Jana SchimkeCDU/CSU - Änderung des SGB II (Aussetzung der Sanktionen)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mir blutet das Herz, wenn ich sehe, was Sie aus unserem Sozialstaat machen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der AfD – Lachen bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Sie sind im Begriff – und das sage ich als CDU/CSU-Abgeordnete, die das damals nicht mit beschlossen hat –, eine der größten und erfolgreichsten Sozialstaatsreformen abzuschaffen bzw. abzuwickeln, eine, die sich als ausgesprochen erfolgreich herausgestellt hat.
(Jens Teutrine [FDP]: Modernisierung!)
Sie haben damals mit den Reformen der Agenda 2010 dafür gesorgt, dass Bedürftige, dass Arbeitslose, dass Langzeitarbeitslose endlich aus der Sozialhilfe herausgekommen sind und dann in das Prinzip des Forderns und Förderns überführt wurden. Und was machen Sie jetzt? Sie sagen: Na ja, wir fördern und wir fordern ja auch irgendwie weiter. – Aber so ein bisschen Weiterbildung ist eben nicht das, was darunter zu verstehen ist.
Meine Damen und Herren, man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: Wenn jemand trotz einer schriftlichen Belehrung seiner Pflicht nicht nachkommt, wenn jemand sich weigert, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen, oder wenn jemand sich weigert, Maßnahmen, die durch die Jobcenter angeordnet sind, anzutreten, dann wird er dafür künftig nicht mehr sanktioniert. Meine Damen und Herren, was tun wir? Wir reden eigentlich nur noch über Rechte, aber nicht mehr über Pflichten in diesem Land.
(Beifall bei der CDU/CSU und der AfD)
Was ist das denn bitte für ein Argument, zu sagen, es sind doch nur wenige, die sich nicht an die Regeln halten, und deswegen brauchen wir keine Sanktionen mehr? Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir schaffen doch auch nicht das Strafrecht ab, nur weil es vielleicht wenige sind, die sich nicht an Recht und Gesetz in Deutschland halten.
(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Takis Mehmet Ali [SPD]: Was ist denn das für ein Vergleich?)
Das ist doch keine Herangehensweise. Unsere Jobcenter vor Ort brauchen Sanktionen. Sie brauchen es auch als Ultima Ratio.
(Bernd Rützel [SPD]: Gibt es weiterhin! – Weitere Zurufe von der SPD)
Denn wenn wir sie nicht mehr haben, wird sich niemand mehr dazu bereit und im Stande sehen, etwas dafür zu tun.
(Takis Mehmet Ali [SPD]: Das ist das Menschenbild der Union!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Ampel, was sagen Sie denn den Hunderttausend Beschäftigten in den Jobcentern und Agenturen dieses Landes, die sich täglich wirklich viel, viel Mühe geben, den Menschen zu helfen, die sie an die Hand nehmen, die sie darin unterstützen, ihr Leben wieder auf die Reihe zu kriegen? Was sagen Sie denen, wenn die künftig nur noch ein bisschen telefonieren und ein paar Termine machen können, und ansonsten war es das?
(Jens Peick [SPD]: Sie unterschätzen die Mitarbeiter!)
Ansonsten kann man nichts mehr machen. Ansonsten hat man keine Handhabe mehr, die Menschen wirklich in Arbeit zu bringen und am Ende auch etwas für das einzufordern, was sie bekommen. Wir halten das für falsch, und deswegen lehnen wir diese Idee auch ab.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD – Zurufe von der SPD)
Was sagen Sie den vielen Steuerpflichtigen in Deutschland? Was sagen Sie den Menschen, die mit ihren Beiträgen, die mit ihren Steuern dazu beitragen, dass dieses System, dass dieser Sozialstaat am Laufen gehalten werden kann?
(Jens Teutrine [FDP]: Die freuen sich über jeden, der aus Hartz IV herauskommt!)
Erlauben Sie noch eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?
Selbstverständlich.
Das ist sehr freundlich von Ihnen. Danke, Frau Präsidentin. Danke, Frau Schimke. – Sie haben gerade die Mitarbeitenden in den Jobcentern angesprochen. Ich darf Ihnen hier zur Kenntnis geben und mitteilen, dass ich viel in Nordrhein-Westfalen unterwegs bin und mit Leitern
(Dr. Götz Frömming [AfD]: … und Leiterinnen!)
und Beschäftigten von Jobcentern rede. An bestimmten Punkten gibt es da auch eine etwas andere Auffassung als in meiner Partei. Aber grundsätzlich: Der Geschäftsführer des Jobcenters Münster – es liegt in einer Optionskommune; er ist CDU-Mitglied – ist stolz darauf, dass sein Jobcenter zu den Jobcentern mit den wenigsten Sanktionen bundesweit zählt,
(Zuruf von der CDU/CSU: Das heißt ja nicht, dass man sie deshalb gleich abschaffen muss!)
und sagt: Wir arbeiten praktisch gar nicht mit Sanktionen.
In meiner Heimatstadt, in Dortmund, wo mein Wahlkreis ist, ist die Leiterin des Jobcenters sehr angetan von den Plänen, die die Ampel in Bezug auf das Bürgergeld hat, und von dem kooperativen, ermutigenden und unterstützenden Ansatz und möchte gerne als Zielvision dahin kommen, ein so gutes Angebot zu haben, dass keine Sanktionen mehr nötig sind.
(Martin Reichardt [AfD]: Das ist doch kein Argument dafür, die wegzulassen!)
Ich finde, dass man diese Realität in den Jobcentern durchaus zur Kenntnis nehmen sollte.
Danke.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Vielen Dank, Herr Kurth, für Ihre Zwischenfrage. – Nur weil ein Jobcenter wegen seiner guten Arbeit möglicherweise keine Sanktionen mehr anwenden muss, heißt das nicht, dass es Sinn macht, diese als Ultima Ratio abzuschaffen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)
Der Mensch ist, wie er ist. Und wir als Politiker haben auch eine Verantwortung den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern in diesem Land gegenüber. Wir müssen uns dafür rechtfertigen, was wir täglich tun. Dazu zählt in der Tat natürlich, nicht nur zu sagen: „Ich gebe dir Unterstützung“, sondern auch: „Ich fordere auch etwas dafür ein. Und wenn du dieser Aufforderung nicht nachkommst, habe ich das Recht, das zu sanktionieren.“
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gehen Sie doch einmal auf den Gedanken des Kollegen ein!)
Es geht um eine Ultima Ratio. Sie schaffen das ab. Sie wollen das abschaffen. Sie schaffen damit den Anreiz, sich eben nicht mehr an dieses Prinzip des Forderns und Förderns zu halten; und das können wir nicht unterstützen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD – Jens Teutrine [FDP]: Das sieht die „WirtschaftsWoche“ anders!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Ende und möchte noch einmal festhalten, dass ich in diesem Vorschlag, der uns hier vorliegt, tatsächlich eine Spaltung unserer Gesellschaft sehe. Bisher hat sich unsere Solidargemeinschaft wirklich sehr gut verhalten und ist sehr gut miteinander umgegangen; ich befürchte, dass das künftig nicht mehr der Fall sein wird, weil diejenigen, die dafür aufkommen, eben keine entsprechende Gegenleistung mehr bekommen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Es folgt für Bündnis 90/Die Grünen der Abgeordnete Frank Bsirske.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7536349 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 35 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des SGB II (Aussetzung der Sanktionen) |