Sven Schulze - Aktuelle Stunde - Mehr Lebensmittel produzieren statt Ackerflächen stilllegen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich bin sehr dankbar, dass ich hier heute reden darf. Ich bin aktuell auch der Vorsitzende der Agrarministerkonferenz. Wir haben vor einigen Tagen – Herr Özdemir, Sie erinnern sich; Sie waren die ganze Zeit mit dabei – die Agrarministerkonferenz durchgeführt. Wir haben genau über dieses Thema, das wir heute diskutieren, viele Stunden sehr intensiv miteinander diskutiert. Ich möchte die Gelegenheit hier nutzen, zu erklären, wie wir, die Agrarminister der Länder, das diskutiert haben und warum wir das diskutiert haben.
Wir haben das Thema „Nutzung von Vorrangflächen“ nicht deshalb diskutiert, weil die Idee hier aus dem Bundestag oder aus irgendeinem Landesparlament kam. Nein, die Idee kam aus Brüssel, von der Europäischen Kommission. Ich habe die letzten sieben Jahre als Abgeordneter des Europäischen Parlaments die Kommission, auch die aktuelle, geführt von Ursula von der Leyen, sehr gut kennengelernt. Ich glaube, diese Kommission ist die Kommission, die am meisten im Bereich „Umweltschutz, Artenschutz, Nachhaltigkeit“ vorhat, Stichwort „Green Deal“, das Megaprojekt dieser Kommission.
Wenn diese Kommission jetzt sagt: „Liebe Mitgliedstaaten, wir haben hier ein massives Problem, nicht bei euch in den Mitgliedstaaten, nicht in Deutschland“ – ich glaube, bei uns in Deutschland wird es keine Nahrungsmittelknappheit geben –, „aber in Afrika; dort, wo die Ärmsten der Armen leben, wird es möglicherweise, sehr wahrscheinlich sogar, eine Knappheit geben, und wir müssen einen Beitrag leisten als Deutschland und als Europäische Union“, wenn die Kommission das sagt, dann muss man das, glaube ich, sehr ernst nehmen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir haben dieses Thema sehr intensiv diskutiert, weil die Agrarminister sehr unterschiedlichen Parteienfamilien entstammen, und ich kann Ihnen sagen: Am Ende des Tages gab es einen Beschluss. Wir haben der Bundesregierung empfohlen – es war ja damals noch nicht so weit, dass Sie das beschließen konnten bzw. entscheiden konnten –
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Als was reden Sie eigentlich hier?)
– ja, hören Sie mal ruhig zu! –,
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Ich habe gefragt, als was!)
dass man das, was aus Brüssel kommt, eins zu eins umsetzen soll.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Und wir haben gesagt: Das ist nicht eine Infragestellung der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik. – Das hat niemand gesagt; kein Verband hat das gefordert, kein Minister. Wir haben gesagt: In dieser schlimmen Situation müssen wir einen Beitrag leisten. – Niemand hat behauptet, dass damit die Lösung für alle Probleme da ist, aber es ist ein kleiner Bestandteil vieler Bausteine, die wir brauchen, um hier Lösungen zu finden.
Vielleicht mal zum Abstimmungsergebnis: Wir haben darüber abgestimmt. Wir haben keine Einheitlichkeit gefunden. Die Agrarminister von CDU, CSU, SPD, FDP und der Linkspartei haben sich dafür ausgesprochen, Brüssel eins zu eins umzusetzen.
(Dieter Stier [CDU/CSU]: Frau Konrad! – Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)
Dagegen haben sich die Agrarminister aus Hamburg, Bremen, Berlin, Schleswig-Holstein, Brandenburg und Sachsen ausgesprochen. Sie wissen: Das ist alles in Verantwortung der Grünenpartei. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Das hat uns schon sehr geschockt, aber das ist ein Ergebnis, das wir akzeptieren mussten, genauso im Übrigen wie das Ergebnis im Bundesrat. Dort wurde ja auch entsprechend darüber diskutiert und abgestimmt,
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir müssen ja auch akzeptieren, dass Sie hier eine Rede halten! – Gegenruf von der CDU/CSU: Ich verstehe schon, dass Sie nervös werden, Frau Künast, klar!)
im Agrarausschuss etwas anders als im Umweltausschuss.
