12.05.2022 | Deutscher Bundestag / 20. EP / Session 34 / Zusatzpunkt 5

Carsten Schneider - Aktuelle Stunde - Soziale Folgen eines Ölembargos - Schutzschirm für Ostdeutschland

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren in dieser Aktuellen Stunde auf Antrag der Linksfraktion die sozialen Folgen eines möglichen Ölembargos in Ostdeutschland und die Forderung nach einem Schutzschirm für Ostdeutschland. Ich will die Gelegenheit nutzen, zum Ursprung zurückzugehen. Wir diskutieren ein Ölembargo, weil es einen russischen Angriffskrieg unter der Führung von Wladimir Putin auf den unabhängigen Staat der Ukraine gibt. Und daraus resultieren Folgen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Nun haben wir als Bundesregierung verschiedene Maßnahmen beschlossen, auch mit Unterstützung des Bundestages. Da ist zum einen die Entscheidung, die Ukraine mit Waffen zu unterstützen, um sich zu verteidigen, und zum anderen die Entscheidung, das Land aufgrund seiner Haushaltsmindereinnahmen finanziell zu unterstützen, damit es überlebensfähig bleibt. Dazu gehört die Entscheidung, dass wir gegenüber dem Aggressor Putin und der russischen Nomenklatura Sanktionen durchgesetzt haben, die auf europäischer Ebene abgestimmt sind, um das wirtschaftliche Herz Russlands zu treffen und Putin davon abzuhalten, weiter gegen die Ukraine Krieg zu führen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Diese Sanktionen waren zu Beginn personenbezogene Sanktionen – Einfrieren von Vermögen, Jachten etc.; Sie kennen das –; hinzu kam aber auch die Blockade von Projekten, die wir gemeinsam begonnen hatten, als wir von einem friedlichen Europa und einer friedlichen Zusammenarbeit mit Russland ausgehen konnten, wie zum Beispiel Nord Stream 2, die Gasleitung. Wir ergreifen diese Maßnahmen trotz unserer Abhängigkeit von Russland in der Energieversorgung. Diese Abhängigkeit ist fundamental; sie muss in eine Unabhängigkeit und Diversifizierung umgewandelt werden.

Aus diesem Grund haben wir uns gemeinsam mit den anderen europäischen Ländern entschieden, uns von Kohleimporten aus Russland unabhängig zu machen. In einem zweiten Schritt wollen wir uns von Ölimporten aus Russland unabhängig machen; das ist möglich. Dafür hat die Bundesregierung – der Bundeskanzler, der Bundeswirtschaftsminister – auf europäischer Ebene geworben. Dafür haben wir eine Fast-Einigung; es liegt nur noch an Ungarn, das sich bisher nicht dazu bereit erklären kann. Das Ziel ist, Frieden in Europa, Frieden in der Ukraine und letztendlich eine Ordnung und ein System von gleichberechtigten nationalen Staaten wiederherzustellen, die sich verteidigen können und deren territoriale Integrität vor allen Dingen gesichert ist.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Lukas Köhler [FDP])

Nur dann, lieber Kollege Bartsch, gibt es aus meiner Sicht die Chance auf eine Entspannung, was die wirtschaftlichen und sozialen Folgen betrifft.

Eins ist klar: Wir haben zurzeit eine sehr hohe Inflation. Die hohe Inflationsrate ist zum großen Teil durch erhöhte Energiepreise und steigende Nahrungsmittelpreise bedingt. Das trifft in der Tat, weil es regressiv wirkt, insbesondere die unteren und mittleren Einkommen; denn es gibt keine Ausweichmöglichkeiten. Man muss heizen; man braucht Strom in seiner Wohnung. Man kann den Verbrauch herunterfahren. Ganz viele Menschen machen das und sparen, wo es nur geht. Aber irgendwann ist eben auch Schluss. Die Nahrungsmittelpreise steigen überproportional; auch da kann niemand großartig sparen, insbesondere nicht diejenigen, die sich sowieso kein Biofleisch oder Biolebensmittel leisten konnten, sondern das gekauft haben, was im Discounter sehr günstig war.

Ich möchte auf zwei Punkte eingehen. Zunächst auf die Frage der Ölversorgung und der ostdeutschen Raffinerien und in einem zweiten Teil auf die möglichen Entlastungswirkungen. Aus meiner Sicht ist nichts zu tun keine politische Handlungsoption.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nichts zu tun, würde bedeuten: Wir sehen dabei zu, wie sich Russland immer weiter in die Ukraine hineinfrisst, sich den Südosten der Ukraine einverleibt. Herr Putin mag politische Ziele im Kopf haben. Unser Ziel muss sein, ihn zurückzudrängen und die Existenz der Ukraine als unabhängigen nationalen Staat zu sichern, sodass normales wirtschaftliches Geschehen wieder möglich ist und vor allen Dingen Frieden herrscht.

Zu den sozialen Ausgleichsleistungen. Darüber wird heute im Bundestag diskutiert, und entsprechende Maßnahmen werden auch beschlossen. Vor allen Dingen geht es dabei nicht um Kleckerbeträge, sondern um 30 Milliarden Euro. Wir nehmen 30 Milliarden Euro für verschiedene Leistungen in die Hand: das Senken der Energiesteuer beim Tanken, 100 Euro Kinderbonus – er wird nicht auf Transferleistungen für Kinder und Jugendliche angerechnet –, die Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer etc., und insbesondere der Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger. All das führt dazu, dass wir wahrscheinlich 70 bis 80 Prozent der höheren Kosten in diesem Bereich kompensieren können.

