13.05.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 35 / Zusatzpunkt 11

Tim KlüssendorfSPD - Ermäßigter Mehrwertsteuersatz in der Gastronomie

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal sind wir in der Feststellung gar nicht weit auseinander, Frau Karliczek.

(Michael Donth [CDU/CSU]: Ah! Zustimmung! – Anja Karliczek [CDU/CSU]: Sehr schön! Zustimmung!)

Die Situation in der Gastronomie ist immer noch sehr ernst. Wir wissen darum, wir wissen um die Umsatzeinbrüche; auf die werde ich gleich noch eingehen. Deswegen finde ich es auch vollkommen okay, dass wir uns heute mit diesem Thema befassen, auch wenn ich am Ende begründen werde, warum wir Ihren Antrag selbstverständlich trotzdem ablehnen werden.

(Mechthilde Wittmann [CDU/CSU]: Selbstverständlich ablehnen! – Michael Donth [CDU/CSU]: Och!)

Zahlen und Fakten zur Verdeutlichung und vielleicht auch, um zu unterstreichen, dass wir tatsächlich um die Bedrohung dieser Branche wissen: Der Umsatz in der Pandemie ist um die Hälfte eingebrochen. Die Beschäftigten, die noch vor der Coronapandemie in der Branche gearbeitet haben, sind tatsächlich zu 20 Prozent nicht mehr da. Bei den Beschäftigten, die in der Ausschankindustrie beschäftigt waren, sind zu 40 Prozent nicht mehr da. Das ist schon eine enorme Herausforderung für diese Branche.

Was besonders wichtig ist – Sie haben von Mittelstand gesprochen –: Es sind vielmehr die kleinen Unternehmen, die davon betroffen sind. Denn 70 Prozent der 230 000 Unternehmen in Deutschland haben weniger als zehn Beschäftigte, sehr häufig inhabergeführt. Sie stehen vor großen Herausforderungen. Das sind also keine großen Konzerne. Und nicht selten sind es Lebensträume, die hinter der eigenen Gastronomie stecken. Wir wissen also um die Situation; sie ist existenzbedrohend.

Was haben wir gemacht? Das ist vielleicht auch wichtig zu betonen: Wir haben enorme Summen durch Hilfsprogramme auch in diese Branche gesteckt, nicht nur die Soforthilfen, Überbrückungshilfen, das Kurzarbeitergeld. Fast eine halbe Million von Beschäftigten allein in dieser Branche waren in Kurzarbeit. Das sind Erfolge der vergangenen Bundesregierung und dieser Bundesregierung, die nicht geringgeschätzt werden dürfen. Sie zeigen, dass wir die Sorgen ernst nehmen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Was mir aber ein bisschen zu kurz kommt – das habe ich auch aus meiner persönlichen Erfahrung mit vielen Gastronominnen und Gastronomen mitgenommen –, ist, dass ihr Anteil so ein bisschen kleingeredet wird. Es wird immer so getan, als ob wir beschützen können, etwas tun können. Aber die Gastronominnen und Gastronomen haben selber auch eine ganze Menge in der Pandemie gemacht. Wer das mitverfolgt hat: kreative Lösungen, neue Veranstaltungsformate, Außengastronomie neu erschlossen mit hohen Investitionen, Hygienekonzepte, Bürokratie mit den Gesundheitsämtern, Listen, Onlinelösungen; alles Mögliche wurde in die Wege geleitet. Auch da lohnt es sich, an dieser Stelle einfach auch noch mal Lob und Anerkennung dieser Branche dafür auszusprechen, was in der Krise alles getan worden ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Anja Karliczek [CDU/CSU] und Thomas Lutze [DIE LINKE])

Was wir auch getan haben, war, im Sommer 2020 – und jetzt komme ich zu Ihrem Antrag im Detail – die Umsatzsteuer von 19 Prozent auf 7 Prozent, auf den reduzierten Satz, abzusenken. Das war eine temporäre und gezielte Maßnahme, um ganz gezielt auch die Nachfrage zu stärken, um diese Branche zu unterstützen und um die Folgen der Pandemie abzufedern. Diese Maßnahme hat Erfolg gezeigt. Es ist nachgewiesenermaßen so, dass die Nachfrage noch viel geringer gewesen wäre, hätten wir diese Maßnahme nicht vollzogen. Also auch eine erfolgreiche Maßnahme unseres damaligen Bundesfinanzministers, unseres heutigen Bundeskanzlers Olaf Scholz.

(Beifall bei der SPD)

Man muss allerdings auch dazusagen, dass das Volumen dieser Maßnahme keinen triviales ist.

(Nina Warken [CDU/CSU]: Wollen Sie das jetzt beenden, oder was?)

