11.05.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 33 / Tagesordnungspunkt 4

Heike EngelhardtSPD - Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gem. Par. 64 StGB

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren an den Bildschirmen und hier auf den Tribünen! Liebe Beschäftigte und Patientinnen und Patienten im Maßregelvollzug! Seit Jahren erleben wir übervolle Entzugskliniken. Der Ausbau weiterer Betten kann in den meisten Bundesländern nicht Schritt halten mit dem Anstieg der Zuweisungen. Es kommt zu Freilassungsentscheidungen aus der Organisationshaft – wir haben es heute mehrfach gehört – wegen überlanger Wartezeiten auf einen festen freien Therapieplatz. Woher rührt dieser Anstieg? Zum einen verwendet das bisherige Gesetz den unbestimmten Begriff des Hanges, Suchtmittel zu konsumieren. Dieser ist sehr weich ausgelegt. Vor allem stellt er nicht dar, welcher Zusammenhang zwischen diesem Hang und einer Straftat besteht. Mir scheint hier der Begriff „Abhängigkeit“ als ärztliche Diagnose besser zu passen.

Vor Gericht werden Therapieaussichten manchmal zu optimistisch eingeschätzt. Für Personen, denen eine lange Haftstrafe droht, entstehen Fehlanreize. Ihre Anwältinnen und Anwälte streben eine Unterbringung in der Entziehungsfachklinik an: Gefängnis light im „Aldi-Vollzug“. In der Szene bekannt sind die Youtube-Clips mit Anleitungen, wie man billiger wegkommt. Häufig – hier reden wir im Bundesdurchschnitt von 50 Prozent – kommt es zum Abbruch der Therapie und in diesem Zusammenhang immer wieder zu spektakulären Ausbrüchen, wenn die Rückverlegung in eine Haftanstalt ansteht. Ich habe solche Fälle 15 Jahre begleitet. Ich weiß um die Gefahren, die in solchen Situationen für die Mitpatientinnen und Mitpatienten, für die Beschäftigten und auch für die Bevölkerung entstehen. Kurz: Es kommen teilweise die Falschen. Und wenn sie da sind, dann stören sie das therapeutische Milieu und gefährden den Therapieerfolg der wirklich Suchtkranken.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Genau!)

Die Kliniken schlagen Alarm, die zuständigen Ministerien in den Ländern fordern, das Gesetz zu überarbeiten. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat dazu einen Vorschlag erarbeitet. Der ist in Teilen druckreif und steht seit Januar auf der Homepage des Ministeriums. Das Haus Buschmann – vielen Dank, Staatssekretär Strasser – hat einen Referentenentwurf angekündigt.

Und jetzt kommt die Opposition und legt einen eigenen Gesetzentwurf vor.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Machen ist besser als ankündigen, oder?)

Die Union hat einfach mal den Bund-Länder-Text abgeschrieben. Damit das nicht allzu sehr auffällt, hat sie flugs eine eigene Einleitung gebastelt. Ansonsten ist im Wesentlichen der Text der Bund-Länder-AG zu lesen. Die Anmerkung anderer Verbände, etwa der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde oder der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie, hat sie nicht berücksichtigt. Liebe Union, Sie haben einfach abgeschrieben und es sich sehr einfach gemacht. Zum Glück ist Ihr Gesetzentwurf keine Doktorarbeit. Da gebe es womöglich Plagiatsvorwürfe.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Zurufe von der CDU/CSU)

Aber immerhin: Sie schreiben unter „B. Lösung“ zutreffend selbst, es werde dem Ergebnis und den Handlungsempfehlungen der Bund-Länder-AG entsprochen.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Gesetzentwurf schreiben ist wie ankündigen, nur krasser! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Axel Müller?

Ja.

Kollegin Engelhardt, haben Sie den Gesetzentwurf durchgelesen? Wenn Sie das getan haben, dann werden Sie darin gelesen haben, dass wir mehrfach darauf hingewiesen haben, dass dieser Gesetzentwurf im Wesentlichen auf den Ergebnissen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe fußt. Und wenn Sie ihn gelesen haben – falls Sie das getan haben; das frage ich Sie jetzt mal offen –, dann werden Sie festgestellt haben, dass wir auch Verfahrensänderungen vornehmen wollen – der Kollege Ullrich hat das gerade gesagt –, beispielsweise im § 246a StPO. Davon hat die Bund-Länder-Arbeitsgruppe nichts, aber auch gar nichts gesagt.

Kollege Müller, selbstverständlich habe ich den Gesetzentwurf gelesen. Ich stelle mich nicht hierhin und rede über Dinge, die ich mir vorher nicht angeschaut habe. Ich sage ja auch: Sie haben zumindest geschrieben, Sie haben den Handlungsempfehlungen der Bund-Länder-AG entsprochen.

Eins erstaunt mich jetzt aber doch – das war meine Antwort; Sie können sich gern wieder hinsetzen;

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

aber Sie dürfen auch gern stehen bleiben; ich finde das auch toll –:

(Zuruf von der CDU/CSU: Bleib mal stehen! Vielleicht kommt noch was!)

Die Bund-Länder-AG empfiehlt nämlich, die Gerichte sollen Sachverständige nur hinzuziehen, wenn sie erwägen, die Unterbringung in der Entziehungsanstalt anzuordnen. Die Union macht daraus jetzt: Die Sachverständigen sollen nur gehört werden, wenn das Gericht die Unterbringung im Maßregelvollzug konkret erwägt.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Ist jetzt das Abschreiben oder das Abweichen das Problem?)

Und genau an diesem Begriff hat sich die Bund-Länder-Gruppe abgearbeitet und schließlich auf den Begriff „konkret“ verzichtet. Sie bringen den jetzt wieder ins Spiel; mit der Empörung aus dem Verband der niedergelassenen Gutachter müssen Sie umgehen.

Damit, dass Sie die rechtliche Stellung Suchtkranker vor Gericht schwächen würden, können wir als SPD nicht einverstanden sein; wir lehnen deshalb diesen Entwurf ab. Wir freuen uns aber auf die konstruktive Debatte, wenn demnächst hier das Papier aus dem Justizministerium auf der Tagesordnung steht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Der letzte Redner in der Debatte: Sebastian Fiedler, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7535938
Wahlperiode 20
Sitzung 33
Tagesordnungspunkt Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gem. Par. 64 StGB
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