Susanne MittagSPD - Aktuelle Stunde - Mehr Lebensmittel produzieren statt Ackerflächen stilllegen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Titel dieser Aktuellen Stunde hört sich ja richtig gut an, so logisch und so empathisch. Welchen Hunger meinen Sie eigentlich? Wohl nicht den Hunger in Deutschland und Europa; denn die Versorgung hierzulande ist absehbar gesichert. Das wurde sogar heute im Ausschuss deutlich. Vielmehr geht es um den Hunger dort, wo er am härtesten ist: Das ist in Somalia, im Jemen, im Tschad, im Kongo, in Liberia – um nur einige der am stärksten betroffenen Länder aufzuzählen. Da geht es nicht darum, Hunger zu vermeiden; vielmehr leiden diese Länder schon einige Jahre darunter. Und: Die Welthungerhilfe musste schon im letzten Jahr die Rationen halbieren, weil einige Mitgliedsländer nicht gezahlt hatten.
(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Und was macht Frau Schulze? Streicht die Mittel! – Gegenruf des Abg. Dr. Jan-Niclas Gesenhues [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat Herr Özdemir doch vorhin ausgeführt!)
– Jetzt mal schön die Nerven bewahren; es geht gleich weiter.
In den letzten Jahren waren die Bemühungen im CDU-geführten Landwirtschaftsministerium übersichtlich, den Hunger in den auch durch Klimaveränderungen massiv betroffenen Ländern, besonders in den Subsahara-Staaten, durch Entwicklungen im Bereich der eigenen Landwirtschaft vor Ort zu bekämpfen. Ich kann mich nicht an einen derartigen Antrag erinnern.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Sepp Müller [CDU/CSU]: Stimmt! Wir hatten ja auch einen Entwicklungsminister, der geholfen hat!)
Es wird umgehend unsere Aufgabe sein – hören Sie doch einfach mal zu; Sie wissen doch gar nicht, was ich jetzt sage –, die Möglichkeiten der Eigenversorgung mittel- und langfristig zu sichern. Daher ist in dieser von der Union beantragten Aktuellen Stunde wohl eher der zu erwartende Hunger gemeint.
Nach Angaben des ukrainischen Agrarministers liegen in der Ukraine 20 Millionen Tonnen Weizen für den Export auf Lager – 20 Millionen. Nur zum Vergleich: Die von Ihnen geforderte zusätzliche Flächenbewirtschaftung ergäbe – das wurde schon erwähnt – allenfalls 0,8 Tonnen,
(Hermann Färber [CDU/CSU]: Millionen! 0,8 Millionen Tonnen!)
wenn es gut läuft, wenn wir einen ordentlichen Sommer haben. Trotz des Krieges werden 75 Prozent der Ackerfläche bestellt. Natürlich bleibt die Frage, was am Ende herauskommt; aber die gleiche Frage können wir uns auch in Deutschland stellen.
Hier liegt also ganz klar ein Transportproblem vor: durch verminte Häfen, defekte Gleise und fehlende Lademöglichkeiten. Um das zu regeln, besteht ein enger Austausch zwischen deutschen und ukrainischen Ministern, zwischen Landwirtschaftsministern, auch Verkehrsministern, damit die Lager geleert werden können für die nächste Ernte, die ja schon ansteht.
(Dieter Stier [CDU/CSU]: 75 Prozent haben wir heute gehört!)
Ein europäischer Aktionsplan wird gerade erstellt, er wird nächste Woche dem Ausschuss vorgelegt, und die G‑7-Agrarministerkonferenz tagt, wie erwähnt worden ist, am Wochenende. Also, es ist nicht so, dass nichts passiert. Das nur mal zum Vorredner.
Bei Weizen wird genauso auf Krise, Not und einen eventuellen Mangel spekuliert wie bei Dünger, Sonnenblumenöl, Benzin und Diesel – um nur einige Produkte zu nennen. Angesichts niedriger Zinsen haben Spekulanten seit einigen Jahren Agrarrohstofffonds für sich entdeckt und die Preisspiralen nach oben gedreht. Es ist halt attraktiver, überschüssige Getreidemengen zurückzuhalten, anstatt sie auf den Markt zu bringen und Missernten und Krieg auszunutzen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Seit 2018 steigen kontinuierlich die Anbaumengen für Weizen weltweit, und das wird auch für 2022 erwartet: über 220 Millionen Tonnen. Die Düngerindustrie und der Getreidehandel melden weltweit Rekordgewinne – jetzt.
(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)
Das Problem sind die hohen Preise und nicht der Mangel. Darum ist kurzfristig die Unterstützung globaler Ernährungsprogramme wichtig. Es ist schon gesagt worden: Deutschland steuert 430 Millionen Euro dazu bei.
Bei den Brachflächen, die schon im Ausschuss, in der Öffentlichkeit und hier von der CDU/CSU als unbedingt zu bewirtschaften deklariert wurden, frage ich mich manchmal, ob Sie hier Folgendes bedacht haben: dass diese Flächen nicht gerade hochwertig sind – das haben wir ja schon gehört –, dass die Flächen natürlich auch gedüngt werden müssen – Dünger und Diesel sind ja ebenfalls preislich gestiegen –, dass es seit Wochen nicht geregnet hat, dass in der Landwirtschaft jetzt schon eine grundsätzliche Wasserproblematik besteht und dass wir nicht wissen, was uns unser Sommer diesmal klimatisch beschert.
Ein weiterer Aspekt, den man vielleicht bedenken sollte: Das Vertragsverletzungsverfahren hinsichtlich der Ausweisung roter Gebiete hat auch etwas mit Dünger zu tun. Wir brauchen bis zum Sommer eine einvernehmliche Regelung mit der EU, und es ist noch nicht klar, ob und welche Auswirkungen die Ausweitung der gedüngten Anbauflächen unter Umständen haben könnte; das ist zufälligerweise noch gar nicht erwähnt worden.
Und schließlich – ein nicht ganz unwesentlicher Punkt –: Wir haben die von Ihnen kritisierten Maßnahmen hier überhaupt nicht beschlossen. Der von Ihnen kritisierten Regelung zu Brachflächen, ökologischen Vorrangflächen, haben die Agrarminister der Länder zugestimmt – auch wenn das offensichtlich schwierig war; zugestimmt ist zugestimmt –, und die GAP wurde von Ihrer früheren Landwirtschaftsministerin entworfen und ebenfalls im Bundesrat beschlossen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Da ist die CDU wohl mehrfach vertreten, und das wissen Sie. Und trotzdem stellen Sie immer wieder diese Anträge, und die wiederholen sich immer. Oder Sie wissen es eben nicht.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Insofern ist es nicht so, dass seitens der Bundesregierung keine Maßnahmen ergriffen werden; die 180 Millionen Euro sind erwähnt worden. Fehlendes wird mit Sicherheit auch noch geregelt.
Frau Mittag, bitte, jetzt letzter Satz.
Also, insofern sind wir gar nicht so schlecht unterwegs.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Ich erteile das Wort Artur Auernhammer, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7535915 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 33 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde - Mehr Lebensmittel produzieren statt Ackerflächen stilllegen |