckt uns eine junge Gründerin aus einem Dorf bei Waren zu, die gerade gestern mit ganz viel eigenem Engagement ihren Co-Working-Space DECK gegründet hat, um ihrem Dorf eine Mitte zurückzugeben, ein Co-Working mit Besprechungsflächen, einem Aufnahmestudio für Videos und Ton für Unternehmen und auch einem Dorfladen mit einem Café mit elektronischem 24‑Stunden-Zugang. Das ist vollkommen innovativ. Hier können noch andere Dienstleister, wie Post und andere Einzelhändler, eindocken. Es geht also nicht um Fördermittel allein, sondern auch um Innovations- und Gründergeist für unsere Dörfer.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich danke Katharina Scheunemann und allen, die hier zuhören und Initiative zeigen, um ihr Landleben zu bereichern, für diesen steinigen Weg, den sie gehen, um ihre Heimat neu aufzustellen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Ampelkoalition hat bereits einige Weichen gestellt. Dorfbüros und Co-Working-Spaces werden als Teil der Daseinsvorsorge anerkannt und im Programm für den Küstenschutz zusätzlich gefördert. Ja, wir erleben aktuell eine schwere Krise der Innenstädte und Ortskerne. Doch gibt uns diese Krise zugleich auch die Möglichkeit, die Stadt der Zukunft zu denken. Dies erfordert Mut vor Ort durch konsequente Anwendung des Planungsrechts sowie eine unbürokratische Zusammenarbeit. Wir sollten darüber nachdenken, die überkomplexe Förderlandschaft zu vereinfachen, Programme zusammenzuführen, zu digitalisieren, um somit auch für kleine Städte und Gemeinden den Aufwand der Beantragung zu begrenzen. Dies könnte unser Beitrag sein, die Städte und Gemeinden zur Zukunft zu befähigen. Ich freue mich auf die Beratung Ihres Antrags im Wirtschaftsausschuss.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Der letzte Redner in der Debatte: Hagen Reinhold, FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Noch einer, der uns recht gibt!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7535813 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 32 |
Tagesordnungspunkt | Impulse für Einzelhandel und Innenstädte |