11.05.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 33 / Tagesordnungspunkt 4

Axel MüllerCDU/CSU - Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gem. Par. 64 StGB

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Schon bei der Vorstellung des Themas, beim Vorlesen dieses TOPs, hat man gemerkt: Das, was ich Ihnen jetzt vortragen werde, ist schwere Kost, die sich nicht für politische Richtungsstreitigkeiten eignet, sondern allenfalls zum juristischen Diskurs. Aber das Thema ist wichtig, weil es zum einen um das Schicksal der Menschen geht und zum anderen um die Sicherheit der Bevölkerung.

Einer aktuellen Pressemitteilung der „Heilbronner Stimme“ war zu entnehmen, dass rechtskräftig verurteilte Straftäter aus der sogenannten Organisationshaft entlassen werden mussten, weil sie nicht in den Maßregelvollzug überführt werden konnten; denn dort waren keine Therapieplätze mehr frei. 2021 ist das in Baden-Württemberg in 35 Fällen vorgekommen, 2022 bereits 17‑mal. Aber das Problem ist – um da keinen falschen Eindruck zu erwecken – kein spezifisch baden-württembergisches, sondern ein bundesweites.

Die vermeintlich einfachste Lösung – der Aufbau von mehr Plätzen im Maßregelvollzug – hat bisher nicht gegriffen. Der Maßregelvollzug, geregelt in den §§ 64 ff. des Strafgesetzbuchs, sieht vor, dass neben einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe – man nennt das Begleitstrafe – auch die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet werden kann. Voraussetzung dafür ist, dass die verurteilte Person einen Hang hat, alkoholische Getränke oder berauschende Mittel zu sich zu nehmen, und in diesem Zusammenhang dann auch Straftaten begeht. Des Weiteren muss von dieser Person die Gefahr ausgehen, dass es aufgrund dieses Hanges auch zu weiteren gefährlichen Straftaten kommt. Die Unterbringung soll allerdings nur erfolgen, wenn bei der Behandlung eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht besteht.

Grundsätzlich soll dabei die Begleitstrafe vor der therapeutisch orientierten Maßregel vollzogen werden. Allerdings hat das Gericht bei der Vollstreckungsreihenfolge, die es wählt, zu beachten, dass der Zweck der Maßregel, wie es so schön heißt, leichter erreicht wird. Das soll dadurch geschehen, dass die Gerichte es vermeiden, dass sich an eine möglicherweise erfolgreiche Therapie eine weitere Strafvollstreckung anschließt.

Dazu haben sie bei der Festlegung der Reihenfolge und bei der Berechnung ganz konkret den Halbstrafenzeitpunkt in den Blick zu nehmen. Das ist der Zeitpunkt, zu dem frühestmöglich eine bedingte Haftentlassung vorgenommen werden kann. Der Halbstrafenzeitpunkt kommt beim normalen Strafvollzug in der Praxis so gut wie nie vor. Man ahnt, was sich jetzt daraus ergibt, nämlich besondere Verteidigungsstrategien, die darauf abzielen, insbesondere bei zu erwartenden langjährigen Begleitstrafen eine Überführung in den Maßregelvollzug zu bekommen.

Ein wesentliches Indiz dafür, dass diese Fehlanreize bestehen, ist die Tatsache, dass mittlerweile zwei Drittel der im Maßregelvollzug befindlichen Personen bei der Begehung ihrer Tat voll schuldfähig waren. Das ist eine Verdreifachung der bisherigen Zahlen. Ein eindrucksvoller Beleg, dass beim Maßregelvollzug etwas schiefläuft, sind auch die von zwölf Bundesländern erhobenen und gemeldeten Zahlen. Danach stieg die Zahl der Untergebrachten im Zeitraum von 2002 bis 2019 von 2 088 auf mehr als das Doppelte, nämlich 4 300 Personen. In der kurzen Zeit von 2017 bis 2020 gab es einen enormen Anstieg von 18 Prozent; wir sind jetzt bei fast 5 300 Unterbringungen. In der gleichen Zeit stieg die Dauer der stationären Behandlungen aber auf 18 Monate, was räumlich und personell zusätzliche Kräfte in Anspruch nimmt.

Ein erster gesetzgeberischer Eingriff im Jahre 2007 brachte, weil er nicht weit genug ging, keine wirkliche Besserung. Jetzt platzt der Maßregelvollzug wahrlich aus allen Nähten, und gefährliche Straftäter, vor denen die Allgemeinheit eigentlich geschützt werden müsste, können ihm nicht zugeführt werden und müssen, wie eingangs erwähnt, auf freien Fuß gesetzt werden.

Bund und Länder haben sich deshalb bereits 2020 zu einer Arbeitsgruppe zusammengeschlossen und haben im November 2021 einen konzertierten Gesetzesvorschlag vorgelegt. Aber auch nach fast einem halben Jahr hat es die Bundesregierung nicht geschafft, diesen Vorschlag hier einzubringen.

Im Wesentlichen gibt es drei Lösungsansätze, um die erwähnten Probleme zu lösen:

Erstens. Man muss den unbestimmten Rechtsbegriff des Hangs in § 64 präzisieren – das geschieht in unserem Entwurf –, weil dieser Hang nämlich oftmals auf der bloßen Annahme der Angaben des Angeklagten festgestellt wird und nicht weiter überprüfbar ist. Wir wollen mit unserem Gesetzentwurf den Begriff der Substanzkonsumstörung einführen, die bestimmte Begleiterscheinungen haben muss, die auch konkret festzustellen sind, um den weiten Begriff des Hangs einzuengen. Weiterhin muss die Straftat überwiegend und nicht nur als Begleittat des Hanges geschehen, und auch das muss festgestellt werden.

Zweitens. Wir verlangen, § 64 Satz 2 so umzuschreiben, dass statt der lediglich „hinreichend konkreten“ Aussicht eines Behandlungserfolgs zukünftig ein ganz konkreter, „aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte“ festzustellender und zu erwartender Behandlungserfolg bestehen muss.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Der von mir beschriebene in Wirklichkeit therapieunwillige Mehrfachtäter, der von der Rechtsprechung häufig immer noch mit dem weiteren Maßregelvollzug bedient wird, fällt damit aus dem Kreis der Personen, die in den Maßregelvollzug kommen, heraus.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Jawohl!)

Drittens. Die eingangs beschriebene Begleitstrafe, die beim Vorwegvollzug zu berücksichtigen ist, muss so ausgestaltet werden, dass eine frühestmögliche Haftentlassung nicht mehr zum Halbstrafenzeitpunkt, sondern erst zum Zweidrittelzeitpunkt der Strafverbüßung stattfinden kann; dann sind die beschriebenen Fehlanreize beseitigt. Das geschieht durch eine Änderung des § 67 Absatz 5 StGB. – Die übrigen vorgeschlagenen Gesetzesänderungen sind rein technischer Natur und dienen einer Verbesserung des Verfahrensablaufs.

Ich denke, ich habe nicht zu viel versprochen, wenn ich eingangs gesagt habe: Das ist schwere Kost und kein Tummelfeld für parteipolitischen Zwist.

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Es bedarf nunmehr einer konstruktiven, schnellen, gemeinsamen gesetzgeberischen Kraftanstrengung von Opposition und Regierung. Die bieten wir mit unserem Entwurf heute ernsthaft an.

Ich freue mich auf die folgenden Beratungen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Dr. Johannes Fechner, SPD-Fraktion, hat nun das Wort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7535931
Wahlperiode 20
Sitzung 33
Tagesordnungspunkt Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gem. Par. 64 StGB
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