11.05.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 33 / Zusatzpunkt 1

Franziska KerstenSPD - Aktuelle Stunde - Mehr Lebensmittel produzieren statt Ackerflächen stilllegen

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Uns allen ist der Ernst der Lage bewusst. Der furchtbare Krieg in der Ukraine führt zu Not und Leid bei der Bevölkerung. Dies höre ich übrigens momentan auch von einer Stipendiatin, die bei mir arbeitet und deren Familie im Kriegsgebiet lebt.

Der Konflikt hat aber auch Auswirkungen auf die globale Versorgung mit Nahrungsmitteln. Das kann auch zu neuen Fluchtbewegungen führen. Wie können wir mit unserer Agrarpolitik darauf reagieren? Soll die Stilllegung von 4 Prozent Ackerflächen 2023 ausgesetzt werden? Sollen wir die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik um ein Jahr verschieben, wie von der Union gewünscht, oder sollen wir es ganz sein lassen und einfach so viel produzieren, wie irgendwie möglich ist?

(Bernd Schattner [AfD]: Gute Idee!)

Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wer so argumentiert, denkt zu kurz.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sepp Müller [CDU/CSU]: Was sagt denn der sozialdemokratische Landwirtschaftsminister in Mecklenburg-Vorpommern dazu? – Gegenruf des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warten Sie doch mal ab!)

– Der ist ja nicht hier. Alles gut.

(Lachen bei der CDU/CSU – Sepp Müller [CDU/CSU]: Okay!)

Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik haben wir doch nicht aus ideologischer Verblendung angeschoben. Fakt ist doch, dass Hitzeperioden und Wetterkapriolen zunehmen. Die Niederschlagsmengen in meinem Wahlkreis, also in der Börde und im Jerichower Land, liegen aktuell wieder deutlich unter dem langjährigen Mittel. Wir haben in Sachsen-Anhalt ein echtes Problem mit Wasserknappheit in der Landwirtschaft; der heute hier anwesende Landwirtschaftsminister Sven Schulze wird das sicherlich bestätigen können.

Unsere Landwirtschaft muss sich an den Klimawandel anpassen. Wir brauchen keine einfachen Lösungen, sondern Handlungen mit Augenmaß. Wir brauchen nicht eine kurzfristige Intensivierung, sondern wir brauchen resiliente Ökosysteme.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Und das geht nur mit Biodiversität.

Hier kommen die Stilllegungsflächen ins Spiel. Sie erfüllen wichtige Funktionen für den Wasserhaushalt sowie als Rückzugsraum für Flora und Fauna. Die 4 Prozent, die ab 2023 stillgelegt werden sollen, sind schon ein extrem heruntergeschraubter Kompromiss. Darauf können wir nicht auch noch verzichten. Wir können Biodiversität nicht einfach an- und abschalten.

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Dafür lieber ein paar Leute verhungern lassen!)

Das ist eigentlich nicht möglich; das müsste Ihnen bewusst sein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Was einmal verschwunden ist, bleibt auf Dauer verschwunden.

Übrigens hat sich auch der gerade wiedergewählte Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther, auf dem Naturschutztag im November 2021 der Biodiversität verschrieben. Vielleicht haben Sie das nicht mitbekommen, dass es so war, aber er hat davon geredet, dass das wichtig sei. Es wäre gut, wenn das die Unionsfraktion wahrnimmt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das nehmen wir schon wahr!)

Die Vorteile der Nutzung von Brachflächen verhalten sich disproportional zu den ökologischen Kosten. Im Übrigen sind die meisten Brachen eben nicht ertragsreich, sondern sind Grenzstandorte. Für die Futternutzung sind sie freigegeben. Das ist auch sinnvoll.

(Sepp Müller [CDU/CSU]: Ist das Ihre Antwort auf Frau Schulze, die vor einer Hungersnot in Afrika warnt? – Gegenruf des Abg. Dr. Jan-Niclas Gesenhues [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das ist die falsche Antwort! Das ist doch das Problem!)

Aber für den Getreideanbau wäre ein großer Mehraufwand inklusive Düngung und Pflanzenschutz notwendig. Wir wissen, angesichts der momentanen Düngerpreise ist das illusorisch. Und Brotgetreide wird auf den meisten Flächen nicht produziert werden können. Auch die absolute Größe der Flächen in Höhe von 170 000 Hektar lässt eine wirksame Bekämpfung des Welthungers unrealistisch erscheinen.

(Dieter Stier [CDU/CSU]: Aber leistet einen Beitrag!)

Der Fruchtwechsel ist eine entscheidende Maßnahme zur Förderung der Bodenfruchtbarkeit und der Pflanzengesundheit. Auch hier müssen wir mit Augenmaß vorgehen. Auf guten Standorten leidet die Bodenqualität nicht, wenn der Weizen zweimal hintereinander angebaut wird. Deshalb unterstützen wir als Fraktion sehr den Vorschlag von Cem Özdemir, diese Pflicht zum Fruchtwechsel erst mal aufzuheben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Nebelkerze! Das ist nichts als eine Nebelkerze!)

Auf diesem Wege kann man einen schnelleren Beitrag zur weltweiten Weizenproduktion leisten. Das bringt auch deutlich mehr, als Brachen zu nutzen.

Auch beim Thema Gewässerrandstreifen kann nachgesteuert werden. Hier müssen wir uns die betroffenen Wasserläufe genauer ansehen und nach deren Bedeutung auch unterscheiden. Wir müssen auch die Ökoregelung ab 2023 noch mal überdenken. Nur wenn zusätzliche Maßnahmen der Landwirte für unsere Ökosysteme auch angemessen honoriert werden, kann die neue GAP funktionieren. Es ist übrigens bezeichnend, dass damals genau das unter Julia Klöckner im Bundeslandwirtschaftsministerium verhindert wurde.

(Dr. Johannes Fechner [SPD]: Hört! Hört!)

Das war eben für die Landwirte nicht attraktiv.

Längerfristig würde eine Umstellung zu mehr pflanzenbasierter Ernährung zu einem verminderten Druck auf die globalen Getreidemärkte führen.

(Sepp Müller [CDU/CSU]: Die Afrikaner brauchen jetzt das Getreide! 10 Millionen Menschen hungern, und Sie schauen zu! Das ist sozialdemokratische Landwirtschaftspolitik! – Gegenruf des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Blödsinn! Sie haben doch gar keine Ahnung von Hunger! – Weitere Gegenrufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für mich sind auch eine Reduktion des Fleischkonsums, der Tierbestände, der Lebensmittelabfälle und der Nutzung von Bioethanol in Europa entscheidende Faktoren. So lassen sich der Nachfragedruck auf die globalen Getreide- und Futtermittelmärkte reduzieren und die Preissteigerungen eindämmen.

Was uns jetzt nicht hilft, ist ganz klar: kurzfristiges Produzieren um jeden Preis, ohne die ökologischen Folgen zu sehen. Wir müssen jetzt mit Augenmaß handeln.

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Handeln wäre gut!)

Ich bitte alle, das mitzuverfolgen. Das werden uns zukünftige Generationen danken.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Das Wort hat der Abgeordnete Stephan Protschka für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7535905
Wahlperiode 20
Sitzung 33
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde - Mehr Lebensmittel produzieren statt Ackerflächen stilllegen
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