13.05.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 35 / Zusatzpunkt 10

Johannes ArltSPD - Nationale sicherheitspolitische Gesamtstrategie

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Kollegin Spellerberg, bevor ich in meine Rede einsteige, für ihre engagierte Rede danken. Was die AfD-Fraktion hier gemacht hat, wie sie sie gestört hat, versucht hat, sie an der Wahrnehmung ihres Rederechts zu hindern, war unterirdisch. So sollten wir in diesem Hohen Haus nicht miteinander diskutieren!

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN – Zuruf von der AfD: Was macht der Herr Weingarten? Schauen Sie mal in Ihre eigene Fraktion!)

Nun aber zum Antrag. Wir brauchen eine umfassende Strategie zum Schutz unserer Bürger im Ausland und im Inland, eine Strategie, die die Rolle von Deutschland in der Welt beschreibt. Darin sind wir uns alle einig. Wirklich Zählbares – inhaltlich, im qualitativen Sinne – enthält der Antrag der AfD-Fraktion dazu leider nicht. Denn Sie machen nicht, was wir von einer seriösen Oppositionspartei eigentlich erwarten dürften: Sie bieten keine Lösung an, sondern verbinden nur bekannte AfD-Narrative.

Das Gute an Ihrem Antrag ist, dass ich die Gelegenheit habe, jetzt darzustellen, wie Aspekte einer solchen Sicherheitsstrategie aussehen könnten, und durch die verteidigungspolitische Brille vielleicht auch einen Ansatz für eine Lösung einiger Fragen anbieten kann.

(Hannes Gnauck [AfD]: Na dann!)

Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist die Situation in Europa: die Bedrohung demokratischer und liberaler Werte, eine immer offener ausgetragene Systemkonkurrenz zwischen demokratischen und autokratischen Systemen. Dies stellt erhöhte Anforderungen an unsere Entscheidungsqualität und an das Entscheidungstempo. Dazu kommen Herausforderungen wie Klimawandel, Migration und demografischer Wandel.

Wozu brauchen wir also eine nationale Sicherheitsstrategie? Eine gute Sicherheitsstrategie ist ein Kompass in unsicheren Zeiten, und zwar nach innen und nach außen. Sie erklärt und bestimmt unseren Standpunkt, ohne Panik zu machen, erklärt Grundannahmen für Bürger und Alliierte in einfacher Weise, den Sinn und den Zweck von Streitkräften, unseren Blick auf die Welt, legt Kriterien für ein sicherheitspolitisches Engagement außerhalb der Landes- und Bündnisgrenzen fest, aber auch für unsere Sicherheit nach innen. Wichtige Fragen können also sein: Welche Bedeutung haben die Sicherheit und die Gesundheit unserer Bürger in Krise und Krieg, und wie stellen wir das sicher? Wie wollen wir das erreichen? Es geht also um einen langfristigen strategischen Ansatz.

Was muss eine Sicherheitsstrategie als Kompass leisten? Viele Kollegen haben es erwähnt: Wir müssen das ganzheitlich denken. Wolfgang Ischinger hat im letzten Jahr gesagt, er würde die Energie- und die Gesundheitspolitik in eine solche Strategie inkludieren. Aber auch die Bemerkung von Kollegen Kiesewetter, dass wir Finanzpolitik, Sozial- und Wirtschaftspolitik integrieren und inkludieren müssen, ist richtig. Dokumente wie die Leitlinie zur Krisenprävention, das Weißbuch und die Rahmenrichtlinie Gesamtverteidigung müssen im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung in dieser Strategie zusammengeführt werden. Es geht um nicht weniger als ein Fundament und die Vorstellung einer deutschen Sicherheitsarchitektur in Europa. Alle Dimensionen von Sicherheit müssen zusammengedacht werden, und zwar über die Amtsperiode einer Regierung oder eine Wahlperiode hinaus und mit einem größtmöglichen politischen Konsens in diesem Haus.

Wie können also nationale Ziele in einer solchen Sicherheitsstrategie aussehen? Ich denke, es ist sehr wichtig, dass wir den Mut haben, diese Ziele zu benennen und selbst zu erkennen, um Profil und Grenzen unseres Handelns zu definieren, um Herausforderungen in einem geeinten Europa zu bewältigen.

