Ralf StegnerSPD - Nationale sicherheitspolitische Gesamtstrategie
Sehr geehrter Herr Präsident, Ihr jugendliches Alter produziert sehr viel Altersweisheit; das muss ich zugeben.
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ausgerechnet jetzt, während Putins brutaler Angriffskrieg mitten in Europa wütet und sich eine große Staatengemeinschaft an die Seite der Ukraine stellt, ausgerechnet jetzt kommt die AfD mit einer sicherheitspolitischen Gesamtstrategie daher. Sicher ist daran nur: Sie haben nichts, aber auch gar nichts aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts gelernt. Ihr deutschnationaler Antrag besteht aus Anti-Multilateralismus,
(Stephan Brandner [AfD]: Oijoijoi!)
der üblichen Hetze gegen eine humanitäre Flüchtlingspolitik und der ranzigen Deutschtümelei ihrer unseligen Vorgängerparteien.
(Zuruf von der AfD: Bingo! – Stephan Brandner [AfD]: Herr Stegner, Sie sind im Deutschen Bundestag und nicht bei der SPD-Ortsgruppe!)
Von Freunden autoritärer Regime, Feinden unserer Pressefreiheit, die bereitwillig Propagandalügen und Verschwörungstheorien verbreiten, brauchen wir nun wirklich keinerlei Empfehlung für unsere Politik, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Stephan Brandner [AfD]: Ich sage doch: eher hysterisch als historisch!)
Ihrem Antrag fehlt auch deswegen jede Seriosität, weil Sie zu Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine als einzige Fraktion in diesem Hause keine klare Position haben. Ausgerechnet Sie fordern in Ihrem Antrag eine ideologiefreie Außen- und Sicherheitspolitik. Das ist doch blanker Hohn, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Es lässt schon tief blicken, dass das Putin-Regime immer wieder die Rechtsextremisten in den westlichen Demokratien politisch und finanziell als Brüder im Geiste unterstützt:
(Stephan Brandner [AfD]: Herrn Steinmeier zum Beispiel! – Weiterer Zuruf von der AfD: Herr Schröder! – Stephan Brandner [AfD]: Steinmeier und Schröder meinen Sie jetzt!)
russische Kredite für Marine Le Pens Rassemblement National, die Gott sei Dank trotzdem gegen Emmanuel Macron verloren hat,
(Zuruf von der AfD: Wir diskutieren hier einen Antrag!)
Einflusskampagnen aus Moskau bei den US-Wahlen 2016 zugunsten des Rechtspopulisten und Kapitolstürmers Donald Trump. Ihre Leute fahren zu fragwürdigen Konferenzen auf die Krim, und Ihre rechtsradikale Parteijugend wird mit Rubel bezahlt.
(Marc Bernhard [AfD]: Ihr Ex-Kanzler Schröder kooperiert mit diesen, wird von denen direkt bezahlt! Was für eine Schweinerei ist das denn?)
Genau dieser Schulterschluss der Rechten mit den Diktatoren dieser Welt ist ein Sicherheitsrisiko für unsere Demokratie. Wir wollen keine illiberale Demokratie, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Bundeskanzler Olaf Scholz hat in seiner Zeitenwende-Rede die Neuorientierung unserer Sicherheitspolitik angekündigt.
(Marc Bernhard [AfD]: Sie haben die Energieabhängigkeit von Russland verursacht!)
– Sie müssen nicht lärmen, nur weil Sie keine Inhalte haben.
(Marc Bernhard [AfD]: Ihre Politik hat das verursacht!)
Der Krieg mitten in Europa, erschütternde Kriegsverbrechen an der ukrainischen Zivilbevölkerung, der überwunden geglaubte Imperialismus –
Herr Kollege Stegner, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brandner?
– von Rechtsradikalen lasse ich nie Zwischenfragen zu –,
(Beifall bei der SPD – Stephan Brandner [AfD]: Das war ein ganz klares Ja damit!)
der Grenzen verschieben will, all das zeigt: Der Kanzler hat recht.
Als abrüstungspolitischer Sprecher meiner Fraktion fällt es mir nicht leicht, dass wir neben der politischen, finanziellen und humanitären Hilfe für die Ukraine auch Waffen in ein Kriegsgebiet liefern. Am Ende wird allerdings eine politische Lösung stehen müssen, weil die Endlosspirale von immer mehr und immer schwereren Waffen keine Lösung ist. Aber auch die deutliche Erhöhung des Wehretats ist richtig, weil damit eine angemessene Ausrüstung unserer Parlamentsarmee bewirkt wird und es nicht um Aufrüstung gehen darf.
Es ist richtig, was wir hier zur Unterstützung der Ukraine beschlossen haben, und es ist auch richtig, dass wir das gemeinsam mit der größten Oppositionsfraktion gemacht haben. Gerade deshalb allerdings sollten Sie von der Union aufhören, die Friedens- und Ostpolitik von Willy Brandt, Walter Scheel, Egon Bahr und Helmut Schmidt zu diskreditieren. Sie trug nämlich dazu bei, den Kalten Krieg zu beenden und für große Teile Europas Demokratie zurückzugewinnen.