Das sind ungefähr 3 Milliarden Euro im Jahr, die berechnet wurden; das ist Platz drei aller Steuervergünstigungen, die wir überhaupt zurzeit vornehmen. Deswegen muss man sich natürlich schon die Frage stellen: Wie gehen wir weiter um mit dieser Frage?

Die Herausforderungen bleiben, wie anfangs schon dargestellt, aber es ist wichtig, dass eine Klärung stattfindet: Wie finanzieren wir eigentlich diese 3 Milliarden Euro? Wir haben in den letzten Tagen eine ganze Menge an Entlastungen vorgenommen. Wir haben von Ihnen auch immer wieder Forderungen gehört; darauf gehe ich gleich noch ein. Wichtig ist auch, zu betonen, dass es ja nicht nur der Bund ist, der diese Einnahmen dann nicht hat, sondern auch die Bundesländer. Auch mit denen muss besprochen werden, wie man damit umgeht. Das ist bisher in der Detailtiefe noch nicht passiert. Das muss aber passieren, bevor wir so eine Entscheidung treffen können. Deswegen ist es für uns ganz wichtig, dass es vorher geschieht.

(Anja Karliczek [CDU/CSU]: Der ehemalige Finanzminister hat es schon versprochen im Wahlkampf!)

Sie sind auf die Planungssicherheit eingegangen. Wir sind jetzt gerade erst in der Mitte des Jahres. Planungssicherheit ist bis Ende des Jahres gegeben, und Sie können sich sehr sicher sein, dass unsere Entscheidung, wie man diese Branche weiterhin unterstützen wird, rechtzeitig feststehen wird.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Till Mansmann [FDP])

Bei der Biersteuer – über die Sie jetzt nicht gesprochen haben, die aber auch Teil Ihres Antrags ist – sind wir schon ein Stück weiter. Es hat in der letzten Woche einen Beschluss der Bundesländer gegeben, dass man auf die Einnahmen verzichten möchte. Da ist man also schon einen Schritt weiter. Das haben wir auch zur Kenntnis genommen, und das wird sicherlich in die Entscheidung einfließen.

Was ich aber trotzdem noch mal betonen möchte, ist: In den letzten Tagen, auch schon in den letzten Sitzungswochen, sind Sie immer wieder mit neuen Vorschlägen und neuen Anträgen gekommen. Gestern ging es um das Steuerentlastungsgesetz. Nachher geht es um die Energiesteuerabsenkung; hier fordern Sie, dass sie auf zwei Jahre ausgedehnt wird. Sie geben das Geld so ein bisschen mit vollen Händen aus, wollen die Wirtschaft stimulieren, wissen aber nicht genau, wo es herkommt.

(Anja Karliczek [CDU/CSU]: Haben Sie die Steuerschätzung gesehen? – Michael Donth [CDU/CSU]: Die Steuerschätzung war gut!)

Da habe ich schon den Eindruck, dass es keine richtige Strategie gibt, dass es ein bisschen chaotisch ist; manchmal habe ich auch den Eindruck, dass es vielleicht mit der Wahl am Sonntag zu tun haben könnte.

(Beifall bei der SPD – Kerstin Vieregge [CDU/CSU]: Nee! Wir machen das nächste Woche weiter!)

Allein dieser Antrag – er ist Dienstagnachmittag online gegangen und als Zusatzpunkt aufgesetzt worden – umfasst Maßnahmen in Höhe von 3 Milliarden Euro. Ich weiß nicht, ob das richtig seriöse Finanzpolitik ist,

(Johannes Steiniger [CDU/CSU]: Dünnes Eis!)

wenn man so was Hals über Kopf vom Zaun brechen will.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kerstin Vieregge [CDU/CSU]: Dann sagen wir mal Mali-Verlängerung, ne?)

Wir tun uns damit schwer. Wir wollen seriöse Regierungsarbeit machen.

Deswegen zum Schluss – vielleicht auch ein bisschen zur Beruhigung –: Sie kennen die Position des Finanzministers. Sie kennen die Position des deutschen Bundeskanzlers; er hat sich entsprechend geäußert.

(Kerstin Vieregge [CDU/CSU]: Umsetzen!)

Wir haben eine Strategie. Wir entscheiden nicht aufgrund kurzfristiger Impulse oder Beweggründe, sondern wir überlegen uns ganz genau, welche Entlastungspakete wir auf den Weg bringen, welche Maßnahmen wir ergreifen.

(Anja Karliczek [CDU/CSU]: Sie sollen nur Ihre Arbeit machen!)

Wir werden rechtzeitig Planungssicherheit schaffen. Dementsprechend: Wir haben diese Branche nicht im Stich gelassen, wir werden sie nicht im Stich lassen; und darauf können Sie sich verlassen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Als nächster Redner erhält Albrecht Glaser für die AfD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7536356
Wahlperiode 20
Sitzung 35
Tagesordnungspunkt Ermäßigter Mehrwertsteuersatz in der Gastronomie
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