Ziele könnten sein: Schutz von Leben, Sicherheit und Gesundheit der Einwohner Deutschlands, Verteidigung der territorialen Integrität, Souveränität und Selbstbestimmung unter allen Umständen, aber auch der Versorgungssicherheit, der Schutz gesellschaftskritischer Funktionen, die Aufrechterhaltung unserer demokratischen Ordnung, des Rechtsstaates, der Grund- und der Menschenrechte. Nicht zuletzt geht es darum, Stabilität und Sicherheit in Europa mit unseren Partnern zu organisieren und zu garantieren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Wie könnten verteidigungspolitische Elemente einer Sicherheitsvorsorge in einer nationalen Sicherheitsstrategie aussehen? Wir müssen mehr Europa wagen. Wir brauchen konkrete Maßnahmen zum Ausbau einer engeren europäischen Zusammenarbeit unter Rückstellung nationaler Egoismen im Bereich der GSVP. Wir brauchen vermehrte gemeinsame Rüstungsprojekte über den European Defence Fund,

(Jan Ralf Nolte [AfD]: Reden Sie doch mal zur Sache!)

smarte Beschaffung, gemeinsame Bestellungen mit Pooling sowie mittelfristig eine gemeinsame europäische Rüstungsexportstrategie. Nur sie kann zum Ziel führen, dass wir die Verteidigung Europas im Geiste des Vertrages von Lissabon organisieren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Das sollte er mal Frau Lambrecht sagen!)

Wir müssen mehr gesellschaftliche Verantwortung und Verankerung wagen. Der Bundeskanzler hat heute Morgen im Verteidigungsausschuss dargestellt, wie die ukrainischen Bürgerinnen und Bürger ihr Land verteidigen. Sie schaffen das natürlich nur mit Hilfe von außen. Aber sie haben auch einen entsprechenden Verteidigungswillen. Und einen solchen Verteidigungswillen müssen wir auch in unserem Land noch stärker verankern.

(Beifall des Abg. Roderich Kiesewetter [CDU/CSU] – Hannes Gnauck [AfD]: Das hört sich ja ganz nach AfD-Positionen an!)

Wir brauchen ein integriertes System der Gesamtverteidigung über alle Ebenen und mit klarer Kompetenzverteilung, das Katastrophenschutz und Zivilverteidigung über alle Politikfelder – von Bildungspolitik bis zu Kommunikation und Schutzbauten – wie in einem Ikea-Bausatz integriert, und die Einbeziehung der Rolle der Wirtschaft, der Rolle gesellschaftlicher Organisationen und der Zivilgesellschaft in diese Prozesse. Wir müssen auch darüber nachdenken, in welcher Organisationsform wir das dann machen wollen.

Wir müssen mehr Innovation wagen. Wir müssen wegkommen von unbeweglichen, verinstitutionalisierten komplexen Systemlandschaften, hin zu agilen und krisentauglichen Strukturen

(Hannes Gnauck [AfD]: Schade, dass von Ihnen nur Phrasen kommen, Herr Arlt!)

mit der Fähigkeit, sich schnell anzupassen und destruktive Technologien in unsere Streitkräfte zu integrieren. Militärische Entwicklung darf da auch Technologietreiber sein.

Es bleibt festzustellen: Für ein nationales Sicherheitskonzept benötigte konkrete Antworten oder zumindest Ideen gibt Ihr Antrag nicht her. Die Debatte um einen Sicherheitsrat als zentrales Steuerelement wird Teil dieser Sicherheitsstrategie sein.

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.

Ja. – Aber eine Strukturdebatte kann eine Diskussion über Ziele und Mittel nicht ersetzen.

(Hannes Gnauck [AfD]: Nichts haben Sie zu unserem Antrag gesagt!)

Ich wünsche mir für die Debatte, dass wir auf unsere Nachbarländer schauen, ein kompaktes Dokument in klarer Sprache formulieren, damit wirklich jede und jeder unseren Kompass, unseren strategischen Ansatz versteht. Ein Blick auf die Strategie Dänemarks und Schwedens gäbe da einen guten Hinweis.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Als letzter Redner in dieser Debatte erhält das Wort für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. Volker Ullrich.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7536333
Wahlperiode 20
Sitzung 35
Tagesordnungspunkt Nationale sicherheitspolitische Gesamtstrategie
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