(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Sagen Sie was zu Gerhard Schröder!)
Dass die Folgen der deutschen Katastrophe des 20. Jahrhunderts überwunden wurden, lag an diesen Weichenstellungen,
(Florian Hahn [CDU/CSU]: Schröder!)
dem Einsatz mutiger Bürgerrechtler in der untergehenden DDR
(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ist Gerhard Schröder eigentlich noch in der SPD?)
und der politischen Führung von George Bush senior bis Michail Gorbatschow. Das sollten wir niemals vergessen – bei allem, was es an Irrtümern und Fehlern gegeben haben mag.
(Beifall bei der SPD)
Der Herr Oppositionsführer sollte sich schon den Versuch verkneifen, bei dem Sondervermögen für die Bundeswehr aus Parteitaktik frei gewählte Abgeordnete in ihren Rechten aus Artikel 38 des Grundgesetzes zu beschneiden. Herr Merz hat natürlich auch jedes Recht, zu reisen. Reisen soll ja bilden. Dass allerdings sein Druck, wie gesagt wird, angeblich etwas bewirkt haben soll, das kommt eher aus der Abteilung Einbildung, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Diese Pose unterstreicht, warum es gut ist, dass der Bundeskanzler Olaf Scholz heißt und Herr Merz Oppositionsführer ist.
Auch unsere Außenministerin Annalena Baerbock hat gerade in Kiew und insbesondere am Ort des Schreckens, in Butscha, gezeigt,
(Dr. Gottfried Curio [AfD]: Sprechen Sie zum Thema!)
wie unsere verantwortliche, wertegeleitete und realistische Außenpolitik aussieht. Danke dafür!
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Trotz der Schmährufe aus der Opposition und wenigen verzichtbaren Fußnoten aus anderer Richtung ist es doch gerade die Besonnenheit von Olaf Scholz, die die Menschen von ihrem Bundeskanzler erwarten, wenn es um Fragen von Krieg und Frieden geht, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Wir handeln gemeinsam in der Ampelkoalition, und wir handeln gemeinsam mit unseren Verbündeten insbesondere in Washington und Paris. Wenn man sich manche Presseartikel und Äußerungen aus der Union anschaut, könnte man meinen, das 16 Jahre lang unionsgeführte Verteidigungsministerium hätte unter dem Einfluss der Jusos und nicht unter dem Einfluss von Rüstungskonzernen und überteuerten Beraterfirmen gestanden. Es fehlt nur noch, dass die Parteihistoriker bei Ihnen im Archiv des Konrad-Adenauer-Hauses das SPD-Parteibuch von Angela Merkel finden. Ich wäre allerdings vorsichtig, wenn Sie es dem „Stern“ zur Veröffentlichung anbieten wollen.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Was soll das denn jetzt? – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das Thema ist zu wichtig für Polemik! – Stephan Brandner [AfD]: Lustig!)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich finde, trotz wichtiger Landtagswahlen wäre es auch sinnvoll, sich zur Verantwortung zu bekennen, die wir gemeinsam hatten, sowohl in Berlin als auch in Schwerin.
(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Es ist peinlich, was sie hier abliefern!)
Es ist hier nämlich manchmal wirklich so, dass auf einen Bessermacher zehn Besserwisser kommen.
Ich füge hinzu: Wenn wir heute eine Debatte haben über Gut und Böse, moralisch und unmoralisch, Putin-Freund oder Kriegshetzer, so dient das der politischen Kultur nicht, auch nicht, wenn Journalisten und Wissenschaftler Kombattanten in den Social Media werden. Jürgen Habermas hat völlig recht: Schwarz-weiß ist keine gute Basis, um in unserer Gesellschaft eine neue sicherheitspolitische Grundsatzdebatte zu führen.
(Beifall bei der SPD)
Gar keine Basis dafür ist dieser gefährliche AfD-Antrag, den wir selbstverständlich ablehnen.
(Zuruf des Abg. Jürgen Hardt [CDU/CSU])
Wir brauchen nämlich mehr Europa und nicht weniger. Nationalismus brauchen wir so nötig wie einen Kropf, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Es ist ja schwer, zu AfD-Anträgen zu reden, weil da meist nur Unsinn drinsteht.
(Daniel Föst [FDP]: Wieso „meistens“? Immer!)
Aber gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung. Die Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein haben am letzten Sonntag – bei all dem, was mir an dem Ergebnis weniger gefällt – einen beachtlichen Beitrag zur Sicherheit und zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung geleistet: Sie haben Ihre Kameraden von rechts außen aus dem Landtag entfernt, meine sehr verehrten Damen und Herren. Mögen NRW und andere Länder folgen und die Rechtsradikalen auch aus diesem Haus der Demokratie endlich wieder verschwinden! Dann wird Deutschland sicherer sein, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Stegner. – Es war historisch, weil wir beide über zehn Jahre das Vergnügen im Schleswig-Holsteinischen Landtag miteinander hatten. Deshalb war das heute historisch.
Herr Kollege Brandner hat um eine Kurzintervention gebeten, die ich zulasse.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7536326 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 35 |
Tagesordnungspunkt | Nationale sicherheitspolitische Gesamtstrategie |