(Zuruf des Abg. Karsten Hilse [AfD])

Dazu kommen noch Zuschüsse insbesondere für Unternehmen, die von den hohen Energiepreisen, den hohen Preisen für Gas, besonders betroffen sind.

(Karsten Hilse [AfD]: 70, 80 Prozent!)

Das alles wird in diesem Jahr dazu führen, dass wir die Mehrbelastung zum großen Teil kompensieren können. Wir können sie aber nicht gänzlich ausschließen. Ich glaube, das wäre auch eine Überforderung des Staates.

Zum Zweiten: zur Ölversorgung. Warum unterstützen wir ein Ölembargo? Weil wir beim Gas so abhängig sind. Man muss das hier so deutlich sagen: Es war ein Fehler der letzten Bundesregierung, dass wir uns so abhängig gemacht haben von den Gaslieferungen Russlands, dass wir Stand heute nicht sagen können: Wir können darauf verzichten. – Würden wir das tun, würde das die deutsche Volkswirtschaft in eine sehr, sehr schwierige Lage bringen. Ich denke insbesondere an die Grundstoffindustrie, aber auch an die Glasindustrie zum Beispiel bei mir in Thüringen. Einmal abgeschaltet, ist so eine Wanne nie wieder anschaltbar, und die Arbeitsplätze sind weg. Das kann nicht unser Ziel sein. Das würde uns schwerer schaden als Wladimir Putin und seinem Russland. Und aus diesem Grunde schließen wir das aus.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Neben russischer Kohle werden wir nun außerdem auf russisches Öl verzichten. Russisches Öl wird von zwei Raffinerien in Ostdeutschland bezogen und weiterverarbeitet. Eine davon ist die Raffinerie Leuna. Ich habe mir vor einigen Wochen vom Chemiepark Leuna mit etwa 15 000 Arbeitsplätzen vor Ort ein Bild machen können. Die Raffinerie gehört Total, einem französischen Unternehmen. Dieser Eigentümer hat angesichts des Angriffskriegs Russlands bereits entschieden, dass er auf russisches Öl zum Ende des Jahres verzichten wird. Die Ersatzlieferungen kommen über die Pipeline aus Danzig. Ich danke der polnischen Regierung für die Zusammenarbeit an dieser Stelle. Da zeigt sich, dass Europa zusammensteht. Die Auslastung ist gesichert, sodass auch der Chemiestandort gesichert werden kann, auch wenn das Volumen insgesamt geringer sein wird.

Die zweite Raffinerie ist die PCK Schwedt, ein Unternehmen, das zum größeren Teil Rosneft gehört, zum kleineren Teil noch Shell. Dieses Unternehmen raffiniert Öl aus der Druschba-Pipeline aus Russland. Es ist vollkommen darauf angewiesen, von dort versorgt zu werden. Es versorgt insbesondere die Flughäfen Leipzig/Halle und Berlin Brandenburg und stellt den Kraftstoff her für Berlin, Brandenburg und in Teilen für Mecklenburg-Vorpommern.

Ich selbst habe gemeinsam mit dem Kollegen Zierke vorige Woche Mittwoch das Gespräch mit den Beschäftigten, mit den Betriebsräten, mit den Bürgerinnen und Bürgern in Schwedt gesucht, weil ich klarmachen wollte, dass eine politische Entscheidung dieser Bundesregierung auch eine politische Verantwortung nach sich zieht. Diese politische Verantwortung bezieht sich nicht nur darauf, dass wir dafür sorgen werden, den Standort Schwedt mit einer neuen Eigentümerstruktur – da liegen alle Optionen auf dem Tisch, auch gegenüber der EU-Kommission – zu erhalten und ihn durch Importe, zum Teil über die Leitung von Danzig – Kollege Kellner wird darauf noch eingehen –, aber auch über den Hafen Rostock, zu versorgen. Das wird eine Mindestsicherung mit sich bringen und dafür sorgen, dass wir die Raffinerie in Schwedt weiterhin in Betrieb halten können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf des Abg. Karsten Hilse [AfD])

Mir ist es wichtig, den Beschäftigten und der ganzen Region, die wirtschaftlich eine gebeutelte Region ist, klar zu sagen, dass diese Bundesregierung zu Schwedt, zur PCK mit einer neuen Eigentümerstruktur steht und dass wir die Arbeitsplätze an diesem Standort nicht nur erhalten wollen, sondern jetzt die Chance nutzen wollen, den Standort auch weiterzuentwickeln und zu transformieren. Dafür gibt es sehr, sehr gute Chancen, weil es ein großes Spektrum ist, das zusätzlich zur Verfügung steht, insbesondere im Bereich Wasserstoff und anderen Technologien, auch Biofuels. Er hat beste Bedingungen, zu prosperieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aus diesem Grund hoffe ich sehr, dass die ausgestreckte Hand, die wir als Bundesregierung reichen, angenommen wird – so habe ich das in Schwedt auch wahrgenommen –,

(Hannes Gnauck [AfD]: Ach ja?)

und dass es uns gelingt, uns unabhängig zu machen von der Versorgung aus Russland, die russische Aggression zurückzudrängen und eine entsprechende Perspektive für gute Arbeitsplätze im Rahmen der Energiewende in Schwedt zu haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Vielen Dank, Herr Staatsminister. Das war zeitlich hart an der Grenze. – Nächster Redner ist der Kollege Sepp Müller, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

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