Fakt ist: Wir müssen hier handeln. Ich fand das eben ganz spannend. Ich habe ja schon in der Fragestunde zugehört, als die Parlamentarische Staatssekretärin gesagt hat: Agrarflächen sind begrenzt und sollten zur Nahrungsmittelversorgung dienen. – Das ist doch genau das Thema; genau das wollen wir.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)
Ich habe mir natürlich, weil ich ein absolut überzeugter Europäer bin, angeschaut, was die anderen Staaten gemacht haben, die betroffen sind, beispielsweise Österreich, wo die Grünen mitregieren. Die betroffenen Staaten haben das alle entsprechend umgesetzt. Wer hat am Ende versagt? Deutschland hat versagt. Ich glaube, man muss es vielleicht konkretisieren: Herr Özdemir, an dieser Stelle haben Sie versagt. Da hätten Sie anders handeln müssen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)
Ich vernehme ja zuweilen auch die Zahlen, die genannt werden – da wird gesagt: das hilft doch alles nichts –: 0,8 Millionen Tonnen. Mal ins Verhältnis gesetzt: Das sind 800 000 Tonnen. Wenn man sich mal so einen 40‑Tonner Getreide vorstellt – der hat ja nicht 40 Tonnen drauf, der hat 25 oder 26 Tonnen drauf –, dann sind das rund 30 000 Lkws allein in diesem Jahr, die wir gehabt hätten – 30 000 Lkws! Da kann man doch nicht sagen: Das ist nichts.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD und der Abg. Carina Konrad [FDP])
Ich weiß nicht, ob es mir erlaubt ist, aber ich habe es zumindest auch zur Kenntnis genommen: Es gab ja eine Anfrage der Abgeordneten Heike Brehmer an die Bundesregierung, wie man denn nun mit dieser EU‑Thematik umgeht. Die Antwort kennen viele von Ihnen. Man hat geantwortet: Wir haben eine Frist gehabt, die ist abgelaufen; deshalb wird man in diesem Jahr nichts machen. – Also, wenn man so miteinander umgeht: schwierig.
Das ist die Vergangenheit. Jetzt reden wir über die Zukunft. Jetzt reden wir über 2023. Jetzt sage ich Ihnen mal, was mir viele Bauern sagen. Die Bauern sagen: Lieber Herr Schulze, Sie sind Vorsitzender der Agrarministerkonferenz, bitte helfen Sie mit, dazu beizutragen, zum einen, dass wir als Bauern auch einen Beitrag leisten können, zum Zweiten, dass wir nicht in die Ecke gestellt werden, als ob wir hier alles aufheben wollen. Wir wollen für ein Jahr, 2022, und für 2023, für das zweite Jahr, helfen; wir wollen hier was machen. – Wir brauchen aber jetzt auch eine klare Ansage, zum einen aus der Europäischen Union – da ist die Bundesregierung gefordert, mit der EU entsprechend zu reden und zu verhandeln, was wir 2023 machen –, weil die Bauern wissen müssen, ob sie nach dieser Ernte den Boden bearbeiten können oder nicht; zum anderen erwarten wir, Herr Özdemir, bitte auch eine klare Aussage, wie Sie sich für das Jahr 2023 verhalten werden, für den Fall, dass die EU auch im Jahr 2023 die 4 Prozent Ackerfläche zur Verfügung stellt. Da brauchen wir jetzt schnell eine klare Aussage. Ich sage Ihnen: Die Agrarministerkonferenz ist jederzeit bereit, mit Ihnen auch kurzfristig in diesem Format ins Gespräch zu kommen. Ich biete Ihnen das an.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Es ist für uns alle, die in der Politik tätig sind, überhaupt kein Problem, stundenlang, nächtelang zu verhandeln. Wir können uns streiten, wir können diskutieren; aber wir haben zwei Ebenen, die jetzt schnelle Lösungen brauchen. Das eine sind unsere Bauern in Deutschland. Sie brauchen jetzt eine Aussage. Und das Zweite sind die Menschen auf dieser Welt, speziell in Afrika. Was wird denn passieren? Wir Europäer können es uns leisten, wenn Ende des Jahres das Getreide knapp wird, es aufzukaufen.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Menschen hungern seit Jahren! Das hat Sie überhaupt nicht interessiert!)
Das ist so; damit müssen Sie sich auch auseinandersetzen. Das können wir uns leisten. Die Afrikaner werden sich das nicht leisten können. Und dann ist die Frage, wer das zu verantworten hat.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, Sie! Ihnen war doch alles egal!)
Ich möchte es nicht verantworten.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie, die Union! – Widerspruch bei der CDU/CSU)
Ich möchte es nicht verantworten; deshalb haben wir entsprechende Vorschläge gemacht.
(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mann, Mann, Mann! Jahrelang war das Thema völlig wurscht!)
Herr Özdemir, wir treffen uns im Herbst in Sachsen-Anhalt. Sachsen-Anhalt hat die besten Böden Deutschlands, 100er Böden. Dort kommt die Bodenwertzahl her – für diejenigen, die es interessiert. Wir treffen uns in Quedlinburg. Es wäre doch eine tolle Sache, Herr Özdemir, wenn Sie mit der Bundesregierung gemeinsam mit den entsprechenden Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag und mit der Agrarministerkonferenz eine vernünftige Lösung suchen.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Parlamentarismus aushebeln läuft nicht!)
In dieser Konfliktlage der letzten Monate hat dieses Haus doch gezeigt, dass man bei anderen Themen auch parteiübergreifend vernünftige Lösungen gesucht und gefunden hat. Wir bieten Ihnen das als Agrarminister an.
(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pluralis Majestatis, oder was?)
Ich bitte Sie darum, dieses Thema wirklich entsprechend ernst zu nehmen. Das, was Sie gestern Abend vorgeschlagen haben, ist ein erster kleiner Baustein. Das ist aber noch lange nicht alles, was wir brauchen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das Wort hat die Kollegin Peggy Schierenbeck für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7535910 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 33 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde - Mehr Lebensmittel produzieren statt Ackerflächen stilllegen |